Pinguine brauchen Freunde – ein Vorwort
Feldforschung ist nichts für Weicheier. Treuliebende Partner und turtelnde Traumtänzer in Abendgarderobe unterm Polarlicht sind zwar beliebte Filmmotive, ich selbst habe so etwas allerdings in meiner ganzen Forscherlaufbahn noch nie zu sehen bekommen. Mein Alltag als Pinguinforscher ist eher unromantisch. Eine Pinguinkolonie riecht wie Fischmarkt am Abend, nur dreimal so schlimm. Ich bekomme Ehekriege, Prostitution und Gewalt zu sehen, und Karateschläge zwischen die Beine. Die Narben an meinen Händen weisen mich als Ornithologen aus – Pinguinschnäbel sind scharf –, und das Geschrei Zehntausender Brutpaare geht über die Jahre auf die Ohren. Und doch kann ich mir keinen besseren Beruf vorstellen. Meine Arbeit bringt mich an die frische Luft, darüber hinaus ist sie häufig zum Brüllen komisch: Wenn Königspinguinküken ihren Pubertätsrappel kriegen, lache ich mich kringelig. Im Teenageralter sehen sie aus wie kuschelige Kaffeewärmer, und wenn sie flügge werden, bekommen sie oft absurde Anfälle. Sie rennen dann ziellos umher und einander über den Haufen, schlagen mit den noch nutzlosen Flauscheflügeln und verkloppen voller Enthusiasmus jeden Kollegen, der ihnen im Weg steht. Ist das Wahnsinn? Oder einfach die reine Lebensfreude? Ich weiß es nicht, aber witzig ist es in jedem Fall. Wenn ich auf dem Boden liege – auf den mild temperierten Falklandinseln geht das gut – und ganz still bin, fangen sie irgendwann an, auf mir herumzuklettern. Pinguine sind gerne obenauf; ich werde für sie zum Ausguckfelsen, und sie verteidigen mich, ihr Revier, auch gegen etwaige Konkurrenz.
Seit fast dreißig Jahren arbeite ich nun mit diesen schrägen Vögeln. In all den Jahren habe ich mich nicht einen einzigen Tag gelangweilt, so faszinierend sind diese Tiere. Mit meiner Begeisterung stehe ich nicht allein da: Auf YouTube schlittern Pinguine vor Millionen von klickenden Zuschauern Eisberge hinunter, in Kinderbüchern tragen sie Schals, sie verhelfen Dokumentarfilmern zu Oscars, und Linux-Fans nutzen sie als ihr Logo. Ihre fürsorgliche Brutpflege, ihr komplexes Sozialverhalten und ihre scheinbare Unbeholfenheit an Land machen sie sympathisch. Und überhaupt der aufrechte Gang: Sie laufen auf zwei Beinen! Pinguine sind hochindividuelle Wesen und doch kaum jemals allein anzutreffen. Meist watscheln sie im Pulk einher. Dabei sind sie so stilvoll, dass ihr Designer eigentlich einen Preis bekommen müsste.
Pinguine sind allerdings mehr als nur putzig: Sie haben uns einiges zu sagen. Sie leben unter extremen Bedingungen und vollbringen Anpassungsleistungen, von denen wir Menschen nur träumen können, sowohl an Land als auch im Wasser. Ändert sich an diesen Bedingungen etwas, zeigen uns das die Pinguine sofort. An ihnen sehen wir, wo es klemmt – in einem Ökosystem, auf dessen Erhalt auch wir Menschen angewiesen sind.
Pinguine leben in zwei Welten. An Land kommen sie eigentlich nur zur Familiengründung. Partner finden, Eier legen, Nachkommen aufziehen. Und einmal im Jahr Gefiederwechsel. Das alles erledigen sie auf nüchternen Magen, denn um an Nahrung zu kommen, müssen sie auf hohe See. Fliegen können sie nicht – genau genommen erst bei Sturm von vierhundert Kilometern pro Stunde, wie Wissenschaftler berechnet haben. Die Wahrheit ist: Sie fliegen unter Wasser. Bis zu siebzig Prozent ihrer Lebenszeit verbringen die Seevögel schwimmend und nach Futter tauchend in den Weiten der Ozeane. Hier zeigen sie ihre Meisterschaft: Bis zu 25 000 Kilometer können Pinguine zurücklegen, ohne je an Land zu gehen.
Mit Entfernungen haben Pinguine nicht nur kein Problem, vermutlich war Distanz für sie sogar lebensrettend. Sie kommen nur auf der Südhalbkugel vor, was den Europäern die kommerzielle Ausnutzung der Ressource Pinguin zumindest etwas erschwerte. Was kaum jemand weiß: Zu Robben- und Walfangzeiten, als man diese Tiere ihres Fettes wegen jagte, nutzte man Pinguine, um die Kessel zu beheizen. Brennholz ist in der Subantarktis Mangelware, und ein Pinguin hat den Brennwert von einem Brikett. Nicht umsonst wurde der Vogel von den ersten Antarktisfahrern als »Patagonische Fetthenne« bezeichnet. Allein auf den Falklandinseln, wo ich seit den Neunzigerjahren forsche, hat man auf diese Weise rund zwei Millionen Felsenpinguine verfeuert. Die Bestände haben sich bis heute nicht erholt. Nicht alles, was mit Pinguinen zu tun hat, ist also niedlich – vor allem, wenn wir Menschen involviert sind. Ich halte viele Vorträge, unter anderem auf Kreuzfahrt- und Expeditionsschiffen, und immer ist mir wichtig, mit den vielen Märchen und Mythen, die sich um Pinguine ranken, aufzuräumen. Diese Tiere sind so faszinierend, dass die Realität ohnehin spannender ist als jedes Klischee.
Meine Forschung an Pinguinen hat mich in die Antarktis, in den Indischen Ozean, auf die Falklandinseln, nach Patagonien, Neuseeland und Südgeorgien geführt, rund um den südlichen Polarkreis. Mit acht der insgesamt achtzehn Pinguinarten habe ich mich forschend auseinandergesetzt: in der Antarktis mit Kaiser- und Adeliepinguinen, in der Subantarktis mit Königs-, Esels-, und Felsenpinguinen, in Chile und auf Feuerland mit Magellan- und Humboldtpinguinen und auf Neuseeland mit Dickschnabelpinguinen. Die traurige Erkenntnis: Fast überall werden diese liebenswerten Tiere weniger. An der Küste der argentinischen Provinz Chubut zum Beispiel wurden über Jahrzehnte hinweg bis zu vierzigtausend Magellanpinguine jährlich verölt am Strand gefunden. Auf den Falklandinseln sind von den einst 1,5 Millionen Felsenpinguin-Brutpaaren heute nur noch dreihunderttausend vorhanden. Insgesamt sind heute zehn der derzeit achtzehn bekannten Pinguinarten in ihrem Bestand gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Warum ist das so? Das ist es, was ich mit meiner Forschung herausfinden will. Es geht darum, zu klären, was diese Tiere im Wasser eigentlich tun und was ihnen dabei so gefährlich wird. Zu verstehen, wohin sie ziehen und warum, was sie dort fressen, wo und wann und wie lange sie tauchen. Die Forschung zu diesem Thema ist noch gar nicht so alt. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Wissenschaft sich vor allem damit beschäftigt, was der Pinguin tut, wenn er an Land ist. Es mussten erst einmal Solarzellen, Satelliten und hochleistungsfähige Miniaturdatenträger erfunden werden, bevor wir Biologen an den Vögeln so forschen konnten, wie wir es heutzutage tun. Heute kleben wir ihnen unterschiedliche Arten von kleinen Peilsendern und Fahrtenschreibern auf den Rücken und lassen die Tiere ihre Daten selbst sammeln.
Dadurch wissen wir: Wo Krill, Fisch und Tintenfisch in rauen Mengen gefangen werden, gehen die Pinguine immer öfter leer aus. Oft sterben sie auch in Fischernetzen sinnlose Tode. Die herzerwärmenden Bilder und Geschichten von Menschen, die ölverklebte Pinguine gesund pflegen, weisen auf ein weiteres Problem hin: die Schifffahrt. Öl, das aus Schiffen ausläuft oder unsachgemäß entsorgt wird, verklebt das Gefieder der Pinguine und macht sie schwimmunfähig. Ein weiterer Faktor ist die Erwärmung der Meere im Rahmen des Klimawandels: Meeresströmungen verändern sich, und mit ihnen das Nahrungsangebot. Ein Pinguin, der auf seinen gewohnten Wanderungen kein Futter findet, wird nach relativ kurzer Zeit an Unterernährung sterben.
Ich erforsche Pinguine, um sie zu schützen. Elfenbeintürme und die Hierarchien der Universitäten waren nie mein Ding, die Welt der Umweltaktivisten aber genauso wenig. Als freier Pinguinforscher kann ich Grundlagenforschung und Engagement verbinden. Ich empfinde es als Privileg, dass ich meine Forschungsfragen frei wählen kann und meine Arbeitszeit nicht in das Schreiben von buchdicken Anträgen investieren muss.
Ein wichtiger Meilenstein für meine Arbeit war die Gründung des Antarctic Research Trust (ART). Im Jahr 1997 habe ich gemeinsam mit Benno Lüthi und dem Ehepaar Corti, alle drei Tierfreunde aus der Schweiz, diese gemeinnützige Stiftung gegründet, deren wissenschaftlicher Direktor ich seither bin. Wir sammeln Daten über Pinguine und andere Bewohner der Subantarktis, vor allem auf den Falklandinseln und in Südamerika, aber auch in Neuseeland und der Antarktis. Das tun wir nicht für die Schublade, sondern immer mit dem Ziel, die Überlebenschancen der Tiere zu verbessern. So konnten wir zum Beispiel zeigen, dass die Magellanpinguine östlich von Argentinien sehr nahe der Küste nach Norden schwimmen – genau dort, wo traditionell auch der gesamte Schiffsverkehr fuhr. Im Schulterschluss mit anderen Nichtregierungsorganisationen haben wir erwirkt, dass alle mit Öl und anderen gefährlichen Stoffen beladenen Schiffe diesen Korridor auf dem kürzesten Weg durchfahren und dann jenseits der Wanderrouten der Pinguine weiterfahren müssen. Seitdem sterben deutlich weniger Pinguine an dieser Küste.
Pinguine haben es von Jahr zu Jahr schwerer, daran können wir als Einzelpersonen leider nichts ändern. Wir können weder den Klimawandel noch die legale Fischerei stoppen, geschweige denn die illegale. Es ist auch sinnlos, die Regierung der Falklandinseln davon abhalten zu wollen, nach Öl bohren zu lassen – auch wenn das ökologisch natürlich wünschenswert wäre. Ich bin Pragmatiker. Wo ich nichts ändern kann, kette ich mich an keinen Öltanker. Stattdessen suche ich nach Mitteln und Wegen, das mitzugestalten, was ich ändern kann. Auf den Falklandinseln bin ich Teil eines beratenden Gremiums, das Naturschutzrichtlinien für die geplanten Ölbohrungen entwirft. Mit dem Antarctic Research Trust versuchen wir Archen zu bauen. Fünf kleine Inseln des Falkland-Archipels haben wir bereits gekauft. Nun...