1. Die Bezeichnung des Buches und seine Stellung im Kanon
Die im Deutschen übliche Bezeichnung „Buch Josua“ verweist auf den (menschlichen) Protagonisten des Werks, „Josua, den Sohn des Nun, den Diener des Mose“ (Jos 1,1). Dessen hebräischer Name lautet Jehoshua, was mit ‚JHWH rettet‘ bzw. ‚JHWH ist/bringt Rettung‘ übersetzt werden kann und von durchaus programmatischer Bedeutung für das im Hebräischen als Sefer Jehoshua (‚Buch[rolle] des Josua‘) bezeichnete Buch ist.
Die im Deutschen übliche Form Josua geht auf das latinisierte Iosue der Vulgata zurück, während in der Septuaginta (LXX) Jehoshua und das nach ihm benannte Buch den Namen Jesus tragen.
Sowohl in der Hebräischen Bibel, als auch in der Septuaginta, an deren Anordnung der Bücher sich die AT-Teile der deutschen Bibelübersetzungen anlehnen, ist das Josuabuch unmittelbar im Anschluss an die fünf Bücher des Mose, die Tora, zu finden. Es ist somit das sechste Buch des Kanons. Andererseits jedoch ist es – so man das Augenmerk über die bloße Aneinanderreihung der Schriften hinaus auch auf die Systematik legt, die beiden Kanongestalten zugrunde liegt – jeweils auch als ein erstes Buch profiliert.
1.1 Der Sefer Jehoshua (‚Buch Josua‘) im Kanon der Hebräischen Bibel
In der Hebräischen Bibel eröffnet der Sefer Jehoshua (‚Buch[rolle] des Josua‘) den zweiten Kanonteil, nebi’im (‚Propheten‘), der nochmals in die sog. „Vorderen“ und die „Hinteren Propheten“ unterteilt werden kann. Zu den „Vorderen Propheten“ gehören neben Josua die Bücher Richter, 1/2 Samuel und 1/2 Könige, während unter den „Hinteren Propheten“ die Werke der Schriftprophetie, d. h. Jesaja, Jeremia, Ezechiel und das Zwölfprophetenbuch (Hos, Joel, Am, Obd, Jona, Mi, Nah, Hab, Zef, Hag, Sach, Mal), zu finden sind.
Diese Systematik legt es nahe, die „Vorderen Propheten“, also Jos-2 Kön, als eine größere Einheit wahrzunehmen, die sich ihren Leserinnen und Lesern als eine Darstellung der Geschichte Israels im Verheißenen Land von der Inbesitznahme in der Generation nach Mose (Jos) bis hin zum Verlust des Landes im Babylonischen Exil (2 Kön 25) präsentiert. Im Auge zu behalten ist dabei allerdings, dass diese Bücher – ungeachtet der Tatsache, dass sie Israels Geschichte erzählen – im Kanon dezidiert als ‚Propheten‘ und nicht etwa als „historische“ Schriften ausgewiesen sind, wobei für diese Klassifizierung v. a. das Prophetenverständnis des Deuteronomiums (vgl. Dtn 18,15–22; 34,10–12) von Bedeutung ist. Diesem zufolge ist das konstitutive Element von Prophetie der Rückbezug auf die Tora. Als „Vordere Propheten“ gelesen, thematisieren die Bücher Jos-2 Kön somit die Entfaltung und Auslegung der Weisungen des Mose, oder auch – negativ gewendet – das Vergessen und Missachten der Tora sowie die daraus erwachsenden negativen Konsequenzen. In jedem Fall aber bezeugen sie die bleibende Relevanz der Tora in Israels Geschichte. Explizit formuliert wird dieser für den Prophetenkanon konstitutive Tora-Bezug in Jos 1,7–8:
7Sei ganz mutig und stark, und achte genau darauf, dass du ganz nach der Weisung handelst, die mein Knecht Mose dir gegeben hat. Weich nicht nach rechts und nicht nach links davon ab, damit du Erfolg hast überall, wo du unterwegs bist. 8Über dieses Buch der Weisung (= tora) sollst du immer reden und Tag und Nacht darüber nachsinnen, damit du darauf achtest, genau so zu handeln, wie darin geschrieben steht. Dann wirst du auf deinem Weg Glück und Erfolg haben.
Innerhalb des Kanons stehen diese Worte nicht nur dem Josuabuch selbst programmatisch voran (mehr dazu s. u.), sondern dem gesamten Kanonteil „Propheten“ (nebi’im). Ein Gegenstück finden sie in Mal 3,22–24, den letzten Versen des Maleachibuchs und zugleich des Kanonteils, die in vergleichbarer Weise wie Jos 1,7–8 den Torabezug der Prophetie unterstreichen und darin mit Jos 1,7 zusammenklingen.
22Gedenkt der Weisung (= tora) meines Knechtes Mose; am Horeb habe ich ihm Gesetze und Rechtsentscheidungen übergeben, die für ganz Israel gelten (Mal 3,22).
1.2 Das Buch Jesus im Kanon der Septuaginta
Eine etwas andere Logik liegt dem Kanon der Septuaginta zugrunde. Hier nämlich eröffnet das Buch Jesus eine Reihe von Büchern, zu der zunächst die „Vorderen Propheten“ der Hebräischen Bibel (Jos-2 Kön) gehören. Darüber hinaus umfasst sie aber auch das Buch Rut, das zwischen Ri und 1 Sam platziert ist, sowie – an 2 Kön anschließend – die Bücher der Chronik (1/2 Chr), die Esra-Schriften (1Esdras, Esr/Neh), Ester, Judit, Tobit und die Bücher der Makkabäer. Besonders im „Einfügen“ des Rutbuchs, das zu der Zeit spielt, „zu der in Israel die Richter regierten“ (vgl. Rut 1,1), und in seinem Abschluss auf den König David ausblickt (vgl. Rut 4,17.18–22), zwischen Ri und 1 Sam wird dabei eine historisierende Chronologie greifbar, die der Anordnung der Bücher zugrunde liegt. Somit soll die Abfolge der Schriften von Josua bis zu den Makkabäerbüchern eine zwar auf das Land bezogene, aber keineswegs nur im Land verortete Volksgeschichte Israels von der Zeit unmittelbar nach dem Tod des Mose (vgl. Jos) bis in die hellenistische Epoche hinein (vgl. Makkabäer) nachzeichnen. Dies aber legt eine Leseperspektive nahe, in der auch das Buch Jesus (Jos) selbst als „geschichtliches“ Werk, d. h. als Teil (und Auftakt) einer theologisch deutenden Israel-Geschichte wahrzunehmen ist.
1.3 Anfang und Ende
Beiden Kanonsystematiken, derjenigen der Hebräischen Bibel und derjenigen der LXX – letztere liegt ihrerseits den christlichen Bibelausgaben zugrunde – ist gemeinsam, dass sie dazu anregen, Josua primär als einen Anfang wahrzunehmen: Das Buch beschreibt den Beginn der Zeit Israels im Land (Hebräische Bibel) bzw. den Auftakt einer bis in die hellenistische Zeit nachvollzogenen Israelgeschichte. Das Buch selbst jedoch fordert in der Lektüre auch ein, – komplementär – eine gegenläufige Perspektive zu berücksichtigen: In Israels Anfang im Land nämlich kommt ein die gesamte Tora durchziehender Spannungsbogen zu seinem Abschluss, der um die Thematik der Landverheißung entwickelt ist. Besonders greifbar wird dies im Schlusskapitel des Josuabuchs (Jos 24), das dezidiert als Ende einer in sich zweigeteilten Gründungsgeschichte Israels – bestehend aus der Tora und dem diese ergänzenden Josuabuch – gestaltet ist. Jos 24 lenkt den Blick zurück auf die in der Tora gelegten Grundlagen, unterbindet aber jede weiterführende, auf die Zukunft hin ausgerichtete Perspektive (vgl. Auslegung). So präsentiert sich ein im Kanon gelesenes Josuabuch in spannungsvoller Weise als beides zugleich: als Anfang und Ende.
2. Aufbau und wichtige Themen des Josuabuchs
2.1 Gesamtaufbau
Entlang inhaltlich-thematischer Schwerpunkte und unterstützt durch formale Beobachtungen (vgl. dazu die Auslegung) kann das Josuabuch in drei Buchteile untergliedert werden: Der erste, Jos 2–12, behandelt die Ankunft Israels im Land sowie die Eroberung desselben und der zweite, Jos 13–21, – auf dem ersten Hauptteil aufbauend – die Verteilung des Landes an die zwölf Stämme. Die Kapitel Jos 22–24 schließlich kreisen um die Themen „Konsolidierung des Erreichten“ und „Abschied (des Josua)“. Das erste Kapitel des Buches (Jos 1) aber fungiert als ein Eröffnungstext, in dem nicht nur das im ersten Buchteil (Jos 2–12) geschilderte Geschehen der Landnahme „angestoßen“ und auf den Weg gebracht wird, sondern letztlich alle wesentlichen Themen, die das Buch bestimmen, Grund gelegt sind.
2.2 Einzelübersicht
Die drei an die Bucheröffnung in Jos 1 anschließenden Hauptteile des Josuabuchs können jeweils noch in Untereinheiten gegliedert werden, die in der folgenden Übersicht dargestellt sind. Eine Begründung der Unterteilung findet sich im Zusammenhang mit der Kommentierung.
Jos 1,1–9 | Gottesrede mit Beauftragung des Josua |