Johannes Markus
und das veränderte
Passah-Mahl
Es kam nun der Tag, von dem an ungesäuertes
Brot gegessen wurde und an dem die Passalämmer
geschlachtet werden mussten. Jesus gab Petrus und
Johannes den Auftrag: „Geht und bereitet das Passamahl
für uns vor!“ „Wo willst du es vorbereitet haben?“ fragten
sie. Er sagte: „Hört zu! Wenn ihr in die Stadt kommt,
werdet ihr einen Mann treffen, der einen Wasserkrug
trägt. Folgt ihm in das Haus, in das er geht, und sagt zum
Hausherrn dort: ‚Unser Lehrer lässt dich fragen: Welchen
Raum kannst du zur Verfügung stellen, dass ich dort mit
meinen Jüngern das Passamahl feiere?‘ Er wird euch ein
großes Zimmer im Obergeschoß zeigen, das mit Polstern
ausgestattet ist. Dort bereitet alles vor.“ Die beiden gingen
und fanden alles so, wie Jesus es ihnen gesagt hatte, und
sie bereiteten das Passamahl vor.
[ LUKAS 22, 7-13 ]
Welch eine Ehre! Der junge Johannes Markus war stolz, dass er an der Passah-Mahlzeit teilnehmen durfte, zu der Jesus seine engsten Freunde und Jünger eingeladen hatte. Nicht, dass Johannes Markus zu diesem Kreis gehörte, dazu war er noch zu jung. Genau genommen war er nur dabei, um beim Zubereiten und beim Bedienen der Gäste zu helfen. Seine Mutter, die zum Freundeskreis von Jesus gehörte, hatte ihm das aufgetragen. Aber er hatte diesen Dienst mit Freude angenommen, denn er war gerne in der Nähe dieses Rabbis und tief beeindruckt von dem, was er zu sagen hatte, auch wenn er ehrlich zugeben musste, dass er vieles davon nicht verstand.
Den ganzen Vormittag hatte Johannes Markus mit einigen der Jünger den bescheidenen Saal im Obergeschoss im Haus eines Freundes für die Feier vorbereitet. Natürlich waren ihm die verschiedenen Aufgaben bestens vertraut, denn jedes Jahr hatte er zu Hause seinen Eltern geholfen, die Seder-Mahlzeit vorzubereiten. Zuerst einmal musste das Haus gründlich ausgefegt werden, so befahl es Mose in seinen Anweisungen. Vor allem durften auch nicht die kleinsten Reste von Sauerteig, wie er täglich zum Brotbacken verwendet wurde, zu finden sein. In der Tradition steht der Sauerteig für die Sünde, und die musste herausgefegt werden. Dann wurden die Mazzen zubereitet, große, dünne Fladenbrote aus Mehl und Wasser, im Backofen hinter dem Haus knusprig hart gebacken. Die waren bei weitem nicht so schmackhaft wie die üblichen Brote, deren Teig vorher mit Sauerteig angesetzt wurde. Diese ungesäuerten Brote waren hart, trocken und fast ohne Geschmack. Aber so wollte es eben die Tradition, sie sollten an die Brote erinnern, die die Juden vor dem Auszug aus Ägypten als Reiseproviant gebacken hatten. Einen Krug Wein hatte der Besitzer des Hauses für das Fest gestiftet. Einer der Jünger hatte auf dem Markt die bitteren Kräuter, Äpfel und Nüsse und andere Zutaten gekauft. Nur das übliche Lamm, das normalerweise im Tempel zu schlachten war, fehlte; Jesus hatte sie ausdrücklich angewiesen, kein Lamm zu besorgen. Schade, denn ein knuspriger Lammbraten wäre wirklich schmackhafter gewesen als die Eier, die als Ersatz zugelassen waren.
Als es auf den Abend zuging, war alles fertig: die Liegepolster waren um den niedrigen Tisch gruppiert, die Mahlzeit zubereitet, die Leuchter angezündet. Bald kam dann auch Jesus mit den übrigen Jüngern. Alle legten sich genüsslich auf den Polstern zurecht, in freudiger Erwartung der kommenden Feier. Sie hatten zwar alle darauf verzichtet, das Fest im Kreis der eigenen Familien zu feiern, wie es ja eigentlich erwartet wurde. Aber in den Jahren des Zusammenseins mit Jesus waren sie zu einer neuen Familie zusammengewachsen. Johannes Markus spürte etwas von der Vertrautheit dieser jungen Männer, wie sie miteinander umgingen. Es war mehr als eine Männerkameradschaft, es fehlten die groben Scherze und Anzüglichkeiten, die er von den üblichen Zusammenkünften seiner Freunde her kannte. In der Gegenwart des Rabbis war eine andere Art von Umgang lebendig, eine eher nüchterne und doch herzliche Zugewandtheit, trotz aller Spannungen, die in dieser bunt zusammengewürfelten Schar immer wieder aufbrachen.
Dann aber, seltsam, verließ Jesus den Saal wieder. Als er wieder hereinkam, hatte er sich die Schürze eines Hausdieners umgebunden und eine Schüssel mit Wasser in der Hand. Natürlich, niemand hatte den Gästen beim Eintreten die Füße gewaschen, wie es sich bei solch einem Anlass eigentlich gehörte. Es war eben kein Haussklave anwesend, und kein freier Mann käme auf den Gedanken, solche eine niedrige Aufgabe zu übernehmen. Also hatte man es stillschweigend gelassen. Und jetzt machte sich Jesus daran, es zu tun. Peinliches Schweigen herrschte im Raum, als Jesus tatsächlich damit begann, seinen Freunden die Füße zu waschen. Erst als er zu Petrus kam, fand dieser seine Sprache wieder und protestierte lautstark: „Meister, also das geht doch nicht, du kannst doch mir nicht die Füße waschen!“ Jesus sah ihn ernst an und sagte: „Mein Lieber, wenn ich dich nicht wasche, kannst du nicht mit mir zusammenbleiben.“
„Also wenn das so ist, dann wasche doch auch gleich Hände und Kopf!“, meinte Petrus, ohne lange zu überlegen.
Jesus antwortete mit einem leichten Lächeln: „Ihr seid doch schon sauber, nur die Füße werden immer wieder staubig. Also, lass mich machen. Und nehmt euch ein Beispiel daran. Wenn ich, euer Rabbi, mir nicht zu fein bin, euch die Füße zu waschen, dann haltet es untereinander auch so!“ Wieder betretenes Schweigen im Raum.
Als Jesus fertig war, legte er sich wieder die Tunika um und nahm an der Stirnseite des Tisches den Platz des Hausvaters ein. Das peinliche Schweigen wich von den Jüngern, sie nahmen ihre Gespräche wieder auf. Nur Jesus war von irgend etwas sichtlich bewegt, auf seinem Gesicht war deutlich zu sehen, dass ihn etwas beschäftigte, was ihm die Festfreude verdarb. Markus beobachtete, wie er etwas zu sagen versuchte, aber vor Erregtheit nichts herausbrachte. Auch einige der Jünger hatten bemerkt, wie erregt ihr Meister war, und blickten ihn fragend an. Schließlich brachte er mit stockender Stimme heraus: „Es ist schlimm, aber leider wahr: Einer von euch, meinen Freunden, wird mich an unsere Gegner verraten“. Erschrockene Stille fiel über den Raum, die Jünger sahen sich ratlos an. Markus beobachtete, wie Petrus seinem Freund Johannes, der Jesus am nächsten lag, etwas zuflüsterte. Daraufhin schob sich Johannes noch etwas näher an Jesus heran und fragte, sichtlich bewegt: „Aber Herr, wer von uns sollte so etwas tun?“ Darauf Jesus: „Es wird einer von euch sein, die ihr jetzt hier zusammen mit mir esst“.“ Dann brach er ein Stück Brot ab, tauchte es in die Soße, und reichte es dem schräg gegenüber sitzenden Judas Ben Iskariot. Nun, es gehörte zu den Gepflogenheiten des Festes, dass man seinen Freunden einen Bissen reichte. Aber sollte das wirklich heißen...? „Mach bald, was du tun musst!“ sagte Jesus noch zu Judas. Der saß da mit unbeweglichem Gesicht, dann stand er plötzlich auf und verließ überstürzt den Raum. Für einen Moment war es noch still, aber niemand schien zu verstehen, was das alles zu bedeuten hatte. So kamen die Gespräche langsam wieder in Gang.
Schließlich begann Jesus als Hausvater das Seder-Mahl nach dem uralten Ritus, der von Moses überliefert war. „Freunde“, begann er, „ihr glaubt nicht, wie sehr ich mich auf dieses Festmahl mit euch gefreut habe. Es ist vorläufig das letzte Mal, dass wir zusammen das Passah feiern, aber seid deswegen nicht traurig. Es kommt der Tag, da werden wir wieder miteinander feiern. Es wird großartig sein, dann, wenn das Reich meines Vaters endgültig und sichtbar Wirklichkeit geworden ist.“ Dann sprach er ein Segensgebet und nahm den ersten von den vier bereitstehenden Bechern mit Wein. Er hob ihn hoch und sagte: „Nehmt den Becher und lasst ihn herumgehen, ich werde in Zukunft erst wieder Wein trinken, wenn Gott sein Werk vollendet hat.“ Der Becher machte die Runde, jeder nahm einen kräftigen Schluck und reichte ihn seinem Nachbarn weiter. Dann wurde die Schüssel mit den bitteren Kräutern herumgereicht. Jeder nahm ein Büschel davon, tauchte es in die Schüssel mit der Soße und aß sie. Markus wusste nur zu gut, dass diese Kräuter nicht besonders gut schmeckten, aber es gehörte eben dazu. Sie sollten daran erinnern, wie bitter das Schicksal der Vorväter gewesen war, als sie in Ägypten Sklavenarbeit tun mussten.
Unterstadt von Jerusalem (Modell). Wo genau Jesus und
die Jünger das Passah-Mahl hielten, ist nicht bekannt.
Der Tradition gemäß knüpfte Jesus daran an und erinnerte seine Tischgenossen an die bittere Zeit der Sklaverei, an die Plagen, die den Pharao zum Nachgeben bringen sollten, und an jene dramatische Nacht, als die erstgeborenen Söhne der Ägypter durch den Engel getötet wurden, während die Juden bewahrt wurden, weil sie das Blut eines Lammes an ihre Türpfosten gestrichen hatten. Und wie die Juden mit den gebackenen Mazzen als Reiseproviant aufgebrochen waren und...