Denken, Fühlen, Handeln
Täglich haben wir unzählige Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen. Glücklicherweise ist unser Geist so gebaut, dass vieles davon ganz automatisch abläuft. In diesem Automatismus steckt aber auch ein Handikap, etwa wenn sich so Ansichten über uns selbst in unserem Kopf einnisten, die uns das Leben schwer machen. Zu wissen, wie wir mental und psychisch funktionieren, kann da sehr hilfreich sein.
Gründe für Unzufriedenheit gibt es viele. Es fallen Ihnen auf Anhieb sicher gleich mehrere ein. Zum Beispiel würden Sie sich definitiv eine geraume Zeit lang merken, wenn auf dem Weg zur Arbeit die Ampeln alle rot waren und jemand Ihnen den Parkplatz direkt vor der Nase weggeschnappt hat. Positive Ereignisse jedoch – in diesem Fall eine grüne Welle samt Parkplatzfee – schleichen sich meist schnell wieder aus unserem Bewusstsein.
Schauen wir solche Momente von Unzufriedenheit genau an, wird deutlich, dass sie Resultate unserer eigenen Bewertung sind. Gießen Sie sich zum Beispiel früh am Morgen, frisch geduscht und angekleidet, eine Tasse Kaffee über Hemd oder Bluse, ist das sicher im ersten Moment unangenehm, weil heiß und nass. Aber was noch viel unangenehmer ist, sind die Gedanken, die Ihnen dann kommen: Von »Mist, gerade jetzt!« über »Immer muss mir das passieren. Ich bin einfach ein Trottel!« bis zu »Hätte mein Mann, wie besprochen, den Kaffee gemacht, hätte ich keine Eile gehabt und das Ganze wäre nicht passiert«. Nach einem eher schlichten Ereignis, das zugegebenermaßen für den Beginn des Tages ungünstig war, kann eine Lawine ins Rollen kommen, die nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Beziehungen zu unserem Umfeld so einiges nach sich ziehen kann.
DER GEDANKENMOTOR SPRINGT AN
Aber was genau passiert da? Was bedeutet Lawine? Nun, alles beginnt ja erst mal mit einer simplen Handlung oder einem Ereignis, wie dem Umkippen der Kaffeetasse. Es folgen unmittelbare Gefühle und Empfindungen, wie die Angst, sich verbrannt zu haben, und nasse, klebrige Kleidung auf der Haut. Unangenehm, sicher, aber keine große Katastrophe. Denn es ist ja alles gut gegangen. Doch dann kommt er ins Spiel: der Gedankenmotor. Sie haben oben schon einige mögliche Bewertungssätze gelesen. Je nachdem, wie Ihre sonstige Laune ist und was für ein Typ Sie sind, sind die aufkommenden Gedanken selbst- oder fremdbezogen: »… ich Trottel!« oder »Hätte mein Mann …«. Und sie wirken entweder nur kurzfristig, also etwa bis Sie Hemd oder Bluse gewechselt haben, oder haben einen sehr langen Arm (manche solcher Gedanken ziehen sich womöglich durch Ihr ganzes Leben). Auf jeden Fall setzt durch die Gedanken etwas ein, was dem bloßen Ereignis eine Bedeutung gibt, die es an sich nicht hat.
EIN TEUFELSKREIS BEGINNT
Die Gedanken, die wir uns zu Handlungen und Ereignissen machen, sind nicht neutral, sondern verbunden mit Gefühlen. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Sie denken nicht nur, Sie wären ein Trottel, Sie fühlen sich auch so. Und weil Gefühle sich unglaublich flächendeckend ausbreiten können, beziehen Sie »Trottel« nicht nur auf den aktuellen Moment, sondern gleich auf Ihre gesamte Person. Das Gefühl, ein Trottel zu sein, kann so Handlungen nach sich ziehen, die aus dieser Interpretation heraus entstehen: Sie vergessen zum Beispiel, Ihre Unterlagen zur Präsentation mitzunehmen, oder treten bei der Vorstellung Ihrer Ideen nicht selbstbewusst auf, weil Sie sich wie ein Trottel fühlen. Und damit wird der fatale Teufelskreis sichtbar.
- Der Beginn: eine Handlung oder ein Ereignis.
- Der weitere Verlauf: Gedanken, die Realitäten konstruieren.
- Die Überspitzung: Gedanken werden zu Gefühlen.
- Das Ende: Handlungen, die aus dieser selbst konstruierten Grundstimmung resultieren.
- Bestätigung: Diese Handlungen wiederum bestätigen den »Glaubenssatz«, den Sie am Morgen gedacht haben: »Ich bin einfach ein Trottel.«
Und das alles wegen einer Kaffeetasse? Ja, so kann es gehen. Und so geht es den ganzen Tag. Warum? Weil wir Menschen so sind. Weil unser Kopf nun mal so funktioniert: Er erzählt uns Dinge über uns selbst, die man auch ganz anders sehen könnte. Er konstruiert eine vermeintliche Realität. »Aha«, denken Sie jetzt vielleicht, »mein Kopf tickt also nicht richtig, da muss sich was ändern!« – Mitnichten.
Wir wollen Sie aber dazu einladen, neugierig zu werden auf die Art und Weise, wie wir Menschen im Allgemeinen funktionieren, und darauf, wie Sie ganz persönlich ticken. Dann ist plötzlich die Möglichkeit greifbar nahe, zu erkennen, wie Glaubenssätze entstehen und dass diese uns daran hindern können, ein zufriedenes Leben zu führen und in einem glücklichen Austausch mit anderen zu sein. Und wenn Sie sehen, welche Schönheit in der Komplexität unseres Geistes liegt, dann ist oft der wichtigste Schritt getan, etwas dafür zu tun, dass Sie die Geschichte Ihres Lebens selbst mehr und mehr bewusst schreiben.
WAS DAS BUCH IHNEN BIETET
Den Ratschlag »Bleib, wie du bist!« hören wir häufig, setzen ihn aber oft wenig zielführend um. Für manche von Ihnen ist es vielleicht eine schwierige Vorstellung, die Dinge mal so sein zu lassen, wie sie sind. Vielleicht, weil Ihnen das ein Gefühl der Stagnation verleiht. Es kann also schwer sein, sich auch einmal die Erlaubnis zur Nicht-Veränderung zu geben. Ebenso schwer ist es allerdings manchmal auch, seinen eigenen Schweinehund zu überwinden, um die persönliche Entwicklung voranzutreiben, also auf Veränderung hinzuarbeiten.
Die Balance zwischen diesen zwei Polen – zwischen Stehenbleiben und Fortschreiten, zwischen »Ist doch alles prima, wie es ist. Lieb dich einfach« und »Sei achtsamer und positiver, und du wirst alles erreichen, was du dir wünschst« –, das ist der Ansatz, den wir für dieses Buch wählen. Weil er eines tut: Er holt Sie dort ab, wo noch keine Geschichte angefangen hat, erzählt zu werden, wo noch kein Konzept greift, da wo Entscheidungen getroffen werden. Im Grunde im Niemandsland unseres Geistes und doch in jedermanns ganz persönlicher Schatzkiste (siehe dazu Kapitel 3 ab >).
Es geht uns in diesem Buch also gerade nicht um das klassische »positive Denken«. Wir haben nämlich wenige Menschen kennengelernt, die langfristig gute Erfahrungen damit gemacht hätten, schwierige Zustände von jetzt auf gleich als »Wachstumschancen« oder in anderer Hinsicht als positiv zu sehen. Außerdem möchten wir dazu einladen, ein wenig die Zielorientierung loszulassen. Denn so kommt man – statt zu Selbstoptimierung – zu Selbstmitgefühl. Und das ist eine wichtige Voraussetzung, wenn es um Veränderung beziehungsweise um eine nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung geht: Man kann und soll sich durchaus aufmachen, den Status quo stetig zu verbessern. Genauso wichtig ist es aber auch, geduldig mit sich selbst (und seiner Umgebung) zu sein, wenn es dabei am Anfang nicht gleich so läuft, wie man es sich wünscht. Es schadet nämlich nicht, eine gewisse Langsamkeit zu akzeptieren, ganz im Gegenteil.
Gegenspieler von Geduld und Langsamkeit sind die »Denkfallen«, um die es in diesem Buch geht. Fallen, die uns unser wunderbarer und ansonsten wohlorganisierter Geist stellt. Fallen, in die wir immer wieder tappen und die uns zu schnellen (oft vorschnellen) und übertriebenen Veränderungswünschen antreiben.
»Unsere Wahrnehmung der Welt ist eine Fantasie, die mit der Wirklichkeit zusammenfällt.«
CHRIS FRITH | BRITISCHER KOGNITIONSPSYCHOLOGE
SICH MIT SICH SELBST ANFREUNDEN
Die Balance zwischen »Bleib, wie du bist« und »Werde besser, schneller, schöner«, von der wir vorhin gesprochen haben, lässt sich in die Aufforderung fassen »Freunde dich mit dir selbst an«. Damit will dieses Buch Sie ermutigen, Ihren Geist nicht als Feind zu sehen, den man ausschalten muss oder optimieren sollte, nur weil er manchmal schwierige Gedanken hervorbringt, wie »Ich bin ein Trottel« (siehe >). Denn wir möchten Ihnen nicht noch eine Aufgabe auf die sowieso schon hohen Selbstanforderungen packen, die nicht selten Grund für so manches Übel sein können.
Wir möchten Sie aber eben auch nicht ganz aus der Verantwortung lassen, wie es die Laissez-faire-Reaktion auf den Selbstoptimierungstrend gerne tut nach dem Motto: »Alles ist schon gut so, wie es ist.« Es geht uns darum, Ihnen den schwierigen Spagat zu ermöglichen, zwischen »fünf gerade sein zu lassen« und sich aber auch nicht »ein X für ein U vorzumachen«. Und dabei steht eine Sache ganz stark im Vordergrund: die eigene Unterscheidungskraft. Wann ist es angemessen, aktiv etwas zu verändern, und wann kann es richtiger sein, Unzulänglichkeiten zu akzeptieren und darüber zu lächeln?
REISE IN DEN MENSCHLICHEN GEIST
Diese Unterscheidungskraft finden wir mitten im Wunderland des menschlichen Geistes. Begeben Sie sich also mit uns auf eine äußerst spannende Reise dorthin.
Nach einer kurzen Einführung ab > stellen wir Ihnen im zweiten Kapitel fünf elementare Grundgedanken vor, die in der ein oder anderen Art immer daran beteiligt sind, wenn wir uns in unseren Gedankenbahnen verheddern und dadurch uns und manchmal auch anderen das Leben...