HILFE – was ist das genau?
„Hilf mir, es allein zu tun.“
Maria Montessori
Dies ist mein absoluter Lieblingsspruch und gerade in der Erziehung der Kinder war er mir ein guter Wegweiser. Aber er hat auch für Erwachsene seine Gültigkeit, weil „alles“ in diesem einen Satz ausgedrückt wird!
Hilfe kann Beratung, Therapie oder andere Unterstützung sein.
Hilfe löst viel Ambivalenz aus: Scheint es doch bis zu einem bestimmten Punkt klar, dass man Unterstützung und Veränderung braucht, wird das plötzlich „unklar“, sobald man konkret Hilfe benötigt.
Interessant sind die verschiedenen Formen dieser Unterstützungen: Manchmal verlaufen sie geradezu innig und persönlich, andere helfen uns einfach durch ihr Dasein oder durch kleine Gesten, praktische Hilfen und vielem mehr.
Hilfe anzunehmen fällt oft schwer - Helfen dagegen fällt leichter!
Anderen Menschen zu helfen kann ein unglaublich befriedigendes und nachhaltig wohliges Gefühl hinterlassen. Außerdem kann der Helfende somit seine Kompetenz beweisen oder sogar auch mit Wissen „zur Stelle sein“. Wirklich Helfende verfügen tatsächlich oft über einen recht großen Erfahrungsschatz. Das kann stolz machen und dem eigenen Selbstbewusstsein helfen. Man fühlt sich auch gut, denn wenn man um Hilfe gebeten wird, schmeichelt und belohnt uns dies.
Natürlich gibt es auch die andere Seite und die kann bitter sein: Man muss sich umgekehrt nämlich womöglich eingestehen Hilfe zu brauchen. Das kann bedeuten, dass man plötzlich genau auf seine eigene Hilflosigkeit schauen muss und entweder seine eigene Unfähigkeit oder auch Ohnmacht erkennt - und das kann schmerzen. Dies muss man aushalten und ertragen können. Das schafft nicht jeder und einige bleiben lieber in der Opferrolle, als um Hilfe zu bitten. (Oder man braucht therapeutische HILFE, um zu lernen, auch mal um Hilfe zu bitten).
Die typischen Ängste rund um „Hilfestellungen annehmen“:
- Man hofft, es doch ohne Hilfe zu schaffen
- Man will sich nicht wirklich eingestehen, dass man Hilfe braucht
- Man hat die Befürchtung, dass Hilfe anzunehmen als Zeichen von Schwäche betrachtet wird
- Man glaubt abhängig von jenen zu werden, die einem helfen
- Man hat Angst, aus der Situation, in der man Hilfe benötigt, nie wieder heraus zu kommen.
Hier eine Definition von Wikipedia:
„Hilfe im Sinne der Hilfsbereitschaft ist ein Teil der Kooperation in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie dient dazu, einen erkannten Mangel oder eine änderungswürdige Situation oder einer Notlage zu verbessern. Der Hilfe geht entweder eine Bitte des Hilfebedürftigen oder eine von ihm unabhängige Entscheidung durch Hilfsbereite voraus.
Die Feststellung über das Ausmaß der Hilfebedürftigkeit und der geeigneten Hilfsmittel kann zwischen den betroffenen Parteien kaum bis stark differieren. Dabei kann die Situation sowohl über- als auch unterschätzt werden. Ursachen sind meistens in der Kompetenz des Helfenden, aber auch in der Urteilskraft des Hilfebedürftigen zu suchen. So kann etwa die Urteilskraft eines schwer kranken Menschen ebenso stark geschwächt sein wie sein Allgemeinzustand Im Gegenzug kann der Helfende der Situation nicht oder nicht ausreichend gewachsen sein.
Hieraus wird deutlich, dass ein „Anspruch auf Hilfe“, wie er in den meisten Gesellschaften als ein selbstredendes „ungeschriebenes Gesetz“ betrachtet wird, nicht gleichbedeutend mit „Anspruch auf Besserung“ ist. Schließlich gibt es zu viele subjektive Störfaktoren, die einer effektiven Hilfe im Wege stehen können. In den traditionellen und erfahrenen helfenden Berufen (Heilberufe, Gesundheitsberufe)) hat sich daher die „Hilfe zur Selbsthilfe“ als ein effektives und realistisches Konzept durchgesetzt.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Hilfe /Februar 2018)
Daran sieht man schon, wie vielschichtig allein die Begriffsbestimmung rund um die „Hilfe“ ist!
Synonyme sind beispielsweise:
Anteilnahme, Anwesenheit, Einsatz, Mitwirkung, Unterstützung, Besuch, Beistand, Betreuung, Fürsorge, Stütze, Assistenz.
Das Gegenteil von Hilfe ist:
Schaden, Unterlassung, Beeinträchtigung, Problem, Hilflosigkeit.
Und auch das spricht für sich, oder?
Eine schöne Beschreibung fand ich noch:
- Hilfe = „mit fremder Hilfe eigenständig“!
„Stärke beginnt dann, wenn wir anfangen, unsere Schwächen nicht länger als Schwäche zu sehen, sondern als große Chance um mehr Unterstützung und Hilfe anzunehmen.“
Nach „lieben“ ist „helfen“ das schönste Zeitwort der Welt.
-Bertha von Suttner-
Unsere missliche Lage
Es ist oft eine missliche Lage, in der wir uns befinden, wenn wir überlegen, wem wir von unseren „Lebens-Umständen“ oder von unserer Erkrankung erzählen sollen, wann und ob wir es überhaupt erzählen, ob es Sinn macht, ob es von Vorteil ist oder von Nachteil.
Im Endeffekt muss das jeder für sich entscheiden.
Allerdings wird jemand, der Sorge trägt, dass er seinen Arbeitsplatz verliert, wenn er sich „outet“, dies vermutlich nicht gerne tun. So gibt es viele Beispiele. Wann aber ist dann der richtige Zeitpunkt?
Ich habe die Diagnose meiner MS jahrelang - außer den engsten Angehörigen - niemandem mitgeteilt. Im Nachhinein denke ich, dass es oft hätte hilfreich sein können und mir womöglich einige Missverständnisse und Aufregungen erspart geblieben wären. Man weiß es aber einfach nicht.
Es sind meist Ängste, die uns veranlassen mit der Diagnose hinter dem Berg zu halten: „Wie reagieren meine Freunde? Möchten sie dann noch mit mir zusammen sein? Werde ich zur Belastung?“ - und und und.
Ängste sind evolutionsbedingt dazu da, um uns vor Gefahren zu schützen. Aber es zeigt sich auch ganz oft, dass es sich lohnt, Ängste zu überwinden.
Mir geht es in diesem Buch um das gegenseitige Verstehen, um das Akzeptieren und um das klare Definieren von Erwartungen auf beiden Seiten.
Ich kam zu diesem Thema über eine liebe Freundin, die auf ihrer Arbeitsstelle schon lange ihre MS bekannt gegeben hat. Es wird sehr viel Rücksicht genommen. Und hier beginnt das Dilemma: Wie viel Rücksicht ist gut? Wie viel Rücksicht mögen wir und wann schadet uns die Rücksicht?
In ihrem Fall haben Kollegen einige meiner Bücher gelesen, um die Krankheit besser zu verstehen und sind unweigerlich damit konfrontiert worden, dass wir sehr oft lächeln - auch wenn es uns schlecht geht. Es kam die Frage einer lieben Kollegin auf: „Hast Du wirklich IMMER „pelzige“ oder „kribbelnde“ Beine und Sensibilitätsstörungen?“. „Ja“, antwortete meine Freundin, „Immer!“. Die Kollegin fragte daraufhin: „Auch jetzt?“. „Ja, auch jetzt!“.
Das setzte sich fort und die Kollegin fragte, wie sie damit leben könne, immer Schmerzen an den Beinen zu haben oder dass sich alles taub anfühle und sie trotzdem arbeiten ginge? Diese Vorstellung hat sie sehr getroffen und berührt.
Das zeugt von großer Empathie und meine Freundin war natürlich daraufhin ebenfalls gerührt.
Aber, und nun kommt der Grund, warum ich dieses Buch schreibe: Es hat auch etwas mit meiner Freundin gemacht. Sie empfand diese Empathie mit dankbarer Freude und gleichzeitig hat es sie bedrückt.
Wir haben uns oft immer wieder über diese und ähnliche Situationen unterhalten und festgestellt, dass so viel Empathie mit enormer Rücksichtnahme auch nicht so einfach ist. Denn genau auszuloten, was ihr an Arbeit guttut, was sie (wann) leisten kann, ist sehr schwierig. Für beide Seiten. Sie erklärte, dass es Tage gäbe, an denen sie „normal fit“ sei (das ist dann genau unserer üblicher IST-Zustand, der Status Quo sozusagen) und dass es Tage gäbe, an denen es ihr weniger gut ginge und sie dankbar für Hilfe wäre. Und dass sich dieser Zustand bei MS innerhalb einer Stunde mehrfach ändern könne.
WIE soll ein Angehöriger damit umgehen? Diese Frage stellten wir uns bei unseren Überlegungen auch. Wir selbst können unseren Zustand ja oft nicht einschätzen, wir selbst sind oft überrascht, wenn sich innerhalb von Minuten unser Zustand ändert. Und zwar sind alle Richtungen offen: Von super gut zu völlig schlecht, von völlig schlecht zu sehr gut und zu allem was dazwischen liegt.
DAS kann man nicht erklären und das ist unser Dilemma.
Freunde und enge Angehörige können im besten Fall damit umgehen, aber auf der Arbeit ist das ja nochmal etwas anderes. Denkt man. Ist das so?
Und wieder sind wir mitten in unserer misslichen Lage.
Hilflos stehen wir da.......