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E-Book

Ich bin so frei

Abgeschminkt, vernarbt und wunderschön

AutorIlle Ochs
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783775173995
Altersgruppe35 – 55
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Wie kann ein Mensch, der sich in seinem Leben beengt oder sogar fehl am Platz fühlt, ein 'Ja' zu sich selbst finden? Ille Ochs lädt auf eine heilsame Reise durch menschliche Geschichten ein, die Wege aus dem Gefängnis aus Angst und Erdrückung in eine kraftvolle Lebendigkeit aufzeigen. Sie zeigt Möglichkeiten, wie Lebenslügen entlarvt und fehlgeleitete Ansprüche an uns selbst entmachtet werden können. Und sie eröffnet Perspektiven zu einem Leben, in dem wir uns annehmen und entfalten können.

Ille Ochs, Jahrgang 1954, jüngstes Kind der Familie Strauch aus Wuppertal, lebt mit ihrem Mann, Pastor Siegfried Ochs in Kierspe/Sauerland. Die gelernte Krankenschwester arbeitet heute als Tanz- und Bewegungstherapeutin und kreative Supervisorin freiberuflich mit Gruppen, Teams und Einzelpersonen.

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Im falschen Leben


»Ich bin im falschen Film«, »Das ist nicht mein Leben«, »Das bin nicht ich« – kennen Sie diese Sätze? Haben Sie sie selbst schon ausgesprochen oder zumindest gedacht oder gefühlt? Was bedeutet es denn eigentlich, im falschen Leben zu sein? Anders gefragt: Kennen Sie jemanden, der im »richtigen« Leben ist, und wie zeigt sich das?

Für das Gefühl »Ich bin im richtigen Leben« benutzen wir manchmal Umschreibungen wie »Ich bin angekommen!« oder sogar »Ich bin bei mir selbst angekommen!« Diesen Sätzen geht manches Mal ein »Ich bin ausgestiegen« voraus. Oft meinen wir damit die äußeren Gegebenheiten, den Arbeitsplatz, eine Beziehung, das System.

Unser Umfeld und unsere Lebenssituation können das Unterwegssein auf der Rennbahn begünstigen und fördern, so wie das Gedeihen einer Pflanze nicht nur von der Versorgung mit Nährstoffen abhängt, sondern auch durch den jeweiligen Standort begünstigt oder behindert wird. Das muss nicht so sein, aber manchmal müssen wir die äußere Situation, das kranke System verlassen, um heil zu werden, auch wenn die Ursache meist tiefer liegt. Doch was verstehen wir überhaupt unter einem kranken System?

Ein krankes System?


Mit einem System ist mehr gemeint als nur das Umfeld, der Arbeitsplatz oder die äußere Situation. Das aus dem Griechischen stammende Wort bedeutet so viel wie »das gegliederte Ganze«.7 Es geht um Wechselwirkungen, um etwas, das in einem reaktiven Bezug zueinander steht und funktioniert. Oft sind solche Systeme nicht gleich erkennbar und deshalb schwer zu durchschauen und noch schwerer zu durchbrechen. Häufig sind diese krank machenden Systeme in Familien oder Gruppen zu finden. Sie haben immer etwas mit Machtstrukturen zu tun. Es gibt unausgesprochene Gesetze, denen die Beteiligten oft unbewusst folgen. Solche Sätze können sein »Wutausbrüche sind nicht erlaubt!« oder »Konfliktvermeidung ist oberstes Gebot.« Bei einem System sind nicht nur einzelne Menschen, sondern eine ganze Gruppe quasi auf diese Sätze abgerichtet. Die Fassade dieses Systems muss in jedem Fall aufrechterhalten bleiben. So werden Familiengeheimnisse unter den Teppich gekehrt, nach dem Motto: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!« Die einzelnen Gruppen- oder Familienmitglieder haben im Laufe der Zeit eine feste Rolle eingenommen, die ihnen in der Regel nicht bewusst ist, die aber das gesamte System mitträgt.

Doch es geht auch weniger drastisch. Manchmal übernimmt ein Familienmitglied allein die Verantwortung für alles, und die anderen arrangieren sich damit oder nutzen es sogar aus.

Ich habe hier ein Beispiel vor Augen: Vater, Mutter, zwei fast erwachsene Kinder. Die Mutter Maren ist als Familienmanagerin immer und zu jeder Zeit abrufbereit und für alle und alles zuständig. Sie fühlt sich völlig überfordert, leidet immens darunter, kann es aber nicht abstellen, denn es funktioniert und hat sich im Laufe der Zeit fest etabliert. »Ich wünschte mir so sehr eine freie Zeit am Tag, in der ich nur bei mir selbst sein kann, lesen oder einfach vor mich hinträumen, eben nicht erreichbar bin. Aber es geht nicht. Schon die äußeren Gegebenheiten lassen es nicht zu«, sagt sie mir. »Wir haben nur eine kleine Wohnung. Ich besitze kein eigenes Zimmer.«

Doch irgendwann findet Maren eine Lösung. Sie sucht sich eine gemütliche Ecke im Wohnzimmer und teilt diese durch eine große Pflanze vom übrigen Raum ab. »Das ist jetzt meine Ecke«, sagt sie ihren Kindern und auch ihrem Mann. »Wenn ich hier sitze, will ich meine Ruhe haben und bin nicht ansprechbar.«

Sie hat ihr anfängliches »Das lässt sich nicht ändern« verlassen und nach einem Weg gesucht, wie es doch möglich ist.

Das hat Maren viel Überwindung gekostet. Warum? Alle haben sich daran gewöhnt, dass sie immer verfügbar ist. Um dieses funktionierende System zu durchbrechen, muss sie eine große Portion Kraft aufwenden. Sie muss »lautstark« und massiv auftreten, denn wenn ein System so lange funktioniert hat, stellt sich eine regelrechte Taubheit ein. Die Beteiligten bekommen einen leisen Protest gar nicht mit. Außerdem hat Maren auch mit ihren eigenen Schuldgefühlen und Selbstanklagen zu kämpfen. Hat sie wirklich ein Recht auf eine Zeit nur für sich? Ist es nicht ihre Pflicht, immer für ihre Familie da zu sein? Mit diesen Empfindungen hat sie das System längst verinnerlicht.

So wie Maren sind wir oft gefangen in unseren Systemen, die nicht nur unsere Freiheit und Lebendigkeit einschränken, sondern mit der Zeit auch unseren Blick vernebeln und unsere Wahrnehmung trüben. Die gute Nachricht lautet: Wir sind handlungsfähiger, als wir meinen. Es gibt Möglichkeiten des Ausstiegs.

Vor vielen Jahren habe ich in der Volkshochschule Kurse unter dem Thema angeboten: »Mein Job frisst mich auf, aber ich brauche ihn!« Ich kann mich noch genau an den ersten Abend erinnern. Eine kunterbunte Truppe ist zusammengekommen, Frauen und Männer aus sozialen oder handwerklichen Berufen oder aus dem Management. Alle sagen in der Vorstellungsrunde, dass sie sich im Beruf eigentlich am falschen Platz fühlen und dass sie das, was sie sind, was ihren Begabungen und ihren Werten und Überzeugungen entspricht, in dem System, in dem sie arbeiten, nicht leben können.

Hier zeigt sich das Dilemma, das schon im Kurstitel selbst enthalten ist. Das Gefühl: Ich hänge in einem System fest, das mir nicht liegt, ja, mich sogar krank macht. Ich möchte am liebsten aussteigen, weiß aber nicht wie. Ich befinde mich in einem Hamsterrad, bin hilflos ausgeliefert, kann nichts ändern.

All das sind äußerst krank machende Empfindungen. Vielleicht sollten wir in so einem Fall zunächst einmal unsere Haltung hinterfragen. Manchmal hilft da schon ein winziger Schritt in die andere Richtung. Denn äußere Umstände, die ich als unerträglich empfinde, werden durch meine Opferhaltung erst recht unerträglich. Vielleicht ist die vermeintliche Unabänderlichkeit sogar das Allerschlimmste, das, was mich wirklich krank macht und am Leben hindert. Hilflosigkeit und Ohnmacht sind äußerst beängstigende Zustände; sie rauben uns die Luft zum Atmen. Dagegen hilft oft schon die Vorstellung, handlungsfähig zu sein.

Hier ein kleines, eher simples Beispiel, das deutlich macht, wie allein die Vorstellung einer Handlungsfähigkeit Empfindungen und Wahrnehmungen beeinflussen kann.

Ich muss zu einer Kernspintomografie, für mich eine äußerst unangenehme Untersuchung,. Viele Menschen fürchten sich davor. Eingesperrt in einer engen Röhre, für längere Zeit ausgeliefert, klopfende Geräusche um mich herum. Der Arzt und die Assistenten sitzen in einem anderen Raum vor dem Bildschirm. Es gibt nur eine Klingel, falls ich Hilfe brauche.

Zweimal muss ich diese Untersuchung über mich ergehen lassen. Beim ersten Mal weiß ich noch nicht, was auf mich zukommt, und die Situation ist für mich wie ein Albtraum. Beim zweiten Mal habe ich schon vorher viele Ängste, da ich die Untersuchungsmethode nun kenne. Die Assistentin versichert mir jedoch, dass alles ganz harmlos sei und ich jederzeit klingeln und um Hilfe bitten könne: »Der Alarmknopf ist gleich hier, sehen Sie?«

Aber ihre Zusicherungen beruhigen mich nicht. »Kann ich im äußersten Notfall auch allein wieder herauskrabbeln?«, frage ich schließlich.

Ihre Antwort kommt zögernd: »Nun, ja, im Notfall können Sie das natürlich. Allerdings würde ich es Ihnen nicht empfehlen, denn dann wäre die ganze Untersuchung umsonst gewesen.«

»Ich habe es auch nicht vor«, antworte ich. »Ich will nur wissen, ob ich es im Notfall könnte.«

Die Untersuchung läuft für mich dann völlig problemlos ab. Ich habe keine Angst mehr, denn ich bin nicht mehr hilflos und ausgeliefert. Ich kann mich selbst entscheiden, ob ich in der Röhre bleibe, und habe nun gar nicht mehr das Bedürfnis, dieser Untersuchung zu entfliehen.

In diesem Empfinden steckt eine tiefe Wahrheit: Wir brauchen die Wahlfreiheit. Und in der Regel haben wir sie auch, selbst dann, wenn wir es anders empfinden, weil uns die Kosten eines möglichen Ausstiegs zu hoch erscheinen.

Eine Opferhaltung dagegen macht uns krank, lässt uns innerlich verkümmern und nimmt uns die Lebendigkeit. Allein die Vorstellung von einer geöffneten Tür, und sei es nur ein kleiner Spalt, kann schon etwas in der Haltung verändern und den Zustand erträglicher machen.

Vielleicht ist es daher der erste wichtige Schritt, sich selbst zu sagen: »Ich bin nicht ausgeliefert, ich kann aussteigen, ich habe die Wahl, auch wenn es Konsequenzen hat, aber ich kann mich entscheiden, dieses System zu verlassen.«

Wahlfreiheit


Aussteigen bedeutet allerdings nicht immer, ein System, beispielsweise den Arbeitsplatz, zu verlassen. Manchmal würde das auch gar nichts ändern, weil das Problem eher in uns selbst begründet liegt und wir es auf diese Weise in eine andere Situation mitnehmen. Oft müssen wir nur unseren Platz, unsere Rolle aufgeben, die wir in diesem System eingenommen haben und mit der wir es nähren und unterstützen, so wie in der beschriebenen Familiensituation. Lange hat Maren das System aufrechterhalten, indem sie so funktionierte, wie die Familie es erwartete. Doch sie ist schließlich aus ihrer Opferrolle ausgestiegen, ohne gleichzeitig ihren Platz als Mutter aufzugeben.

Wenn wir aber in der Opferrolle verharren und uns Sätze suchen wie: »Wenn dieses oder jenes anders wäre …«, »Wenn die Situation sich ändern würde, eine bestimmte Person nicht da wäre«, »Wenn …«, dann verändert sich nichts. Dann wünschen wir uns vielleicht nichts mehr als eine Veränderung der Situation, wir warten darauf, dass etwas geschieht, und...

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