Einleitung.
Die Neugedankenbewegung hat in erster Linie den Zweck, Persönlichkeiten heranzubilden, die willensstark, ausdauernd, tüchtig und erfolgreich sind; Personen voll Selbstvertrauen, die ein geordnetes, kräftiges Gedankenleben haben, starke entschiedene Charaktere, Menschen mit einer gesunden Seele und einem gesunden, wohlorganisierten Körper.
Die absolute Herrschaft des Geistigen über den Stoff ist der Zweck dieses Lehrkurses. Der Schüler muss seinen Körper, seine Gedanken, sein Gemüt vollständig unter die Kontrolle, seines bewussten höheren Willens bringen. Dieser höhere Wille ist göttlichen Ursprunges, er fließt aus dem Urquell des ewigen Seins, er ist ein Teil des Unendlichen.
Halten wir den Körper, die Gedanken oder unser Gemüt nicht beständig unter strenger Aufsicht und unter zielbewusster Führung, so entziehen wir dem All-Willen in uns das Instrument, auf dem er sich betätigen kann, oder wir verstimmen es und machen den harmonischen Einklang, in welchem der sich in uns individuell gewordene göttliche Wille mit seinem Vater, dem Allwillen, stets befinden soll, unmöglich. Der beste Künstler ist nicht imstande, auf einem verstimmten Klavier seine Kunst zur Geltung zu bringen — will er das, so muss er sich erst einer mühevollen Arbeit unterziehen und sein Instrument in jene Verfassung bringen, die es ihm ermöglicht, seinem seelischen Empfinden hörbaren Ausdruck zu geben.
In Harmonie zu kommen mit dem All-Wissen, sich frei zu machen von der Gewalt des Stoffes und die Umnachtung zu durchbrechen, die uns umfangen hält und unser Edelstes in uns behindert, sich zu entwickeln und emporzuwachsen zum Vater — das ist unsere Hauptaufgabe, und nur zu diesem Zwecke soll der Mensch sich bemühen, seine okkulten Kräfte zu entwickeln. Sie dürfen ihm nur als Schlüssel dienen, das Tor zu öffnen, das den finsteren Kerker verschlossen hält, in welchem unser göttliches Sein angeschmiedet ist mit eisernen Ketten. Und ist es uns gelungen, dieses Tor zu erschließen, dann strömt die Fülle des Lichtes auf uns ein, das vom Vater kommt, und je heller es um uns wird, desto leichter werden die Ketten, bis sie endlich von selbst herabfallen und der Befreite hinaustreten kann in das Reich der wahren Freiheit!
Wer sich aber verleiten lässt, das Tor aus anderen Motiven zu öffnen, wer seine Kräfte entwickelt, nur um seinem materiellen Willen zum Siege zu verhelfen, der wird eine böse Enttäuschung erleben. Nicht dem Sonnenlicht hat er das Tor seines Kerkers geöffnet, sondern einer tieferen und schwärzeren Nacht, als die ist, die ihn umgibt — nicht Erkenntnis wird ihn erfüllen, sondern Verwirrung, und was sich aus der Finsternis heraus offenbart und sich schmeichelnd zu seinen Füßen lagert, das wird mit der Zeit zur Qual und Pein für ihn werden. Wer die Gotteskräfte in sich weckt ohne den reinen Willen zur Erlösung, zur Erkenntnis, zur Wahrheit, der frevelt und richtet sich zugrunde. Die Ausübung der „schwarzen Magie“ hat noch zu allen Zeiten bösen Lohn gefunden.
Wer die Absicht hat, seine psychischen Kräfte zu entwickeln, der tritt aus der gewöhnlichen Entwicklungskette, er stellt sich damit auf einen sehr exponierten Posten und wird dadurch zur Zielscheibe böser Gewalten. Doch sein reines Streben ist ein undurchdringlicher Panzer, an welchem alle Pfeile des Gegners zersplittern. Entfernt er sich aber während seiner Entwicklungsperiode von seinem Vorsatz, so wird sein schützendes Kleid undicht und die Pfeile jener dunklen Gewalten werden ihn verletzen.
Darum prüfe jeder, wenn er geneigt ist, diesen Weg zu betreten, ob er auch die Kraft haben wird, mutig auszuharren und die Konsequenzen einer solchen Entwicklung zu ertragen, die in dem Absterben des egoistischen Ichmenschen ihren Gipfelpunkt haben. Der hier niedergelegte Entwicklungsgang geht zum größeren Teil von innen nach außen. Und darum hat er nichts gemein mit verschiedenen anderen Entwicklungssystemen meist amerikanischer Provenienz, die den ganz verkehrten Weg einschlagen, ausschließlich von außen nach innen wirken zu wollen. Diese bezwecken in erster Linie das Leben genussreich und angenehm, den Körper schön, gesund und langlebig zu machen, Reichtum zusammenzuscharren usw. Der eigentliche Zweck des Lebens wird dabei vollständig verkannt — der innere Mensch kommt dabei zu kurz und nichts wurde gewonnen. Im Gegenteil, der so Entwickelte ist zum Schädling geworden, der alte Egoismus lebt noch, aber nun stehen ihm Kräfte zur Verfügung, die es erlauben, auf Kosten der Mitmenschen sich noch mehr zu entfalten. Das böse Ende bleibt freilich niemals aus, und was wir säen, das ernten wir auch, und wer die Saat des Unkrauts in die Erde wirft, mag sich nicht wundern, wenn ihm eines Tages die Dornen und Disteln die Füße blutig reißen.
Das vorliegende System entwickelt nach beiden Richtungen, also auch teilweise von außen nach innen, jedoch nur zu dem Zwecke, den langsam zur Entfaltung kommenden Menschen bei seiner nach außen organisierenden Wirksamkeit zu unterstützen.
Die Neugedankenlehre und Kräfteentwicklung, wie sie hier gelehrt wird, hat eine streng ethische Grundlage. Die Erweckung des inneren Menschen hat auch eine Neugestaltung und Veredelung des äußeren Menschen zur Folge und damit ist auch eine günstige Veränderung aller Lebensumstände verbunden. Wenn wir lernen, gut, gerecht und liebevoll zu fühlen, so werden wir auch gut, gerecht und liebevoll denken. Solche Gedanken werden aber auch dementsprechende Handlungen auslösen, und wer gute und gerechte Handlungen voll Liebe und Selbstlosigkeit begeht, der gleicht einem Landmann, welcher zur günstigen Zeit vollwertigen guten Samen der Erde anvertraut — die große Ernte wird sein Lohn sein.
Der Verfasser hat die Neugedankenlehre in Verbindung gebracht mit der Entwicklungslehre der indischen Philosophie und ein System aufgestellt, das den Schüler befähigt, die vorerwähnten Ziele voll und ganz zu erreichen — in Einklang zu kommen mit dem All-Willen und dadurch befreit zu werden von dem Fluche der Stofflichkeit, von Not und Sorge, Krankheit und Leid.
Die Neugedankenlehre ist also nichts weiter als ein vernünftiger Optimismus. Sie stützt sich in der Hauptsache auf die so wenig bekannte Tatsache der geistigen Strömungen und der stofflichen Realität der Gedanken.
Gedanken sind Dinge.
Wir erzeugen keine Gedanken, aber wir beleben sie, und je „kräftiger“ wir denken, desto intensiver haben wir die Gedankenformen belebt. Wenn man sich nun vor Augen hält, dass jede Gedankenform Schwingungen verursacht, die sich nach allen Seiten fortpflanzen, um sich mit gleichgestimmten Gedankenformen zu verbinden und dann vereint zum Aussender, an den sie nunmehr für längere Zeit gebunden bleiben, zurückkehren, so kann man leicht begreifen, dass der Optimist, der Gedanken des Erfolges, der Gewissheit, der Freude denkt, sich ein Heer in seiner „positiven“ Gedankenwelt schafft, welches ihm im Lebenskampfe treu zur Seite steht und den Sieg bringen wird. Dagegen bildet der Zweifelsüchtige, Mutlose, Gedrückte, Hoffnungslose mit seiner „negativen“ Gedankenwelt sich einen furchtbaren Feind, der ihn immer mehr mutloser macht und von einem Misserfolg zum andern führt.
Das Geheimnis des Erfolges liegt im Menschen selbst, in seiner „Willenskraft“, in seiner „Persönlichkeit“ und zusammen genommen in seinem „persönlichen Magnetismus“. Die Kraft des geschulten Willens bringt Glück, Gesundheit, Erfolg; der konzentrierte Wunsch, andere glücklich zu machen, bringt Liebe, Vertrauen, Dankbarkeit, und die geheimnisvollen Kräfte, die in jedem Menschen latent liegen, durch zweckentsprechende Übungen erweckt, verbunden mit der ethischen Höherentwicklung, verschaffen uns die wahre Freiheit und befähigen uns, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Es wäre Zeitvergeudung, den Schüler mit langen Abhandlungen über die Theorie der Neugedankenlehre aufzuhalten, und finden wir es für angemessener, sofort zu den Übungen zu schreiten. Den Wert des ganzen Systems wird der Studierende selbst einzuschätzen wissen, wenn er im Besitze seiner entwickelten Kräfte sein, wenn er sich freier, edler und harmonischer fühlen wird.
Vorerst vertraue er uns voll und ganz und beweise gleich zu Beginn seines Studiums, dass er gesonnen ist, diesmal nichts Halbes zu tun, sondern auszuhalten, bis er sein Ziel erreicht hat.
Seine ersten „positiven“ Gedanken sollen in der Zusicherung gipfeln, dass nichts imstande sein kann, ihn von dem nunmehr eingeschlagenen Weg abzubringen. Er möge sich sagen, dass er jetzt fest entschlossen ist, unter allen Umständen den Edelstein in seiner Brust, die „Willenskraft“, zu erwecken und durch sie die Kräfte zu entwickeln, die uns der Allgeist gab, damit wir den dornenvollen Weg des Lebens leichter durchschreiten können, nicht als Demütige, von allen Leidenschaften niedergedrückte, in sklavischer Abhängigkeit von allen Gewalten beeinflusste Kreaturen, sondern als freie, edle, selbstbewusste, nach Gottes Ebenbild erschaffene Menschen, für die das irdische Leben keine Stätte des Leidens mehr ist, sondern ein Tal des Glücks und des Friedens.
Die Übungen des ersten Abschnittes bilden das Fundament des ganzen Lehrstoffes und ist ihnen sehr viel Sorgfalt zu widmen. Der Schüler mag wissen, dass diese Übungen durchweg erprobt sind. Wenn ihm ihr praktischer Wert auch nicht sofort einleuchtend ist und er sich vielleicht ob der Einfachheit derselben wundert, so können wir ihn darauf aufmerksam machen, dass das ganze Lehrsystem einem Mosaikgebäude gleicht, das nur aus kleinen Steinchen zusammengesetzt, sofort seinen harmonischen Gesamteindruck verlieren würde, wenn auch...