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Vermessene Räume, gespannte Beziehungen

Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken

VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl388 Seiten
ISBN9783518757673
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR

Quantifizierende Verfahren versprechen Transparenz, objektive Beurteilungsmöglichkeiten und mehr Entscheidungsqualität. Nach ihrem Siegeszug in Amerika haben sie mittlerweile auch universitäre Regierungstechniken und akademische Wahrheitspolitiken in Europa umgestaltet und »unternehmerische Universitäten« hervorgebracht. Der Band untersucht die Bedeutung dieser Veränderungen für die Geschlechterdynamiken an Hochschulen, für Karriereverläufe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, für Gleichstellungspolitiken und die Gender Studies und fragt, wie diese selbst in jene Dynamiken eingebunden sind.



<p>Sabine Hark, geboren 1962, ist Soziolog:in und Professor:in f&uuml;r Gender Studies. Hark ist Mitherausgeber:in der Zeitschrift <em>Feministische Studien</em> und leitet das Zentrum f&uuml;r Interdisziplin&auml;re Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) an der TU Berlin.</p>

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Leseprobe

7Sabine Hark und Johanna Hofbauer

Vermessene Räume, gespannte Beziehungen


Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken

1. Regieren mit Zahlen


Vor einigen Jahren berichtete eine Kollegin, die an einer kanadischen Universität lehrt, von einer Erfahrung in der Kommission, die an ihrer Universität über tenure, also die Festanstellung von Assistenzprofessor*innen, zu entscheiden hat. Wiederholt war es dem multidisziplinär zusammengesetzten Komitee nicht gelungen, Einvernehmen zu erzielen über die fachübergreifend gültigen Kriterien, die den Entscheidungen zugrunde gelegt werden sollten. Um hier ein für alle Mal Klarheit zu schaffen, beschloss die Kommission, künftig auf schlichte Arithmetik zu setzen. Statt die vorgelegten Schriften inhaltlich zu bewerten, sollten fortan einfach die Seiten der Publikationen gezählt, also quantitativ gemessen statt qualitativ bewertet werden.

Wenn sich diese Geschichte Anfang der 2000er-Jahre für deutsche oder österreichische Ohren noch einigermaßen skurril angehört haben mag, so ist das geschilderte Vorgehen 2018 – mit inzwischen elaborierter generierten quantitativen Indikatoren – auch in den hiesigen Hochschulsystemen gängige Praxis. Der Magie und Macht der Zahlen, dem ihnen scheinbar innewohnenden Versprechen von Objektivität und Transparenz, Unmissverständlichkeit und Nachvollziehbarkeit, der »Aura des Notwendigen«,[1] die Zahlen zu entfalten in der Lage sind, können sich Wissenschaftler*innen wie wissenschaftliche Organisationen und Institutionen auch hierzulande immer weniger entziehen. Zu verführerisch ist die Evidenz der Zahl, die für sich zu sprechen scheint, die Möglichkeit, disziplinär bedingte Divergenzen in der allgemeinen, abstrakten 8und universell anschlussfähigen Sprache der Mathematik aufheben und die aus diesen Differenzen resultierenden Entscheidungsschwierigkeiten überwinden zu können. Zahlen lügen nicht – das glauben nicht nur Technikwissenschaftler*innen, auch für viele Geisteswissenschaftler*innen ist die Zahl inzwischen das Maß der akademischen Dinge. Wer in den vergangenen Jahren nur einmal an einer Fakultätsratssitzung teilgenommen hat, kennt den Moment, in dem die an die Wand projizierten Tabellen und die in Diagramme geronnenen Zahlen jede Diskussion über Mittel- und Personalverteilung, über Lehrdeputat und akademisches Prestige beenden.

Es sind solche »quantifizierenden Formen sozialer Rangbildung«,[2] also Verfahren der kalkulatorischen Steuerung und metrisierten Leistungserfassung und ‑beurteilung, die im Zuge der Implementation von New Public Management (NPM) europaweit an Universitäten und Hochschulen Einzug gehalten haben und den hochschulischen Alltag mehr denn je beherrschen.[3] Metrics rules! ist der hochschulische Imperativ der Stunde, gewissermaßen die Einpflanzung eines Paradoxons ins Herz des Systems Wissenschaft. Denn die durch quantitative Verfahren generierten Zahlen machen die angeblich hinterlegten wissenschaftlichen Inhalte, also das, wor9auf sich wissenschaftliche Reputation dem weithin geteilten Selbstverständnis von Wissenschaftler*innen zufolge eigentlich gründet, zwar nicht sichtbar, sie werden in der Regel aber dennoch mitgetragen und nur selten boykottiert – und fließen überdies zunehmend auch in die Selbstbeschreibungen von Wissenschaftler*innen ein.[4] Gar nicht so selten, dass im eigenen CV der persönliche h-Index[5] oder der Punktwert der universitätsinternen Leistungsbewertung vermerkt ist und noch die tägliche Statusmeldung akademischer Plattformen, »Personen in 6 Ländern haben Ihr Profil angeschaut«, als Nachweis des eigenen akademischen Erfolgs (miss)verstanden wird – eine Form »gehaltlosen Erfolgs«,[6] die Sighard Neckel als generelles Signum unserer Zeit ausgemacht hat.[7]

Arithmetische Verfahren der Erfassung und Bewertung akademischer Leistungen fügen sich so ein in die Universalisierung des gemeinhin im Modus numerischer Vergleiche operierenden 10Wettbewerbs; auch sie haben teil an der Durchdringung von immer mehr Lebensbereichen mit daten- und indikatorenbasierten Formen der Bewertung und Kontrolle, an der Ersetzung von »Fragen nach Rechenschaft und Verantwortung durch Methoden des Rechnungswesens«,[8] an der Normalisierung von quantifizierenden Grammatiken der Klassifikation, Differenzbildung und Hierarchisierung. Kennziffern gelten als Verbündete für Gleichstellungs- und Diversitätspolitiken, impact factors regieren das Publikationsverhalten der einzelnen Wissenschaftler*in, Benchmarkings und internationale Rankings steuern die strategische Ausrichtung von Universitäten, Leistungspunkt-Systeme machen aus dem Studium eine (auch) buchhalterische Aktivität, bei der am Ende weniger zählt, was studiert wurde, als der Saldo des ECTS-Kontos.

Vorangetrieben durch supranationale Politiken, die das »intellektuelle Potenzial Europas«[9] wecken sollen, haben dergestalt umfassende Governance-Reformen im Bereich der tertiären Bildung die europäischen Wissenschaftssysteme in der Tat in den vergangenen beiden Jahrzehnten auf allen Ebenen grundlegend transformiert. Zentrale Elemente jener in der Forschungsliteratur durchaus unterschiedlich bewerteten Reformen sind, so der gemeinsame Ausgangspunkt aller Beiträge in diesem Band, die formalen und informellen Operationen und Mechanismen der Vermessung hochschulischer Räume, wissenschaftlicher Praktiken und wissenschaftlicher Performanz. Sie sind Teil einer »großen Transformation«, die die Hochschulen, wie wir sie kannten, radikal umgestaltet haben.

112. Die globale Neuerfindung der Universität als unternehmerische Einheit


Mit der Diagnose einer »großen Transformation« schließen wir lose an die Analysen Karl Polanyis an,[10] der in den 1940er-Jahren bekanntlich die Herausbildung moderner Marktgesellschaften als great transformation beschrieben hat. Deren zentrale Kennzeichen waren die parallele Ausbildung von Marktwirtschaften und Nationalstaaten und vor allem eine immer stärker werdende Marktorientierung sowie die Verselbstständigung der Wirtschaft gegenüber der Gesellschaft. Die im frühen 19. Jahrhundert zunächst in Europa entstandene moderne Forschungsuniversität ist Teil jener Umgestaltung feudaler Staaten zu modernen, bürokratisch verwalteten Gemeinwesen. Sie wurde erst durch diese Transformation möglich und hatte zugleich wesentlichen Anteil an ihr, namentlich durch die auf den Nationalstaat und die Herausbildung nationaler Kulturen bezogenen Funktionen der Universität. Die Universität, wie wir sie kannten, war ein nationales Unternehmen, ermöglicht und zugleich begrenzt durch zwei parallele Entwicklungen: Ein spezifischer Vertrag zwischen Staat und Wissenschaft garantierte Letzterer für ihre Mitarbeit am Aufbau der nationalen Kultur und Identität im Gegenzug akademische Freiheit; die spezifische Binnenorganisation der modernen Universität, die dialektische Einheit von Forschung und Lehre, war das Fundament für Innovation und Leistungsfähigkeit.[11] Beides wird durch die unternehmerisch werdende Universität tendenziell außer Kraft gesetzt. Der Staat braucht die Universitäten weniger für die nationalen Aufgaben als für die Sicherung seiner globalen Wettbewerbsfähigkeit. Die vorrangige Aufgabe der Universität ist daher nicht länger die Produktion guter Bürger, sondern die Sicherung genau dieser Wettbewerbsfähigkeit. Ihre Spiritus Recti sind nicht Wilhelm von Humboldt und Johann Gottlieb Fichte, sondern Sundar Pinchai und Sheryl Sandberg. Damit erodiert indes weitgehend unbemerkt auch die Idee aka12demischer Freiheit, denn die Universität muss jetzt liefern, was der Markt verlangt. Und im Innern der »Exzellenzuniversität«, so Bill Readings schon Mitte der 1990er-Jahre, ersetzt »das allgemeine Prinzip der Verwaltung die Dialektik...

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