VORWORT
Es ist mir ein großes Vergnügen, für dieses Buch von Ray Coppinger und Mark Feinstein über die Ethologie der Hunde ein Vorwort zu verfassen. Verdoppelt wird dieses Vergnügen noch dadurch, dass das Buch sowohl dem Wolf Park in Indiana als auch dem verstorbenen Dr. Erich Klinghammer gewidmet ist, der ihn gegründet hat. Erich Klinghammer war einer meiner Lehrer, Mitglied meiner Promotionskommission an der Universität von Chicago und in der Folge ein langjähriger Freund. Er hatte seine Karriere zwar mit der Durchführung einiger der ersten Studien zur Geschlechtsprägung bei nesthockenden Vogelspezies begonnen, aber er hatte immer Hunde – und insbesondere Deutsche Schäferhunde – geliebt. Es war seine Hündin Gitta, die vor über fünfzig Jahren eine tragende Strumpfbandnatter auf seiner „Forschungsfarm“ im Norden Indianas gefunden hatte. Da Erich um mein Interesse an Schlangen wusste, überließ er sie mir. Die Jungen dieser Schlange führten zu meiner ersten Forschungsarbeit zum Thema Schlangen und schließlich auch zu meinem Dissertationsthema. Sie waren ein Schlüsselfaktor in meiner nachfolgenden Laufbahn in der Ethologie von Schlangen. Ich erwähnte sowohl Erich als auch Gitta in der Danksagung zu meiner ersten Publikation (Burghardt 1966), wobei mir die Tatsache, dass Gitta ein Hund war, irrelevant erschien. Erich und die Hunde haben meine Karriere also stark beeinflusst. Als Erich eine starke Allergie gegen Vögel entwickelte, wandte er sein akademisches Interesse dem Verhalten von Hunden und anderen Caniden zu. Er setzte sich für vernünftige Haltungsbedingungen in Gefangenschaft lebender Wölfe ein, leistete viel für den Arterhalt der Wölfe und brachte die Verhaltensforschung voran, indem er wichtige Bücher aus dem Deutschen übersetzte.
Den ersten Autor dieses Buchs, Ray Coppinger, kenne ich fast ebenso lange. Ich hege große Zuneigung für ihn, weil er mit seinem Sinn für Humor die Anspannung aus dem vermutlich blamabelsten Ereignis meiner Wissenschaftlerlebens genommen hat. Es war 1968 in Dallas auf einer Tagung der Amerikanischen Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaft im Bereich des Tierverhaltens, als er gleich nach mir seine Dissertation zu Vögeln präsentierte. Ray ist also ebenfalls ein aus der Welt der Ornithologie geflohener und hat seitdem mit Kollegen und Studenten die detaillierte Funktionsweise des Hundeverhaltens erforscht. Seine wichtigen, aber unzureichend gewürdigten theoretischen Schriften (Coppinger und Smith 1989) haben mein eigenes Denken über die Evolution von Tierverhalten, insbesondere das Spiel, sehr verändert.
Dieses Buch über die Ethologie des Hundeverhaltens schwimmt auf der Welle eines wiedererwachten wissenschaftlichen Interesses an Hunden und ihrer Evolution, ihrem Verhalten, ihrer Kognition und ihrer Domestikation. Die Menschenaffen als die nächsten Verwandten des Menschen dienten schon seit dem neunzehnten Jahrhundert als ikonische Spiegel des Menschenverhaltens. Dazu zählen auch die berühmten Versuche von Wolfgang Köhler zum „Lernen durch Einsicht“ aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, die Gefangenschaftsstudien von Robert Yerkes in den 1920er Jahren, die Pionierarbeit leistende Feldforschung von Jane Goodall in den 1960ern, die sprachtrainierten Affen der 1970er und die kognitiv sowie sozial versierten Affen, die man heute so umfangreich in populärwissenschaftlichen Büchern und im blühenden Wissenschaftsfeld namens „vergleichende Kognitionsforschung“ beschrieben findet. Aber allmählich bahnen sich auch die Hunde in das Pantheon der superschlauen Tiere – und zwar in einem solchen Ausmaß, dass selbst Primatenforscher inzwischen teilweise ihr Interesse den Caniden zuwenden.
Dabei ist die Geschichte des Hundes als nützlicher Zugang zu den Mysterien und Ursprüngen des menschlichen Verhaltens schon recht alt. Charles Darwin, der Hunde mehr als alle anderen Tiere liebte, besprach rassespezifische Unterschiede im Verhalten und deren wissenschaftliche Bedeutung 1859 in seinem berühmten Kapitel über den Instinkt in Die Entstehung der Arten. Im späteren Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl (Darwin 1871) sowie in seinem Buch über die Emotionen (Darwin 1872) führt er Hunde als Beispiele seiner drei Emotionstheorien an und argumentiert, Hunde hätten Attribute, die wir gemeinhin nur dem Menschen zuschreiben würden, wie etwa Loyalität, Liebe, Eifersucht, Stolz, Scham, Vorstellungskraft, Nachdenken, Abstraktion sowie Rudimente von Sprache. Im bahnbrechenden Buch über die Evolution des Geistes von Darwins Protégé, George John Romanes, wurden Hunde (aber keine anderen Carnivoren) gleichberechtigt mit Affen als am menschenähnlichsten in ihren geistigen Errungenschaften auf eine Stufe gestellt (Romanes 1883).
Konrad Lorenz, der Begründer der modernen Ethologie, hegte ebenfalls eine lebenslange Liebe zu Hunden, die schließlich zum ersten populären ethologischen Buch über Hundeverhalten und Evolution So kam der Mensch auf den Hund (Lorenz 1954) führte. Hier wurde eine wissenschaftlich korrektere und biologisch objektive Abhandlung des Hundeverhaltens präsentiert. Interessanterweise brauchte es die kognitive Revolution in der vergleichenden Psychologie und in der Ethologie, um Hunde wieder an die vorderste Front der Forschung zu bringen. Begleitet wurden sie dabei von der modernen Molekulargenetik, welche die Unterschiede zwischen den verschiedenen Rassen herausarbeitete. Es war wieder an der Zeit, sich Hunde noch einmal von ganz Nahem durch die ethologische Linse anzuschauen. Die Ethologie der Hunde ist ein wahrer Meilenstein und ein würdiger Nachfolger von Lorenz. Es fasst vieles von der ungeheuren Menge an neuen biologischen und ethologischen Erkenntnissen zu Hunden, Wölfen und ihren Verwandten zusammen und entstammt der kompetenten Feder von Hundeverhaltensforschern mit einer langen Historie an bahnbrechenden Beiträgen. Außerdem betrachten die Autoren verschiedene Rassen anstatt nur „den Hund“ allgemein, behalten konsequent die ethologische Herangehensweise bei und präsentieren wie Lorenz provokative anstatt allgemein akzeptierte Sichtweisen auf viele wichtige Aspekte des Hundeverhaltens. Auf diese Weise werden nicht nur Hundebesitzer und Hundefreunde aus diesem thematisch weit gefassten Buch viel über Hunde und über Wissenschaft lernen, sondern Hundeprofis und Hundewissenschaftler werden erleben, dass sie einige ihrer überkommenen Auffassungen ändern müssen.
Letzterer Anspruch ergibt sich aus der Tatsache, dass derzeitige offene Herangehensweisen an die vergleichende Kognition bei Tieren nicht nur die kognitive Komplexität und Problemlösungsfähigkeiten von Menschenaffen, Affen, Hunden und anderen Spezies hervorheben, sondern auch das Einsickern unkritischen, vermenschlichenden Denkens in die Interpretation von Verhalten begünstigen. Solche Anthropomorphismen – oft als „Sünden“ betrachtet, die nur Hundehalter und Nicht-Wissenschaftler begehen - können in die Arbeit und in das Vokabular professioneller Wissenschaftler eingehen. Dies passiert durch den Wettbewerb der Wissenschaftler untereinander, zeigen zu wollen, dass Affen, Hunde und andere Tiere menschenähnliche Fähigkeiten haben – auf Grundlage der Neigung, andere Tiere durch die Brille unserer Psychologie anstatt der ihren zu betrachten. Dieser Wettbewerb hat zu anhaltenden Debatten zwischen den Befürwortern fast menschenähnlicher Intelligenz einerseits und Spaßverderbern andererseits geführt, die gerne versuchen würden, die Wissenschaftler immer wieder auf den Pfad sparsamer Interpretationen zurückzuführen, selbst, wenn diese überstrapaziert und unwahrscheinlich sind.
Lassen Sie sich auf dieses anregende Buch ein, das einen guten Weg zwischen kognitiven und behavioristischen Extremen findet sowie das Verhalten von Hunden mit den reichen konzeptuellen Instrumenten der Ethologie und grundlegender tierischer Lernprozesse diskutiert und interpretiert. Auch wenn es einen Schwerpunkt auf das faszinierende Verhalten von Schlitten-, Herdenschutz- und Hütehunden sowie von Wölfen legt, können und sollen die hier gezeigten Denkmodelle auch auf viele andere Hunderassen und auf die Verwandten des Hundes ausgedehnt werden. Dieses Buch, das unerschrocken zentrale Lehrsätze und Methoden der vergleichenden Ethologie auf das Verständnis von Hunden anwendet, öffnet neue Wege der Betrachtung von Verhalten aller Spezies – uns selbst inbegriffen. Es nimmt Lorenz’ Einsicht ernst, dass Verhalten ein ebenso charakteristisches Merkmal einer Spezies ist wie ihre Anatomie und Physiologie. Die wunderbaren, den Text begleitenden Fotos ermöglichen es dem Leser, die Körperhaltungen, Ausdrücke und Verhaltensdynamik von Hunden und Wölfen zu interpretieren und das Verständnis dieser Tiere und die Freude an ihnen zu vergrößern – so, wie die Fähigkeit zur Baumartenbestimmung das Erlebnis eines Waldspaziergangs bereichert.
Die Autoren, die Hunde und andere Tiere provokant als komplexe Maschinen betrachten, knüpfen das Studium spezifischer Typen und Sequenzen von Verhalten sowie des Lernens, der Entwicklung, der Emotion und Kognition fest an ein innigliches Verständnis von Körper, Gehirn sowie die Evolution und Modifikation instinktiver Mechanismen. Heute liefert...