Sport und Bewegung
Warum Sie bei der Fitness den Fun nicht vergessen sollten, aber durchaus auch mal einen Zahn zulegen dürfen
Während sich in Sachen Ernährung höchst unterschiedliche Fraktionen mit konträren Konzepten heftige Glaubenskriege liefern, besteht in Sachen Sport eine erstaunliche Einigkeit. Ob Schul- oder Alternativmediziner, Präventions- oder Rehaärzte, Physios und Personal Trainer sowieso: Sie alle verkünden, Sport sei ein Jungbrunnen. Wer gesund werden oder bleiben will, der sollte sich vor allem viel bewegen.
AUCH DIE GOLDMEDAILLE HAT ZWEI SEITEN
»No sports.«
WINSTON CHURCHILL
Dass auch Sport nicht ohne Risiken ist und je nach Sportart ein nicht unerhebliches Verletzungsrisiko besitzt, wird oft geflissentlich verschwiegen. Denn auch für den Sport gilt des Gebot der gesundheitspolitischen Korrektheit. Was als gut erkannt wurde, darf nicht durch negative Meldungen in Zweifel gezogen werden.
TRAGISCHE HELDEN
Zweifel könnten einem durchaus kommen, wenn man sich das Schicksal einiger der großen Vorturner an der Fitnessfront anschaut. Der US-Amerikaner Jim Fixx etwa erfand in den 1960er-Jahren den Begriff Jogging. »Lauf dem Herzinfarkt davon!« lautete seine schlichte, einprägsame Botschaft. 1977 veröffentlichte er »Das komplette Buch vom Laufen«, das zu einem Weltbestseller wurde.
1984 starb Jim Fixx. Im Alter von 52 Jahren. An einem Herzinfarkt. Beim Joggen.
Als Vater der deutschen Fitnesswelle gilt der Kardiologe Richard Rost, der die Erkenntnisse über die präventiven Wirkungen von Sport auf die Herzgesundheit popularisierte und für den eigens ein Lehrstuhl im damals noch jungen Fach Sportmedizin eingerichtet wurde. Professor Rost starb 1998 mit gerade einmal 58 Jahren. Kurz vor seinem Tode fasste er die Erkenntnisse seines Forscherlebens in die Sätze: »Der Sportler lebt nicht länger. Er stirbt aber gesünder.« Letztlich ein schwacher Trost. Auch wer gesund stirbt, ist dauerhaft tot.
Nicht vergessen sollte man auch die gesundheitlichen Kollateralschäden, die der Sport nach sich ziehen kann. Ohne Zweifel verjüngen sich viele Menschen durch sportliche Aktivitäten. Manche machen sich dadurch aber auch zum Frühinvaliden. In den alpinen Skigebieten leben inzwischen ganze Kliniken davon, dass Sport halt doch nicht nur gesundheitsfördernd ist. Hatte Winston Churchill also recht mit seiner These, wonach Sport Mord ist? Ist Breitensport gar Massenmord?
Auch wer gesünder stirbt, ist anschließend definitiv tot.
Nutzen und Kosten
Will man einen Sachverhalt umfassend beurteilen, sollte man sich die Mühe machen, möglichst unvoreingenommen Bilanz zu ziehen. Was sind die Risiken? Wo liegt der Nutzen? Was überwiegt? Da kommt man beim Sport zu einem ziemlich eindeutigen Ergebnis: Der Nutzen überwiegt. Er erstreckt sich sogar auf Bereiche, die man bisher mit Bewegung gar nicht in Zusammenhang brachte.
Dies hat wieder einmal viel mit unserem evolutionären Erbe zu tun. Seit es den Homo sapiens gibt (seit etwa 200 000 Jahren), hat er die meiste Zeit als Jäger und Sammler verbracht. Anders ausgedrückt: Er ist den ganzen Tag herumgelaufen, um Tiere zu erlegen oder Essbares zu finden. Vor rund 10 000 Jahren wurde dann ein großer Teil der Menschheit sesshaft. Was nicht bedeutet, dass sie von nun an faul herumsaßen. Ackerbau und Viehzucht zu betreiben hieß schon damals, von morgens bis abends schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Unsere Gene und unser Stoffwechsel sind auf Bewegung und körperliche Anstrengung programmiert.
Doch wir verbringen inzwischen 22 von 24 Stunden im Liegen oder Sitzen. Muskeln, die nicht gebraucht werden, verkümmern. Blutgefäße, die nicht ordentlich durchgespült werden, verkalken. Lungen, die nicht mehr richtig entfaltet werden, verlieren an Fassungsvermögen.
BEWEGUNG SCHÜTZT
Im angloamerikanischen Sprachraum gibt es den schönen Satz »Use it or lose it«. Dies trifft es auf den Punkt. Wir verlieren viel, wenn wir auf Bewegung verzichten. Umgekehrt ist der Nutzen enorm, wenn wir körperlich wieder aktiv werden. Das gilt zunächst einmal für alle Herz-Kreislauf-Erkrankungen. An denen stirbt immer noch jeder Zweite und auf sie konzentrierte sich die Präventivmedizin als Erstes. Umfangreiche Verlaufsuntersuchungen an großen Bevölkerungsgruppen, wie etwa die berühmte Framingham-Studie, hatten in den 1960er-Jahren klar gezeigt, welche Risikofaktoren für einen Herzinfarkt verantwortlich sind. Dazu gehörten: Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinspiegel. Und: Bewegungsmangel.13
Neben dem Rauchstopp erwies sich vermehrte Bewegung als die wirksamste Präventionsmaßnahme. Wer Sport machte, behandelte nämlich viele andere Risikofaktoren gleich mit. Er reduzierte sein Übergewicht, senkte seinen Bluthochdruck und verbesserte seine Blutfette. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich auch, den anfangs zitierten frühen Herztod des Joggingbegründers Jim Fixx noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Dessen Vater erlitt seinen ersten Herzinfarkt bereits mit 35 und verstarb wenig später an den Folgen.
Jim Fixx selbst litt, bevor er mit dem Joggen begann, an Bluthochdruck, rauchte zwei Schachteln Zigaretten täglich und brachte stolze 30 Kilogramm Übergewicht auf die Waage. Mehr Risikofaktor geht nicht.
Killerkrankheit Nummer zwei nach dem Herzinfarkt ist bereits der Krebs. Auch hier schützt erstaunlicherweise Bewegung. Menschen, die regelmäßig Sport treiben, trainieren damit nämlich auch ihr Immunsystem. Insbesondere haben sie sehr viel mehr sogenannte Natural Killer Cells in ihrem Blut.14 Die tragen ihren martialischen Namen nicht zu Unrecht. Natural Killer Cells sind sozusagen das Sondereinsatzkommando unter den Abwehrzellen. Sie sind darauf spezialisiert, besonders gefährliche Gegner aufzuspüren und auszuschalten. Zu diesen Schwerkriminellen gehören vor allem Krebszellen.
Jim Fixx ist wohl doch nicht zum Opfer seines Sports geworden, vielmehr hat ihm der wahrscheinlich 10 bis 15 zusätzliche Lebensjahre geschenkt.
Eine Alterserkrankung, die immer mehr an Bedeutung erlangt, ist die Osteoporose. Wenn der Knochen entkalkt, steigt das Risiko für Knochenbrüche. Der »Witwenbuckel« entsteht vor allem dadurch, dass die zunehmend porösen Wirbelkörper immer weiter zusammenbrechen. Kommt dann noch ein Schenkelhalsbruch dazu, so ist der Weg ins Pflegeheim vorgezeichnet.
Dem räuberischen Knochenabbau lässt sich allerdings sehr gut vorbeugen. Die entscheidenden Kriterien dafür sind eine ausreichende Kalziumzufuhr, hohe Vitamin-D-Spiegel, der Ersatz fehlender Geschlechtshormone nach den Wechseljahren und – wieder einmal – Sport. In diesem Fall vor allem Muskeltraining. Muskeln sind durch Sehnen am Knochen befestigt. Ziehen sie sich zusammen, so überträgt sich der Bewegungsreiz auf den Knochen. Der baut daraufhin vermehrt Knochenbälkchen auf. Bodybuildingstudios sollten daher eigentlich nicht in erster Linie von jungen Kerlen mit tätowiertem Bizeps bevölkert werden. Sie sollten eher ein Tummelplatz sein für alte Damen mit grazilem Körperbau. Die sind nämlich am meisten gefährdet, eine Osteoporose zu bekommen.
Zierliche Frauen nach den Wechseljahren sind am meisten vom Knochenschwund bedroht.
Bewegung schützt auch – und das wird angesichts der zunehmenden Lebenserwartung immer wichtiger – vor Demenz. Das hat zum einen mit einer verbesserten Durchblutung zu tun. Unser Gehirn ist ja ein enorm stoffwechselaktives Organ. Es macht zwar nur zwei Prozent unseres Körpergewichtes aus, verbraucht aber rund 20 Prozent der zugeführten Energie. Zugegeben, vielen Zeitgenossen merkt man es nicht unbedingt an, dass ihr Gehirn derart viel Energie umsetzt. Bezüglich des statistischen Mittelwertes sind die Zahlen aber gut gesichert. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus einleuchtend, dass ein besser durchblutetes und damit ein besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgtes Gehirn auch leistungsfähiger ist.
Was die Leistungssteigerung durch Sport angeht, so ist diese allerdings nicht nur einer besseren Durchblutung aller Körperbereiche geschuldet. Der Effekt setzt noch wesentlich tiefer an. Genauer gesagt bei den Mitochondrien. Das sind die viel zitierten Kraftwerke unserer Zellen. Sie produzieren Energie in Form eines Moleküls namens Adenosintriphosphat (ATP). Leider produzieren sie aber nicht nur Energie. Wie bei unseren industriellen Kraftwerken fallen auch bei der Energiegewinnung in den Mitochondrien Schadstoffe an. Und zwar in Form der berühmt-berüchtigten freien Radikale.
Noch ein weiterer Umstand kommt hinzu: Auch Mitochondrien unterliegen einem Alterungsprozess. Je länger sie in Betrieb sind, desto weniger Energie produzieren sie. Gleichzeitig erhöht sich aber ihr Schadstoffausstoß. Immer mehr freie Radikale gelangen auf diese Weise in die Umgebung. Und die machen nicht nur die Haut welk, sondern sind auch an der Entstehung von Krankheiten beteiligt.
Freie Sauerstoffradikale sind für die Oxidation, sprich das Einrosten, verantwortlich.
NEUROJOGGING
Wenn ein Muskel bewegt wird, setzt er vermehrt Botenstoffe frei. Einer davon ist der Brain Derived Neurotropic...