Albert F. Mummery am Grépon
Im Sommer 1880 fällt Mummery hoch über dem Mer de Glace bei Chamonix der Grépon auf: ein paar wilde Zinnen und Felstürme, der Gipfel aus glattwandigen Obelisken gebaut.
Zusammen mit dem berühmten Bergführer Burgener studiert er die Ostwand des Berges und entdeckt »herrliche Risse, Felsbänder und Übergänge, die den unteren Teil mit dem oberen in Verbindung bringen«.
Ein Jahr später, am 1. August 1881, Aufbruch im Salon des Montenvers-Hotels. Es ist ein Uhr früh. Burgener geht es »schlecht« und er wird mit Branntwein behandelt. Nach mühevollem Herumstolpern zwischen Steinen und mit Moränenschutt gefüllten Gletscherspalten verlassen sie das Mer de Glace und steigen über Grasbänder aufwärts. Sie halten sich links und nehmen das mittlere Couloir, das zum Berg führt. Der Bergschrund an seinem Fuß ist nicht übersteigbar, und sie queren weiter nach links, zur nächsten Rinne. Durch einen steilen Kamin, der sich über dem Eis als knapp mannsbreiter Spalt im Fels als Schwachstelle anbietet, glaubt Burgener einen Weg zu finden. Also wird Venetz, der Helfer, in den Bergschrund hinabgelassen. Er soll den Kamin zu erklettern versuchen, bleibt aber hoffnungslos stecken. Burgener, der geniale Kletterer, rettet die Situation, und zu dritt steigen sie über guten Fels weiter aufwärts.
Nach acht Stunden und einigen schwierigen Kletterstellen erreichen sie die Spitze eines großen roten Turms, der vom Mer de Glace aus deutlich zu sehen ist, aber nicht den Gipfel bildet. Es ist zu spät zum Weiterklettern, also Abstieg.
Am 3. August folgt der zweite Versuch, den schwierigsten Weg der Zeit zu Ende zu gehen. Nach dem guten Ratschlag eines Oberländer Bergführers, den Plan aufzugeben, ist Burgener wütend und so gekränkt, dass er bereit ist, sein Leben zu riskieren, um seinen Berufskollegen zu widerlegen. Kletterer waren also immer schon empfindlich, wenn es um ihre Ehre ging.
Wir erklären tugendhaft, dass der Fels nur auf ehrliche Art zu bekriegen war.
A.F. MUMMERY
Mummery: »Aus der Flut seines unverständlichen Dialekts entnahm ich, dass unser Schicksal besiegelt war. Wenn wir auch unser ganzes Leben da oben verbringen oder sogar oben lassen müssten, so wäre das seiner Meinung nach noch immer besser, als unverrichteter Dinge zurückzukehren und sich dem Hohn und Spott dieses Ungläubigen auszusetzen.«
Ja, so ist es bis heute geblieben. Wir Kletterer wachsen am Widerstand der senkrechten Felsen und jenem der Zweifler, die unsere Vorhaben für unmöglich erklären. Trotzdem, die Seilschaft scheitert ein zweites Mal. Erst beim dritten Anlauf erreichen die drei den Fuß des Gipfelturms.
Mummery: »Er war von einer Unnahbarkeit, wie ich sie selten gesehen habe. Ganz anders wie die anderen Teile des Berges war sein Gestein glatt und grifflos. Von der Spitze bis an seinen Fuß lief zwar ein Riss, vier bis fünf Zoll breit, dessen Kanten aber so glatt waren, wie sie nur der beste Steinmetz aushauen könnte, und der auch in seiner Tiefe nicht die geringste Unebenheit aufwies. Kein eingeklemmter Stein, nichts war zwischen den scharfen Kanten als Halt zu erspähen. Zu all dem hing am Ausstieg, wenn man gerade noch mit letzter Kraft oben angelangt war, ein Felsblock über, den man überwinden musste, um auf der Spitze zu landen.«
Erst nachdem es Mummery und Burgener nicht gelingt, ein Seil über die Spitze zu werfen, um den Gipfel mittels Seilzug zu erreichen, gehen sie den Gipfelturm »by fair means« an.
Was nun folgt, ist Freikletterei auf hohem Niveau. Wieder steigt Venetz voraus und eröffnet in der Felsarena der Nadeln von Chamonix 1881 (!) einen Weg, der senkrecht in den Himmel führt und schwieriger ist als alles, was bis dahin in den Alpen geklettert wurde.
Es ist natürlich völlig unlogisch, jemandem die Bezeichnung »Bergsteiger« zu verweigern, der es versteht, in schwierigerem Gelände seinen Weg zu finden. Wenn man sagt, dass Menschen, die aus Liebe zum Bergsteigertum klettern, keine Bergsteiger sind, während andere, die dasselbe aus irgendeinem wissenschaftlichen Zweck tun, der ihnen gerade am Herzen liegt, diese Bezeichnung verdienen, so widerspricht das doch allen Gesetzen der Logik.
A.F. MUMMERY
Mummery: »Das Seilwerfen hatten wir vom oberen Rand einer schmalen Mauer aus betrieben, die ungefähr zwei Fuß breit und sechs Fuß über der Scharte gelegen war. Dort hatte sich Burgener aufgestellt, um Venetz, sobald er in seine Nähe kam, mit dem Pickel weiterhelfen zu können, während meine Wenigkeit, in der Scharte stehend, ihm den ersten Teil seiner Kletterei erleichtern sollte. Sobald Venetz aus dem Bereich meiner Hilfe gelangte, lehnte sich Burgener über die Scharte, rammte die Spitze so gut es ging gegen die gegenüberliegende Felswand, wodurch etliche Tritte von recht zweifelhafter Sicherheit geschaffen wurden, auf denen Venetz ausrasten und für jeden weiteren Schritt Kraft schöpfen konnte. Bald war aber auch diese künstliche Hilfeleistung unmöglich und er einzig und allein auf seine fabelhafte Geschicklichkeit angewiesen. Schritt für Schritt erzwang er sich keuchend seinen Weg, seine Hände fingerten über den glatten Fels in der vergeblichen Suche nach nicht vorhandenen Griffen, dass es einem förmlich wehtat zuzusehen. Mit unleugbarer Aufregung folgten Burgener und ich seinen Bewegungen, und mit nicht geringer Erleichterung sahen wir endlich die Finger seiner einen Hand auf der scharf abgehauenen Spitze suchen. Noch einige Sekunden Rast, dann schwang er sich über den vorstehenden Block, während Burgener und ich uns herunten heiser schrien. Als das Seil für mich herunterkam, wollte ich erst hochmütig ohne Hilfe aufsteigen. Zuerst gelang dies auch, dann kam ein Moment etwas zweifelhaften Hängens, dem ein scharfer Ruck folgte, und wie eine Spinne mit den Gliedern aushauend wurde ich auf die Spitze gezerrt, wo ich mit ungestörter Gemütsruhe den verschiedenen höhnischen Bemerkungen meiner Genossen standhielt, die mir vorhielten, dass man sich nicht nur auf Kletterschuhe verlassen dürfe, sondern auch das liebe Seil recht notwendig hätte.« Erst im August 1892 wird Mummerys Weg wiederholt, wobei am Gipfelturm ein anderer Riss als 1881 genommen wird. Einige Tage später brechen Hastings, Collie, Pasteur und Mummery auf, um den Grépon-Gipfel »führerlos« zu erreichen, wobei Mummery die schwierigsten Passagen führt.
M. Dunod hörte in Chamonix, dass ich drei Leitern von je 10 Fuß Länge bei diesem Aufstieg mithatte; ich glaube, es ist nicht nötig zu betonen, dass das nur ein Märchen ist! Jedenfalls war es aber der Grund, dass er selber sich mit drei Leitern von je 12 Fuß Länge beschwerte.
A. F. MUMMERY
Der Mummeryriss an der Aiguille du Grépon
Was mich betrifft, der ich in den Bergen keine Zwecke irgendwelch anderer Art als mich zu erfreuen verfolge, kann ich den großen Grépon-Grat jedem anempfehlen, denn nirgends kann man kühnere Türme, wildere Klüfte oder schreckhaftere Abgründe finden; nirgends eine herrlichere Aussicht auf Berge und Seen, auf nebeldurchwogte Täler und geborstenes Eis.
A.F. MUMMERY
Mummery: »Ich weiß nicht, war es nur das Bewusstsein, dass ich heute führen sollte, jedenfalls erschrak ich über diese ungeheure Steilheit. Mit Ausnahme von zwei Stufen, wo die Felsen leicht zurücktreten, ist die ganze Wand senkrecht, ausgenommen der allererste Teil von sieben oder acht Fuß, der herausgewölbt ist und überhängt. Andererseits erschien mir der Fels viel gefurchter, als ich ihn in Erinnerung hatte, und je länger wir ihn betrachteten, desto mehr Hoffnung auf Erfolg erwachte in uns. Ich kletterte an den Fuß des Risses hinunter, und von dort begann ich über Hastings Schultern das mühsamste Stück Kletterei, das mir je untergekommen ist. Die ersten zwanzig Fuß hat man noch einige Hilfe am Seil, das um einen großen Felszacken in der Nähe des Sattels festgemacht werden kann; weiterhin dient es nur mehr als Zierde, obwohl es den Genossen eine gewisse Genugtuung bereiten mag, einen plötzlichen Sturz vielleicht doch damit aufhalten zu können. Ungefähr in der Hälfte des Weges ist ein ausgezeichneter Tritt, auf dem man verschnaufen kann. Wenn ich ausgezeichnet sage, so ist das wohl nur relativ gemeint im Verhältnis zu den anderen Abschnitten des Risses, nicht vielleicht, dass man dort mittagessen könnte oder auch nur stehen, ohne sich festzuhalten. Vor Jahren war ich an ebendieser Stelle rau aus meinen Betrachtungen aufgestört worden, da mein Fuß von dem Felsvorsprung abglitt und ich frei in der Luft baumelnd hinaufgezogen wurde. Eingedenk dieser Tatsache bemühte ich mich, mit meinen Fingern an allen Unebenheiten, die da oder vielmehr nicht da waren, hängen zu bleiben, bis ich halbwegs wieder Luft hatte, dann ging es weiter. Einstimmig war dieser zweite Teil von allen als der böseste bezeichnet worden. Griffe sind fast keine zu finden, und Tritte für die Füße fehlen vollkommen, man konnte nur auf die gütige Vorsehung vertrauen, die hie und da durch kleine, in den Riss eingeklemmte Steintrümmer von höchst fraglicher Vertrauenswürdigkeit nachhalf. Etwas weiter oben kann man auf die Vorsehung schon eher verzichten, da rechts wirklich ausgezeichnete Griffe sind, obwohl man keuchend und erschöpft noch genug Mühe hat, sein Gewicht nach aufwärts zu treiben. Dann wurden die Stützpunkte zahlreicher, bis man endlich mit Armen und Kopf auf der Grépon-Seite hängt, während die Beine noch mit den letzten Schwierigkeiten der andern Seite kämpfen. Als ich so weit war, brachen meine Freunde unten in...