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E-Book

Wir glauben, weil wir lieben

Woran ich glaube

AutorEugen Drewermann
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783843610988
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Seine Thesen haben zum erbitterten Konflikt mit der katholischen Kirche geführt. Am Ende stand sein Rauswurf als Hochschullehrer und Priester. Wie kaum einem anderen Theologen gelingt es Drewermann, den Sinn des christlichen Glaubens in einfachen Worten zu erschließen. Durch sein therapeutisches Verständnis von Religion hat er vielen Menschen zu einer neuen, lebensbejahenden Glaubenspraxis verholfen. Das Buch zum 70. Geburtstag, in dem Drewermann auf seinen Lebensweg zurückblickt und seine wichtigsten Themen erläutert.

Dr. Eugen Drewermann ist Theologe, Psychoanalytiker und Schriftsteller mit internationaler Reichweite; er gehört zu den erfolgreichsten theologischen Autoren. Für sein friedenspolitisches Engagement wurde er 2007 mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnet, 2011 erhielt er den im selben Jahr erstmals verliehenen internationalen Albert-Schweitzer-Preis. Der gefragte Referent nimmt immer wieder Stellung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen.

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Leseprobe

Mein Vorbild Albert Schweitzer


Herr Drewermann, warum haben Sie sich damals, nach Ihrem glänzenden Abitur, mit 20 Jahren für das Theologiestudium entschlossen?

Weil die Frage nach Gott, dem Sinn des Lebens, der Einheit der Welt für mich zentral zu sein schien. Ich hatte mit 13, 14 Jahren Albert Schweitzer als Vorbild und den Wunsch, irgendetwas Vergleichbares zu tun, was den Menschen hilft – Arzt zu werden, zum Beispiel. Dieser Wunsch ist lange präsent geblieben. Ich wollte nach dem Theologiestudium noch Medizin studieren. Aber in dieser Reihenfolge. Denn ganz ähnlich wie bei Albert Schweitzer wäre ich aus einem christlichen Impuls heraus Arzt geworden. Ich hätte dann tun mö­gen, was ich im Vorbild Jesu für bahnbrechend und wegweisend geglaubt hätte. Fragen dieser Art wollte ich aber erst einmal nachgehen, sie für mich selber klären und auch für die Menschen, mit denen ich im Gespräch war. Ich bin eigentlich nie ohne erhebliche Zweifel an den scheinbaren Sicherheiten der kirchenchristlichen Verkündigung ausgekommen. Das Studium schien mir damals ein Weg zu sein, durch sachfundiertes Wissen, durch korrekte Informationen, durch klares, schlussfolgerndes Denken Zweifel auszuräumen. Dass ein solches Vorgehen ausgerechnet im Gebiet der Theologie die Fragen eher vermehren würde, war mir damals nicht so klar.

Warum wollten Sie denn katholischer Priester werden? Hat Sie Ihr Vater, Ihre Mutter nicht gewarnt? Sie kannten doch schon den Klerikerstand?

Ich habe nie wirklich berufsbezogen gedacht. Damals, 1960, wissenschaftlich Theologie zu studieren, war eigentlich nur möglich als Priesteramtskandidat, zumindest im Raum der katholischen Kirche. Wohl hätte man sich als Lehrer ausbilden lassen können, natürlich. Aber das wäre kein Theologiestudium gewesen, wie es mir vorgeschwebt hätte. Es wäre nicht gründlich geworden. Ich wollte mich nie für irgendein Amt in irgendeiner Institution bewerben, das war wirklich sekundär. Aber was Sie andeuten, stimmt: Ich hatte damals noch der katholischen Kirche zugetraut, dass auch für sie selber die Fragen der Beamtung zweitrangig wären und dass sie an Menschen interessiert sei, die offen sind, die sich unterwegs fühlen, die ehrliche Fragen anmelden und ehrliche Antworten suchen. Was meine Eltern ­angeht – mein Vater war evangelisch, meine Mutter katholisch. Der katholische Elternteil, meine Mutter, hatte damals bei der Trauung zu versprechen, dass die Kinder katholisch getauft und erzogen würden. Für meinen Vater war das kein Problem, weil er der Auffassung war, die Frau erziehe ohnedies die Kinder. Er hatte einen sehr schönen Satz geprägt: Wenn die Kinder so werden, wie seine Frau schon ist, werde es wohl vor Gott und den Menschen in Ordnung sein. Er meinte damit, dass die Pastoren nicht das Recht hätten, Menschen, die einander lieben und zueinandergefunden haben, mit irgendwelchen Steuerinteressen auseinanderzureden. Er dachte in seinem Sinne auf humanitäre Weise pragmatisch. Auch später hätte er jeden Berufswunsch toleriert. Nur wenn ich ihm gesagt hätte: »Ich will wie du unter Tage Fahrsteiger werden«, ich glaube, da hätte ich Schwierigkeiten bekommen.

Haben Sie während Ihres Studiums und Ihres Weges zum Priesteramt nicht selbst oft Zweifel bekommen? Gab es keine warnenden Stimmen?

O ja, die gab es sehr, schon deshalb, weil mein Interesse an der Theologie ganz entscheidend aufgeladen war durch die Lektüre Søren Kierkegaards. Ich glaube, Graham Greene hat recht, als er einmal sagte, Schriftsteller behielten ihr Leben lang die Fragen, die sie mit 17 und 18 Jahren hatten, der ganze Rest sei ein Kommentar zu diesen Schlüsselfragen. Das ist bei mir ganz sicher der Fall gewesen und geblieben. Bei Søren Kierkegaard hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, zu verstehen, was Jesus wollte, und zugleich genauso klar vor mir zu sehen, was nicht gemeint sein kann. Bei dem dänischen Religionsphilosophen habe ich gelernt, dass die Grundfragen des Menschen zwischen Angst und Vertrauen gestellt werden, dass man Ethik und Religion voneinander trennen muss, dass das, was sich heute Kirche nennt oder als Christenheit versteht, eigentlich nur noch als Travestie und Farce auf das ursprünglich Gemeinte gesehen werden kann. Das alles war zunächst um 1850 eine Kritik innerhalb des dänischen Protestantismus. Viel weiter und viel zutreffender aber waren alle seine Aussagen bezogen auf die katholische Kirche. Es gibt keinen Autor, der so klar wie Kierkegaard gesehen hat, dass ein beamtetes Christentum eine einzige Lüge sein muss. Der Katholizismus aber basiert auf genau dieser Vorstellung, dass man Gott verbeamtet und dogmatisch abgestützt den sogenannten Gläubigen gegenwärtig ­setzen kann – in allen wesentlichen Punkten: von der Eucharistiefeier über die Sündenlossprechung bis zum Sterbesakrament. In all den Punkten braucht es einen Pfarrer, der im Amt Gott vor den Gläubigen vertritt. Die Existenz des geistlichen Herrn, seine Person, ist dabei völlig relativ, absolut ist sein Amt, ist das Kirchesein, das ­Institutionelle.

Mit diesen Vorstellungen war ich ins Theologiestudium gekommen. Es gab damals aber noch einen Punkt, der mir von Anfang an zum Sprengstoff geriet, ein wirklicher Schock: Das war 1955 die Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Es gingen damals Millionen Menschen auf die Straße. Sie sagten: »Zehn Jahre nach dem Desaster des verdammten Krieges halten wir nicht schon wieder unsere Knochen hin. Dafür sind wir nicht nach Hause gekommen, dass wir jetzt unsere Kinder wieder Soldaten werden lassen. Irgendwann muss Schluss sein.« Das aber wollte die Adenauer-Regierung partout nicht, und das wollte auch die katholische Kirche nicht. Es gab damals Protestanten, Niemöller, Gollwitzer, die in dem Punkte eindeutig waren. Niemöller bekam fertig, zu sagen: »Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Kind, in Washington gezeugt und im ­Vatikan getauft.« Ein solches Wort war eindeutig. Ich hatte damals noch nicht wirklich mitbekommen, dass schon 1952 im europäischen Verteidigungsgemeinschaftsvertrag die katholische Kirche und die Adenauer-Regierung dabei waren, auf Druck der Alliierten hin Deutschland in ein Militärbündnis einzufügen. Der Plan scheiterte an den Franzosen, die nicht östlich des Rheins schon wieder eine deutsche Armee unter Waffen sehen wollten. 1955 aber waren wir so weit. Der damalige Papst Pius XII. erklärte in seiner Weihnachtsansprache, dass kein Katholik das Recht habe, sich auf sein Gewissen zu berufen und den Wehrdienst zu verweigern, und so sagten es alle »Maßgeblichen«: die Bischöfe, die Pfarrer, die Moraltheologen – alle.

Haben Sie damals im Priesterseminar rebelliert? Haben Sie Ihre Stimme erhoben? Sind Sie unbequem geworden?

Ich wusste, dass ich den Wehrdienst verweigern würde. Ich habe damals Fotobände mit Gedichten, die ich verfasst hatte – meine ersten publizistischen Versuche –, herumgereicht im Theologenkonvikt, bis mir politische Propaganda untersagt wurde. Man sollte nicht agitieren für den Pazifismus. Das war bei der Aufnahme ins Konvikt das erste Gespräch in Münster. Es irritierte den Rektor, dass ich mich gegen die Auffassung der katholischen Kirche in diesem Punkte ­äußerte. Es sei kein Denken im Sinne der Kirche, kein »Sentire cum Ecclesia«, was er da sehen müsste. Das stimmte auch. Ich glaubte zu wissen, dass die katholische Kirche in einer mir ganz entscheidenden Frage die Menschen nicht christlich unterweist, dass sie an einer Stelle Gewissenszwang ausübt, wo er nicht sein darf. Ich war auch nicht willens, dies hinzunehmen. Ich dachte, dass in diesem Punkte mein Gewissen nicht irrig sei. Ich wollte eine objektive Lösung. Mir hat es dann wenig geholfen, dass 1963 im 2. Vatikanischen Konzil ­befunden wurde, dass es auch einen Friedensdienst ohne Waffen geben könnte. Jetzt plötzlich, nach dem 2. Vatikanischen Konzil, durfte man auch den Wehrdienst verweigern, jetzt hatte man die Freiheit dazu. Doch die Feigheit blieb. Man fügte sich weiter dem Druck einer zentralistischen, uniformierten, dogmatischen Festlegung, und das war für mich noch ungeheuerlicher als das, was 1955 passiert war. Plötzlich redeten alle anders, nur weil es erlaubt war. Was aber hatten sie denn vorher gedacht und geglaubt? Religiöse Überzeugungen darf man doch nicht verwalten wie im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei oder in irgendeiner anderen politischen Gruppierung, die ihre pragmatische »Geschlossenheit« herstellen will.

Wie haben Sie das als Priester ertragen? Warum sind Sie in dieses System eingetreten?

Nicht ganz so schnell! Es gab noch eine dritte Frage, die damit zusammenhing und die Vorbehalte, die die ganze offizielle Theologie mit sich brachte, verstärken musste – das war der Umgang mit den Tieren. Auch da war ich der Meinung, die ganze Schöpfungslehre der Kirche sei zu optimistisch, sie stimme so nicht. Es gibt nach meiner Meinung kein gutes Recht, mit den Tieren so umzugehen, wie es ­üblich ist und von der katholischen Theologie vertreten wird: die Tiere seien den Menschen untertan und wir dürften sie für uns in jeder Form benutzen. Fragen danach aber wurden nicht einmal ansatzweise diskutiert. Wenn ich Schopenhauer zitierte, war es halt nicht Thomas von Aquin, und es war doch klar, was man zu lesen hatte.

Mit all den Schwierigkeiten konnte ich insofern leben, als ich mich der Illusion hingab, dass man in der Kirche eigentlich doch auf Leute treffen könnte, mit denen sich reden ließe. Daran habe ich wirklich geglaubt. Es gab immerhin Karl Rahner, es gab irgendwo einen vernünftigen Pater. Ich hatte schon mal Leute kennengelernt, unter tausend Pastoren vielleicht einen, der...

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