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E-Book

Überwältigendes bewältigen

KörperPsychotherapeutische Methoden in der Traumatherapie

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783752883404
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,49 EUR
Beiträge der 20. Fachtagung der GBP e.V. in Schloss Schney zum Thema Körperpsychotherapie in der Traumatherapie.

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Leseprobe

Dr. Ralf Vogt


Reinszenierungsarbeit mit
einem Geburtstrauma- ein
Fallbericht

Zum Hintergrund

Uwe K. trat zu Beginn der Therapiesitzungen bei mir zunächst als zwanghaftes Arbeitstier in Erscheinung. Er übte seinen Beruf sehr gewissenhaft aus, bis auf den Umstand, dass er wohl selbst sein größter Kritiker war und oft mit viel zu hohem Aufwand seine Aufträge erledigte. Er war durch seine Frau zur Psychotherapie gekommen, die offenbar unter seiner schizoiden intellektuellen Art litt und wohl auch dem beruflichen Raubbau des Mannes nicht untätig zusehen konnte.

Die Eltern von Uwe K. kommen aus der bürgerlichen Mittelschicht und waren offensichtlich über die aktuelle Psychotherapie des Sohnes überrascht, weil sie sich insgesamt für eine sehr gute Familie hielten. Sohn und Tochter gingen nach abgeschlossenem Studium geordneten Berufen nach und jeder verfügt über ein relativ geordnetes Auskommen. Uwe beschrieb in der SPIM 30 Introjekt-Übertragungstafel, dass er aufgrund seiner Mutteranpassung heute zu sehr anderen gefallen müsse und, ohne es zu wollen, die Harmoniesucht der Eltern introjiziert hätte. Infolge der Vaterübertragung litt er seiner Aussage nach unter intellektuell herumschwafelnden Menschen bzw. auch deren Gegenteil, wenn Männer genau wussten, was sie wollten. Das erzeuge bei ihm Ärger oder Konkurrenz- und Neidgefühle, die er abwehren müsste. Vom Vater habe er als negativste Eigenschaft besonders das Workaholic-Syndrom übernommen sowie dessen stetige Selbstunsicherheit. Gepaart mit den mütterlichen Versagensängsten ergäbe sich daraus schnell ein Teufelskreis, der sich auch spiralförmig zu einer Apokalypse aufbauschen könne. Problematisch war für Herrn K., dass er die Eltern nicht ungerecht, wie er es nannte, verurteilen konnte. Er habe von diesen doch so viel Gutes erfahren und beide hätten doch stets das Beste für ihn gewollt. Mutter und Großmutter (mütterlicherseits) wären in seinen Kindertagen die emotional dominanten Figuren der Familien gewesen. Der Vater hätte zwar als intellektuelles Aushängeschild nach außen fungiert, wäre aber insgesamt nur schizoider Satellit im Frauenweltall gewesen. Alle Prägungen zusammenfassend skizzierte Herr K. eine Anteileübersicht, in der die druckmachenden und ängstlich-ambivalenten Anteile der Eltern als Introjektionen und seine elternloyalen und angepassten Verhaltensweisen als gebremste Kindanteile der Übertragung charakterisiert wurden. Außerdem gab es einen verträumten Jungenanteil, der sich dem äußeren wie inneren Druck durch Fantasiewelten entzog. Als Opfer- bzw. möglichen Traumakindanteil umriss Uwe K. eine kleinere Selbstregulationsstruktur, in welcher er zunächst ein bekanntes Zangengeburtstrauma umriss, zu welchem er aber keinen aktuellen Zugang hatte. Außerdem benannte er gruselige Erlebnisse einer Mandel-Operation im Kindesalter sowie erlebtes schulisches Leistungsversagen. Ansonsten beschrieb er eine Gewaltsituation gegenüber stärkeren Jugendlichen und partnerschaftliche Krisensituationen aus dem Erwachsenenalter als sehr belastend bis traumatisch. Durch die gute Selbstreflexion erschien die Psychotherapie gut überschaubar und befristet.

Der Therapieverlauf

In bindungspsychologischer Hinsicht zeigte der Klient Opferbindungsverhalten und idealisierte höchstwahrscheinlich seine Beeinflusserfiguren. Allerdings ist das Unterschätzen von traumatischen Vorfällen auch als normaler Verdrängungs- und Dissoziationsprozess zu sehen, da die Mehrzahl der Menschen genau diesen abwehrenden Schutzmechanismus zeigt. In der Übertragung zu mir würde ich von ganz normalen neurotischen Elternübertragungen sprechen. Auffällig war nur, dass der Klient offenbar seine pubertären Aggressionen aus anerzogenem Tabu nicht ausgelebt hatte und sich mir gegenüber selbstunsicher verhielt.

Bei der Planung therapeutischer Settings ging ich mit den Elementen des SPIM 30-Konzeptes klassisch vor. Wir starteten mit einer ausführlichen Psychoedukations- sowie Stabilisierungsphase und organisierten eine Introjekt-Übertragungstafel mit anschließenden gestalttherapeutischen Rollendialogen. Wir beendeten diese erste Etappe mit den oben grob beschriebenen Trauma- und Ressourcenlandkarten sowie dem Anteileschema, welches sowohl bei neurotischen Störungen im Sinne der funktionalen Anteile als auch bei komplextraumatisierten Störungen im Sinne der dissoziativen Anteile anwendbar ist. Da Herr K. perfektionistisch organisiert war, bearbeitete er alle Handout-Blätter gewissenhaft. Solange er über etwas reflektieren konnte, fühlte er sich sicher. Auffällig waren wohl nur seine langen Erzählphasen als eigene Stundeneröffnung im Sinne von Plapperstunden über den Alltag usw. Es wurde deutlich, dass hier latente Angst dem Verhalten zugrunde lag. Ich werde von den traumapsychotherapeutischen Stunden nur einige Aspekte hervorheben, die exemplarisch für andere chronifizierte PTBS-Fälle stehen, bei denen die belastenden Vorfälle schon viele Jahre zurückliegen.

Narrativ bewusst gespeicherte Vorfälle wie das Mandel-OP-Trauma mit einem sehr ruppigen Chirurgen und nicht einfühlsamen Schwestern sowie die Gewaltsituation unter den Jugendlichen waren mit Screentechnik und der imaginativen Fußbodenmatte am besten zugänglich. Der Klient hatte genügend Fragmente gespeichert, sodass eine löchrige Geschichte zusammenhängend berichtet werden konnte. Entscheidend war jetzt, diese Episode erlebnisaktiv werden zu lassen und die fehlenden Bruchstücke, die meistens höher negativ traumatisch besetzt sind, aufzuspüren und ganzheitlich durchzuarbeiten. Bei der OP-Episode waren nämlich der rüde Ton des Krankenhauspersonals sowie die tabuisierte Information über das zu erwartende OP-Geschehen die traumakatalysierenden Faktoren für den Jungen. Ich habe in meiner Praxis schon oft von solchen Interaktionstraumata durch eine miserable Erwachsenen-Kind-Bindungsgestaltung erfahren, die ich als Ausdruck der Nachkriegsmentalität der älteren Generation interpretiere. Mir ist durch ältere Klienten als auch durch Elternerzählungen bekannt, dass die ruppige und verschwiegene Haltung der Erwachsenen in Gefahrensituationen der Kriegswirren sehr typisch war. Aufgrund ihrer harten vormilitärischen, nationalsozialistischen wie traditionell rohen Erziehungserfahrung und der abgewehrten eigenen Hilflosigkeit gegenüber Schmerz und Angst, werden Kinder in der Regel nicht von absehbaren Gefahrensituationen in Kenntnis gesetzt. Nach Auffassung dieser Eltern soll es besser für ein Kind sein, nichts im Voraus zu wissen oder zu ahnen, weil es sonst übergroße Ängste bekommt. So denken natürlich Erwachsene, die schnell an eigene Kindheitstraumata erinnert werden, sobald sie einen potenten Trigger spüren. Stattdessen ist es traumapsychologisch genau umgekehrt, dass eine einfühlsame und langfristige Vorbereitung auf schmerzliche Situationen eine deutlich bessere Chance bietet, leidvolle Ereignisse zu verdauen, es sei denn, man ist bereits schwer komplextraumatisiert. In diesem Fall benötigt man zuvor das sachgerechte Durcharbeiten der größten Triggersituationen. Das Nichtansprechen der Gefühle entspricht vielmehr der peri- und posttraumatischen Dissoziation, in der Menschen aus dem überfordernden Traumageschehen plötzlich aussteigen und anscheinend nicht mehr merken oder wissen, was soeben geschieht oder geschehen ist. Dieses Verhalten hat dann wirklich nichts mit der sogenannten erworbenen bewussten Härte eines Menschen zu tun. Es ist vielmehr ein posttraumatischer Härteschutz, bei der sich chronifizierenden Täterintrojektion infolge des traumatischen Vorfalls. Der kleine Uwe war nun offensichtlich an solche Menschen geraten, die seine weinerliche Erwartungsangst verächtlich und für den Arbeitsablauf als ungezogen und lästig empfanden. Wir bearbeiteten die OP-Situation deshalb sowohl mit szenischen Rekonstruktionen und psychophysischen Parallelisierungen (vergleiche Psychotraumaexpositionskonzept SPIM 30 in Vogt, 2013) als auch mit vielen nachträglichen edukativen Stopps. Hinzu kamen Nachbereitungen bzgl. der generationsbedingten Defizite des Krankenhauspersonals und der eigenen Eltern, die dem Kind dazu keine enttraumatisierende Stütze waren.

Bei dem anderen Gewaltvorfall mit den Jugendlichen war aus burschikosem Spiel plötzlich traumatisierender Ernst geworden, weil die eine Jugendbande die Jungs der anderen Gang kriegsähnlich besiegen wollte. Uwe war plötzlich Gefangener und nach dem Vorbild von Kriegs- oder Horrorfilm an Heizungsrohre gefesselt und allein gelassen worden. Die Ohnmacht und Todesfurcht des „Verrecke doch du Arschloch!“ war tief ins Mark gegangen. Auch hier waren weder die Eltern der Opfer-Täter-Kinder noch die Eltern von Uwe geeignete Ansprechpartner, um die Empörung über die brutale Entgleisung oder Annahme für die erlebte Existenzangst des Opfers zu sein. Vorfälle dieser Art wurden als „Lebenslehre“ totgeschwiegen oder mit Opferentwertungen wie: „Warum spielst du auch mit solchen Jungs!“ abgetan. Die Ursachen für solche brutalen Einfälle bzw. traumatisierenden...

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