Schilddrüsenprobleme: weit verbreitet
Sich in unserer Gesellschaft von Reichtum und Überfluss mit Problemen zu beschäftigen, die mit einem Mangel zusammenhängen, zum Beispiel einem Mangel an Nahrung oder Nährstoffen – »das ist doch überflüssig wie ein Kropf«, sagen Sie vielleicht. Genau mit dieser Redensart stoßen Sie aber auf ein Thema, das zwar an Brisanz im Vergleich zu früher deutlich verloren hat, aber dennoch aktuell bleibt: die Schilddrüsenvergrößerung, die durch eine Mangelsituation verursacht und im Volksmund Kropf genannt wird.
Zu wenig Jod in der Nahrung?
»Auch heute noch kommt ein Kropf, von Medizinern als Struma bezeichnet, häufig vor. Mindestens 20 Millionen Menschen leiden in Deutschland laut Statistiken daran«, schreibt die Biologin und Medizinredakteurin Dr. Martina Melzer in einer Online-Ausgabe der Apothekenumschau vom 30. Juni 2017. Jodmangel sei die häufigste Ursache eines Kropfes, lässt die Autorin den Schilddrüsenspezialisten und Leiter der Klinik für Endokrine Chirurgie an der Schön Klinik Hamburg Eilbek, Prof. Dr. Jochen Kußmann, erklären.
Was ist die Ursache für den Jodmangel in unserer Nahrung? Wie kommt er zustande, wird man sich fragen. Schließlich fehlt es doch auch nicht an anderen Substanzen, die wir brauchen – Vitaminen, Mineralstoffen und anderen Spurenelementen.
Lange vor der Existenz des Menschen gehörte Jod ebenso zu den vielen chemischen Elementen, die sich auf und in der Erde befanden, wie etwa Eisen, Kupfer oder Selen. Mit der Eiszeit aber wurde es nahezu vollständig aus dem Boden herausgewaschen und in die Meere gespült. Deshalb ist es im Gegensatz zu anderen Spurenelementen nur noch in geringen Mengen im Erdreich vorhanden und wird so zur Mangelware in der Nahrungskette. Ein Focus-Online-Artikel titelt mit der Frage »Deutschland, Jodmangelland?« und legt dar, dass Deutschland zu den jodärmsten Regionen Europas gehöre, da vor Tausenden von Jahren die Gletscherschmelze das Spurenelement fortgespült habe. Das Gebiet der heutigen Bundesrepublik sei so zu einem Jodmangelland geworden und der Kropf ein übliches Anzeichen dieses Defizits – besonders dort, wo jodreiche Seefische wie Seelachs, Schellfisch, Scholle oder Kabeljau nicht auf dem Speiseplan gestanden hätten. Dies führt zu einer weiteren Frage, nämlich wie es um die Anwohner in Meeresnähe bestellt ist.
Sind Küstenbewohner weniger betroffen?
Im Meer ist die Konzentration an Jod vergleichsweise sehr hoch. Und natürlich bergen auch die Bewohner der weiten Gewässer – Seefische, Krebse und Muscheln – viel von dem wertvollen Spurenelement. So besteht die Überzeugung, dass in Küstennähe – also in Regionen, in denen häufiger Seefisch gegessen wird – der Bedarf an Jod viel besser gedeckt wird als etwa in Hochgebirgsgegenden und dass jodmangelbedingte Schilddrüsenkrankheiten bei »Nordlichtern« seltener sind als beispielsweise bei Alpenländlern. Allerdings wurde in diversen Studien festgestellt, dass diese Vorstellung nicht mehr ganz der Realität entspricht, zumal die Jodierung zahlreicher Lebensmittel wie Salz, Brot und Wurst dazu beigetragen hat, den regionalen Unterschied in der Jodversorgung zu verringern. Aufgrund einer bundesweiten Untersuchung, die bereits vor über 20 Jahren im Rahmen der Aktion »Schilddrüsen-Mobil« durchgeführt wurde, stellte man nämlich fest, dass Bewohner im Süden nur unwesentlich häufiger von einer Kropf-Erkrankung betroffen waren als Bürger aus Norddeutschland.
Frauen haben ein erhöhtes Risiko
Bei der Bemessung des Risikos für Schilddrüsenerkrankungen gibt es somit zwar kaum eine regionale Unterscheidung, wohl aber eine zwischen den Geschlechtern. Frauen tragen ein ungleich höheres Risiko als Männer, mit dem Drüsenorgan am Hals Ärger zu bekommen. Das Verhältnis liegt gemäß statistischer Daten etwa bei 3:1.
Warum sind Frauen von Schilddrüsenproblemen eher betroffen? Der Grund liegt im Gesamthaushalt der Hormone. In Zeiten hormoneller Veränderungen ist der Organismus anfälliger, und es kann auch an den Drüsen leichter zu Störungen kommen. Während beim Mann eine »radikale« Hormonumstellung nur in der Pubertät erfolgt, sind bei der Frau Veränderungen im Haushalt der Botenstoffe sehr viel häufiger: Nach der Umstellungsphase von der Kindheit zum Erwachsenenalter kommt es bei ihr während Schwangerschaft und Stillzeit sowie in den Wechseljahren zu einschneidenden Veränderungen im Körper. Neben diesen »großen« Hormonschwankungen wirken sich bei Frauen dann noch die kleineren, durch den Monatszyklus bedingten Veränderungen auf die Funktionen des Organismus aus.
Aber nicht nur diese Hormonturbulenzen machen das weibliche Geschlecht für Schilddrüsenprobleme anfälliger. Wenn eine Frau ein Kind erwartet, steigt ihr Bedarf an dem Spurenelement Jod erheblich an. Sie muss mit dem Baustein ja nun nicht nur ihre eigene Schilddrüse »füttern«, sondern auch die ihres Kindes. Dieser große Mehrbedarf bleibt über die gesamte Schwangerschaft und Stillzeit bestehen. Da eine ausreichende Jodversorgung mit der Nahrung aber nicht gewährleistet ist, kann sich bei schwangeren und stillenden Frauen schnell ein Mangel entwickeln und zu Schilddrüsenstörungen führen, die sie so schnell nicht mehr loswerden. Der großen Bedeutung von Jod in der Schwangerschaft wurde in diesem Ratgeber ein gesondertes Kapitel gewidmet. Dort können werdende Mütter alles nachlesen, was sie zur Vorbeugung von Schilddrüsenkrankheiten beachten müssen.
Zwangsjodierung von Lebensmitteln
An der Tatsache, dass sich der Hormonbaustein Jod so gut wie nicht mehr in unseren Böden findet, sondern nur noch in den Meeren, lässt sich nichts ändern. Aber natürlich kann man das Joddefizit in unserer Nahrung durch zusätzliche Jodgaben ausgleichen.
In der Tat ist es ein Leichtes, bei der industriellen Herstellung sowie beim Backen und Kochen den Lebensmitteln Jod zuzuführen. Am einfachsten geschieht dies zum Beispiel durch jodiertes Speisesalz. So wird jodiertes Speisesalz in Kantinen verwendet, Jod als Lebensmittelzusatz bei der Herstellung von Brot, Käse, Wurst etc. sowie zum Viehfutter gegeben und vieles mehr.
Aber: Wie viel Jod ist wirklich gut, und kann es aufgrund der massenweisen industriellen Anreicherung von Lebensmitteln auch zu einer Überjodierung kommen? Kann zu viel Jod schaden? In der Patienteninformation des Schilddrüsenzentrums Tegernsee findet sich dazu folgende Antwort: »Wir wissen, dass zu wenig Jod nachteilig ist. Zu viel Jod kann allerdings auch ungünstig sein. Nehmen Menschen mit einem hormonüberaktiven heißen Knoten zu viel Jod auf, kann dadurch eine Überproduktion von Schilddrüsenhormonen hervorgerufen werden.
Größere Jodmengen können auch zu einer verstärkten Bildung von Auto-Antikörpern (TPO-AK) gegen die Schilddrüse führen. Dadurch kann bei entsprechender erblicher Veranlagung eine Autoimmunthyreoiditis, also eine schmerzlos verlaufende Unterfunktion, ausgelöst werden.«
Auch die Website www.jod-kritik.de setzt sich äußerst kritisch mit der sogenannten »Jodsalzprophylaxe« auseinander. Die hierdurch nahezu vollständige Jodierung von Viehfutter – leider auch oft im Biobereich – habe praktisch zu einer Zwangsjodierung geführt. Denn tierische Produkte wie Milch, Butter, Quark, Joghurt, Käse, Eier und daraus hergestellte Produkte, die infolge der Jodfütterung der Tiere zusätzliche hohe Jodmengen enthalten, müssten nicht als jodiert deklariert werden. »Mit anderen Worten: Es gibt einen großen Bereich von Lebensmitteln mit tierischen Bestandteilen, auf deren Deklaration zwar kein Jod auftaucht, die aber über das jodierte Futter durchaus hohe, teilweise sogar sehr hohe Jodgehalte enthalten.«
Doch »wer dieses zusätzliche, praktisch unausweichliche Jod in den Lebensmitteln aus gesundheitlichen Gründen nicht verträgt – das sind u. a. Menschen mit Über- und Unterfunktion der Schilddrüse, Menschen mit den sogenannten aktiven und inaktiven Bereichen, Menschen mit den Autoimmunerkrankungen Morbus Basedow und Morbus Hashimoto [bekannter als Morbus Thyreoiditis, Anmerkung der Autorin] und Schilddrüsenkrebs – hat in Deutschland mit deutschen Lebensmitteln kaum eine Überlebenschance.
Wer nicht auf ausländische, nicht künstlich jodierte Lebensmittel ausweichen kann, wird über die jodierten Lebensmittel zwangsjodiert, zwangskrank gemacht und muß sehr nebenwirkungsreiche Medikamente nehmen, die die krank machende Jodwirkung wieder abbremsen sollen.«
Überjodierung: ein politisches Thema
Angeblich habe die Zwangsjodierung bereits circa 30 Millionen Menschen krank gemacht, und alle Appelle und Petitionen der Jodgeschädigten an die politisch Verantwortlichen seien bisher verhallt. Ein Hoffnungsschimmer sei jedoch, dass Lebensmittelhersteller zunehmend auf Jodzugaben verzichten würden – darunter vor allem die »Erstjodierer«, die nun von ihrem einst eingeschlagenen Kurs wieder abkommen.
Wie hat die Jodversorgung zu erfolgen, damit sie hilft und nicht schadet?
»Der Jodbedarf liegt zwischen 150 und 250 Mikrogramm (= Millionstel Gramm) pro Tag. Über die Nahrung führen wir heute durch die Jodierung vieler Nahrungsmittel zwischen 120 und 180 µg zu. Vor circa 25 Jahren lag die tägliche Jodaufnahme bei etwa 60 µg pro Tag. Dieser Jodmangel hat vor allem bei entsprechender erblicher Veranlagung zur Bildung von Schilddrüsenvergrößerungen (Struma) ohne und mit Knotenbildung geführt.
Durch die deutliche Verbesserung der Jodversorgung ist die Zahl der...