In diesem Unterkapitel werden die Fach-/Expertenberatung, die Beratung nach der Arzt-Patient-Hypothese und die systemische bzw. Prozessberatung kompakt dargestellt. Die folgenden Ausführungen spiegeln somit die wesentlichen Beratungsansätze nach Edgar Schein wider (vgl. Schein, 2010, S. 23 ff.) und werden in Anlehnung an Fatzer (1999) mit Blick auf ihre Voraussetzungen für eine erfolgreiche Beratung nach diesem Ansatz beleuchtet.
2.1.1 Die Expertenberatung
Aus den vorgenannten Definitionen ist ersichtlich geworden, dass eine Perspektive von Beratung sich dadurch auszeichnet, dass der Berater aufgrund seines überlegenen Fachwissens und seiner Erfahrung dem Ratsuchenden Informationen gibt, mit deren Hilfe der Ratsuchende sein Problem lösen kann. Der Ansatz der Fach- bzw. Expertenberatung ist eine Ausprägung dieser Definition.
Und sicherlich kennen Sie die Situation aus Ihrem eigenen Erleben: Sie suchen den Weg zu einem bestimmten Ort und fragen einen Passanten, brauchen den entscheidenden Tipp der Großmutter, um einem Rezept das besondere »Etwas« zu verleihen, suchen bei einem erfahrenen Handwerker nach einer Idee, wie Sie eine knifflige Angelegenheit technisch am besten angehen, oder brauchen einen Tipp von einem Freund oder einer Freundin, wie Sie mit einer schwierigen Familiensituation umgehen sollen. Im besten Fall ist diese Information der entscheidende Baustein, mit dem Sie Ihr Problem lösen können.
In der Praxis wenden sich Ratsuchende oftmals an einen Berater, in der Hoffnung, für ihr Problem konkrete Ratschläge, Tipps oder Handlungsempfehlungen – kurzum: Lösungen – zu bekommen. Diese Lösungen sollten aus Sicht der Ratsuchenden nicht nur auf seiner (fachlichen) Expertise beruhen, sondern idealerweise im Ergebnis dazu führen, dass das Problem des Ratsuchenden gelöst wird. An einem Alltagsbeispiel illustriert:
BEISPIEL
Wenn ich nicht weiß, wie Zündkerzen auszuwechseln sind, frage ich einen Fachmann (z. B. einen Kfz-Meister) oder ziehe geeignete Literatur zurate (z. B. die Betriebsanleitung des Kfz) oder wähle ein Medium wie z. B. YouTube und suche nach einem entsprechenden Erklärvideo.
Damit eine Expertenberatung zielführend gestaltet werden kann, müssen einige Grundvoraussetzungen geben sein – übrigens zunächst einmal vollkommen unabhängig vom Medium der Beratung. Der Ratsuchende sollte wissen,
- was sein Problem ist,
- welche Lösung er benötigt und
- woher die Lösung kommt.
Zur Erinnerung: Es geht in der Erwartungshaltung der Klienten nicht nur darum, dass ein Berater seine fachliche Expertise zum Tragen bringt, sondern für den Ratsuchenden ist es i. d. R. wichtig, dass sein Problem nach der Beratung gelöst ist. Ein kontaktierter Berater würde auf der Basis seines Fachwissens und seiner Erfahrung die für die Lösung des Problems erforderlichen Informationen geben und gegebenenfalls auf der Grundlage dieser Expertise auch eine spezifische Lösung erarbeiten, die er dem Ratsuchenden dann zur Verfügung stellt (vgl. Fatzer, 1999, S. 22 ff.).
Damit diese Art der Beratung erfolgreich sein kann, sind einige Punkte zwingend vorauszusetzen, nämlich
- die richtige Problemdiagnose durch den Ratsuchenden,
- die Wahl eines geeigneten Beraters mit Blick auf Spezialisierung und Professionalität und
- die Formulierung der benötigten Lösung, die vom Berater genau wie intendiert verstanden wird.
Betrachtet man diese Voraussetzungen mit Blick auf die Erwartungshaltung, eine zielführende Beratung zu erbringen, kritisch, stellen sich einige Fragen:
Hat der Ratsuchende sein Problem wirklich richtig diagnostiziert? Ist sichergestellt, dass der Klient über hinreichend Sachverstand verfügt, um sein Problem richtig zu diagnostizieren? Vielleicht hat der Ratsuchende zu wenig Wissen, um eine mögliche Ursache zu finden, warum das Problem überhaupt ein Problem für ihn ist. Oder: Bestimmte Aspekte des Problems, die für die Lösung bedeutsam sein könnten, erscheinen dem Klienten nicht relevant oder nebensächliche Aspekte sind in seiner Wahrnehmung besonders bedeutsam, die aber für die Lösung des Problems nebensächlich sind. Im Ergebnis würde der Berater zu wenige oder zu viele Informationen erhalten, die er – im letzten Fall – nun aussortieren muss. Eine weitere Möglichkeit: Der Ratsuchende hat sogenannte »blinde Flecken«. In der Psychologie wird dieser Begriff oftmals für Seiten an uns verwendet, die wir nicht wahrnehmen können oder wollen. Dies alles sind mögliche – wenngleich nicht abschließende – Gründe, die dazu führen könnten, dass die Schilderung des Problems weniger auf relevante Zahlen, Daten und Fakten gestützt ist, sondern auf plausible Zusammenhänge oder subjektive Wahrnehmungen, die in der Folge zu mehr oder minder bewusst vorgenommenen Auslassungen in der Problemschilderung führen.
Edgar Schein erwähnt in seinem Buch »Humble Consulting«, dass Klienten häufig denken, sie wüssten, welche Herangehensweisen an ein Problem sie sich wünschen, »(…) und weil sie den Berater bezahlen, denken sie, sie wüssten auch, was er für sie tun kann und tun sollte« (Schein, 2017, S. 151). Tatsächlich ist die Auswahl eines Beraters – sofern dies nicht professionell gehandhabt wird – oftmals eher zufällig. Ein Verhaltenstrainer ist eben kein langjähriger Experte mit entsprechend praktischer Erfahrung in Kommunikation, Personalführung, Changemanagement, emotionaler Intelligenz und Projektmanagement.
Gehen wir jetzt davon aus, dass der Ratsuchende über hinreichend Sachverstand verfügt, um das Problem zu diagnostizieren. Er hat einen passenden Berater gefunden und schildert ihm nun seine Problemdiagnose und die benötigte Lösung. Rein kommunikationspsychologisch betrachtet wird eine Information vom Sender einer Nachricht mit bestimmten Worten »verschlüsselt«, der Empfänger – in unserem Fall der Berater – entschlüsselt nun diese Botschaft. Sie kennen es sicher auch aus Ihrem Alltag, wie leicht es passiert, dass man meint, etwas »glasklar« formuliert zu haben, und das Gegenüber hat etwas ganz anderes verstanden. Gerade im Personalbereich gibt es Dutzende solcher Situationen. Ein Klassiker ist die Verwendung des Begriffs »Rhetorik«, wie das folgende kommentierte Beispiel zeigt:
Beratung zum Thema »Rhetorik-Seminar«
Klient (Führungskraft): | »Ich möchte gerne ein Rhetorik-Seminar für meinen Mitarbeiter. Können Sie mir einen Anbieter empfehlen?« |
Berater (Personalentwicklung): | »Gerne. Wir arbeiten hier schon lange mit Anbieter A im Inhouse-Bereich. Der Trainer hat auch eine eigene Akademie, dort finden regelmäßig offene Seminare statt. Manchmal schicken wir Mitarbeiter auf dieses Seminar. Wir haben stets Rückmeldung zum Seminar eingeholt und bislang nur positive Resonanz erhalten. Alternativ dazu arbeiten wir mit einem großen Bildungsanbieter zusammen, der über ganz Deutschland verteilt mindestens einmal im Monat so ein Seminar durchführt. Auch hier haben wir exzellente Rückmeldungen. Und vor Ort gibt es noch einen dritten Anbieter, die Qualität ist ebenfalls gut, wie uns die Teilnehmer bescheinigen, und das Tolle: Die Seminare bei diesem Anbieter kosten ungefähr die Hälfte von dem, was wir bei den anderen Anbietern zahlen. Zudem fallen fast keine Reisekosten an.« |
Kommentar
Dieses kurze Gespräch erfüllt die Anforderungen an eine Expertenberatung. Der Klient kommt mit einem Anliegen (er möchte ein Rhetoriktraining) und der Bitte um einen Rat (»Können Sie mir einen Anbieter empfehlen?«). Kunden- und serviceorientiert kommt der Berater der zweiten Bitte nach. Er empfiehlt unter verschiedenen Aspekten (Qualität, Durchführungshäufigkeit, regionale Rahmenbedingungen und Preis) mehrere Anbieter. Was auf den ersten Blick kompetent wirkt, kann zu einer Fehlinvestition führen. Denn was genau stellt sich die Führungskraft unter einem Rhetorikseminar vor? Rein lexikalisch betrachtet ist Rhetorik die Lehre von der wirkungsvollen Gestaltung einer Rede. Was aber oftmals gemeint ist, ist etwas ganz anderes: Vielleicht soll der Mitarbeiter bei Kundinnen und Kunden oder internen Präsentationen selbstbewusster wirken oder im Umgang mit den Kunden und Kollegen etwas freundlicher und kommunikativer sein, vielleicht geht es auch darum, in Verkaufsabschlüssen den Kunden...