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E-Book

Der letzte Kommunist

Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau

AutorMatthias Frings
VerlagAufbau Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl496 Seiten
ISBN9783841215796
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Im Sommer 1980 zieht Ronald M. Schernikau nach Westberlin. Der 20-Jährige ist eine Lichtgestalt der deutschen Literatur, Autor der erfolgreichen »Kleinstadtnovelle«. Voller Elan stürzt er sich ins Nachtleben. Er lernt die Welt der Schwulenkneipen, der Saunen und Discos kennen. Er trifft die Liebe seines Lebens und Freunde, die wie er die Welt erobern wollen, darunter den jungen Schauspieler / Kellner / Autor Matthias Frings. Doch in einem Punkt unterscheidet sich Schernikau von den anderen: Er ist Kommunist. Obwohl seine Mutter 1966 mit ihm im Kofferraum eines Diplomatenwagens über die innerdeutsche Grenze geflohen war, setzt er alles daran, am Literaturinstitut in Leipzig zu studieren. Es gelingt ihm, und er fasst einen großen Entschluss: Zum Entsetzen seiner Freunde will er DDR-Bürger werden. Im September 1989 erfüllt sich sein Lebenstraum. Doch kurze Zeit später ist Ronald M. Schernikau schon wieder am falschen Ort. Die Mauer fällt, und er erhält eine tödliche Diagnose. »Ein persönliches, liebevolles, dabei dokumentarisches Werk.« Süddeutsche Zeitung. »Eine einfühlsame Biographie des Autors und Kommunisten Ronald M. Schernikau, die seinem Leben gerecht wird.« Dietmar Dath.

Matthias Frings, 1953 in Aachen geboren, war Journalist und Fernsehmoderator und lebt als Schriftsteller in Berlin. Er studierte Anglistik, Germanistik und Linguistik. In den 80er Jahren veröffentlichte er mehrere erfolgreiche Sachbücher, darunter 'Liebesdinge. Bemerkungen zur Sexualität des Mannes.' Ab 1986 arbeitete er als Radiomoderator beim SFB. Von 1993 an war er Redaktionsleiter und Fernsehproduzent. Bekannt wurde er als Moderator der Sendung 'Liebe Sünde'.

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Leseprobe

1.


Mein Name ist Helmut Frings. So stand es jedenfalls 1980 noch in meinem Pass. Ich war siebenundzwanzig Jahre alt, arm und bester Laune. Vor drei Jahren war ich aus der rheinischen Provinz in die Mauerstadt gezogen, um das Theater neu zu erfinden. Ein frischgebackener »Magister Artium«, hellgrün hinter den Ohren und auf Arbeitssuche als Dramaturg oder Regisseur. Staatstheater kamen nicht in Frage, da saß die alte Garde. Eine freie Gruppe musste es sein, aufregend, provokant, experimentell.

Mit dem ahnungslosen Optimismus einer Provinzmaus klapperte ich sämtliche Ensembles ab und kam aus dem Staunen nicht heraus: Niemand redete über Theater, alle über Politik. Natürlich war ich politisch nicht unbeleckt, wie sollte man anders durch die Siebziger gekommen sein? Die Nachwehen von Achtundsechzig, der gummiartige Toleranzterror der Sozialdemokratie, erste Bürgerinitiativen, der Atomstreit und schließlich der Deutsche Herbst hatten niemanden kaltgelassen. Und wer nicht politisch war, tat wenigstens so.

Die undogmatische Linke, Spontis sagte man damals, war meine politische Heimat. Aber was die freien Theatergruppen in den Bewerbungsgesprächen von mir wissen wollten, war denn doch eine saftige Überraschung: Wie ich zur DDR stehe und zu China, was ich vom Marxismus-Leninismus halte, vom Trotzkismus und Stalinismus, ob ich den Arbeiterkampf lese oder Die Wahrheit? Ich las Theaterstücke, traute mich aber nicht, das zu sagen. Diese jungen Schauspieler schienen sich für alles Mögliche zu interessieren, nur nicht für ihre Kunst.

Aber ich hatte Anfängerglück. Das Zan Pollo Theater suchte dringend einen Mitarbeiter. »Hast du Schauspielerfahrung?«, hatte man gefragt, und ich antwortete versuchsweise mit ja. Das war gelogen, doch schon wenige Wochen später stand ich als durchgeknallter Marquis in einer Molière-Collage auf der Bühne. Dann kam eine zweite Produktion, eine auf Polit getrimmte Adaption von »Gullivers Reisen«. Es gab durchaus Talente in der Gruppe. Ich gehörte nicht dazu. Sonderlich viel ausgemacht hat es mir nicht, schließlich wollte ich Regisseur werden und nicht Jutta Lampe.

Unmerklich aber hatte mein Theatertraum schon begonnen, sich aufzulösen. Das Zan Pollo Theater stand der SEW nahe, der Sozialistischen Einheitspartei Westberlin, einem Ableger der ostdeutschen SED. Die Gruppe sollte sozialistisch und demokratisch sein, aber komischerweise hatte außer der Leitung niemand etwas zu sagen. Kritik von unten war »individualistisch« und damit zersetzend. Mir wollte das nicht in den Kopf, Individualismus fand ich gut.

Noch etwas anderes ließ mich zweifeln, ob diese Bühnenwelt auch die meine sei: Diese Theatermenschen waren so dünnhäutig, so feinstofflich, stets kurz vor einer Hysterie oder einer Intrige. Abends wurde erst getrunken und dann geweint. Auch andere Schauspieler, die ich im Lauf der Zeit kennenlernte, schienen sich ihre besten Auftritte für das Privatleben zu reservieren.

Nie im Leben wäre es mir in den Sinn gekommen, zu robust für die ätherische Künstlerwelt zu sein. Doch ich fühlte mich fehl am Platz und brauchte Zeit zum Nachdenken, so leicht gibt man schließlich seinen Jugendtraum nicht auf. Wenn schon handfest, dann auch richtig, dachte ich mir und begann im respektablen Beruf des Kellners zu arbeiten.

Meine neue Bühne hieß nun Schwarzes Café, ein Treff für Spontis und Anarchos, Feministinnen und Schwule. Das meistgehörte Wort an den gescheuerten Holztischen war »Projekt«, dicht gefolgt von »kiffen«. Es war eine gute Zeit, die Bezahlung anständig –15 Mark die Stunde – und die Kundschaft interessant. Neben den üblichen Studenten und jungen Müttern kamen auch Maler und Literaten, Politaktivisten, Kommunarden, Schauspieler und Journalisten. Die Schwestern Kinski schauten genauso vorbei wie die Schauspielerfamilie Bennent, wenn sie gerade in der Stadt war. Das Supermodel dieser Zeit, Veruschka, kam barfuß, ellenlang und wunderschön. Sie bestellte ein Spiegelei und sagte, dass ihr Freund Mario das Café empfohlen hätte. Das war Mario Adorf. Alle mochten die Atmosphäre des Cafés, das sich von den üblichen schmuddeligen Alternativprojekten deutlich unterschied. Die Möbel waren nicht vom Sperrmüll und der Kuchen vom Feinsten. Außerdem stand in der ersten Etage eine klitzekleine Bühne zur Verfügung. Falco und Georgette Dee sangen hier lange, bevor sie berühmt wurden. Ob Demonstration oder Premiere eines Frauenkabaretts, wir wussten als Erste davon. Oft wurden die neuesten Projekte am großen Kollektivtisch gleich neben dem Tresen ausgeheckt. Im Hinterzimmer war sogar die taz gegründet worden.

Mein Kellnerjob war als Zwischenstopp gedacht. Einmal am Feierabend die Arbeit wirklich hinter sich lassen können und die freie Zeit nutzen für das Nachdenken über die Zukunft.

Das Nachdenken wurde mir überraschend schnell abgenommen. Wenn es irgend ging, arbeitete in meiner Schicht auch Elmar Kraushaar, ein Zweimetermann von unzeitgemäßer Leibesfülle und nicht gerade arm an Kopf- und Körperbehaarung. Hin und wieder legte er rosa Lidschatten auf und wirkte damit wie eine Riesengeisha. Etwas weniger unauffällig war meine Wenigkeit: Gelbe Schuhe, knallrote hautenge Cordjeans, T-Shirts mit Trompetenärmeln in allen Farben des verfügbaren Spektrums. Dazu schulterlange blonde Locken und ein halbes Pfund Kajal um die Augen. Dezenz sah anders aus. Kein Wunder, dass uns ein Demo-Transparent besonders gefallen hatte: Wir bleiben unserem Motto treu, schwul, pervers und arbeitsscheu!

Kraushaar hatte sich als Herausgeber der Anthologie Schwule Lyrik – Schwule Prosa einen Namen gemacht. Schon damals wurde hitzig darüber diskutiert, ob ein Konzept wie »schwule Literatur« überhaupt tragfähig sei. Was genau hatte das Begehren eines Schriftstellers in seiner Kunst zu suchen? Würdigte man sie so nicht zum profanen Bekenntnis herab? Andererseits beschrieben heterosexuelle Autoren mit großer Selbstverständlichkeit ihre Sexualität. Hatte man je von einem Hetero-Autor gehört, der sich aus künstlerischen Gründen die Beschreibung seiner Lebenswelt verbot? So entstand die Unterscheidung zwischen »schwulen Autoren« und »Schwulenautoren«, Zuschreibungen, über die bis heute mit Lust gefochten wird.

Elmar Kraushaar hatte die Idee, ein Sachbuch zu schreiben. Es sollte selbstbewusst und vergnüglich sein, politisch Stellung beziehen und gleichzeitig einen hohen Gebrauchswert haben: Männer. Liebe. – Ein Handbuch für Schwule und alle, die es werden wollen. Jeder junge schwule Mann sollte es ohne Probleme am Bahnhofskiosk kaufen können. Also verbot sich ein Verlag der »Gemeinde« wie Rosa Winkel, dessen Erzeugnisse nur in linken Buchläden erhältlich waren. Kraushaar wollte zu Rowohlt, wohl wissend, dass es bei den Großen noch nie ein solches Buch gegeben hatte. Heute kaum vorstellbar, aber 1980 galt dies in der Szene als Skandal: Wie konnte man nur beim »Feind« veröffentlichen? Sie lagen schon sehr eng an, die linken Scheuklappen.

Zwischen Milchkaffee und Käsekuchen fragte Kraushaar, ob ich sein Co-Autor sein wolle. Ausgerechnet ich. Außer für die Studentenzeitung und eine Handvoll kleiner Publikationen hatte ich nichts geschrieben und auch keinerlei Ambitionen. War der Mann von Sinnen? Ein Buch mit einem völlig unerfahrenen Co-Autor, und dann auch noch ganz bescheiden bei Rowohlt?

»Lass uns mal ein Exposé machen«, drängelte Kraushaar. Das war meine Rettung: Wir würden ein kompromissloses Konzept entwerfen, jede Menge Absagen erhalten, und damit wäre das Thema vom Tisch. Also schrieben wir unser Exposé, tüteten es ein und schickten es tapfer nach Reinbek. Drei Wochen später erhielt ich einen Anruf. Ein gewisser Ludwig Moos, Lektor bei Rowohlt. Das sei alles sehr interessant, wann wir denn, bitte, den Vertrag machen könnten?

Ich war am Boden zerstört. Mein Leben lang hatte ich höchste Achtung vor Büchern gehabt. Schriftsteller nahmen uneingeschränkt den ersten Platz bei meinen Hausheiligen ein. Und jetzt sollte ich ein Buch schreiben? Ich? Ein BUCH? Ich musste einen triftigen Grund finden, dieses Buch abzusagen. Ich bekam Durchfall.

Aber nicht ein einziges Gegenargument wollte mir einfallen. Das Konzept war gar nicht so schlecht. Also fuhren wir nach Reinbek, unterschrieben den Vertrag und begannen mit der Arbeit. So kam es, dass ich überraschend an einem Buch arbeitete, als ich den Jungautor Ronald Schernikau kennenlernte.

***

Hätte es damals schon die Erfindung des »Fräuleinwunders« im deutschen Literaturbetrieb gegeben, Schernikau wäre sein erster Protagonist gewesen. Wir alle kannten seinen Namen, hatten sein erstes Buch gelesen. Wann hatte es das zuletzt gegeben: Ein blutjunger Schüler aus der Provinz schreibt über einen blutjungen Schüler aus der Provinz und macht damit Furore? Mit siebzehn hatte er ein Manuskript mit der Frage begonnen: »wie wirkt, worin wir leben?« Jetzt war er zwanzig und hatte im Rotbuch-Verlag seine Kleinstadtnovelle veröffentlicht. Gleich nach dem Abitur war er nach Berlin gezogen, genau wie der Held am Ende seines Buchs. Life imitates art.

Schon nach wenigen Tagen war die Erstauflage verkauft, der Verlag musste kräftig nachdrucken. Anfangs hatte die Lektorin Schernikaus Alter für eine Fiktion gehalten. Sie sah darin einen leicht lächerlichen Versuch der Legendenbildung. Die Kleinstadtnovelle kam so reif daher, so frisch und heiter, gleichzeitig souverän in den erzählerischen Mitteln, dass sich die Medien mit Verve auf ihn stürzten. Man sah ihn im Fernsehen und hörte ihn im Radio. Es gab zahlreiche Rezensionen, selbst im SPIEGEL, was ihn besonders stolz machte....

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