II. Lektion: Der Charakter der Macht.
Die Macht ist nicht von magnetischer Natur. – Ein gelinder Strom von Gedankenwellen. – Gedanken sind Dinge. – Unsere Gedanken greifen uns ebenso an wie andere. – Dem Wechsel der Gedanken-Beschäftigung folgt der Wechsel in der Körper-Erscheinung. – Gedanken nehmen in den Handlungen Gestalt an. – Das Denken ist die größte Kraft auf der Welt. – „Ich kann“ und „ich will“ gegen „ich kann nicht“. – Praktischer Unterricht und nicht abstrakte Vorträge. – Die Anziehungskraft des Denkens. – Furchtgedanken bilden den Ursprung des schädlichen Denkens.
Die meisten Menschen werden bei dem Ausdruck „persönlicher Magnetismus“ annehmen, es sei dies ein Strom, der, von der Persönlichkeit des magnetischen Individuums ausgehend, alle diejenigen anziehen müsse, welche sich in dem Bereich seiner magnetischen Kraft befinden. Diese Annahme ist zwar eine irrtümliche, enthält aber dennoch ein Körnchen Wahrheit. Es gibt in der Tat einen anziehenden Strom, der vom Menschen ausgeht, aber derselbe ist nicht magnetischer Natur, da der Ausdruck „Magnetismus“ doch immer in Verbindung mit dem Magnet selbst oder mit „Elektrizität“ gebraucht zu werden pflegt. Der menschliche magnetische Strom hat zwar bezüglich seiner Wirkung eine gewisse Ähnlichkeit mit dem magnetischen und dem elektrischen Strome, hat aber tatsächlich hinsichtlich des Ursprungs oder Charakters nichts mit diesen zu tun.
Persönlicher Magnetismus ist ein sehr gelinder Strom von Gedankenwellen oder Gedankenschwingungen, ausgehend vom menschlichen Gehirn. Jeder einzelne unserer Gedanken ist eine mehr oder weniger starke Gewalt, die bezüglich ihrer Kraft von dem im Moment seines Entstehens mitwirkenden Antrieb abhängig ist. Wenn wir uns vorstellen, dass wir einen gelinden Strom aussenden, der sich ähnlich wie ein Lichtstrahl ausbreitet und die Gedanken anderer, oftmals weit von uns entfernter Leute beeinflusst, so wird ein machtvoller, mit großer Kraft ausgestatteter Gedanke seine Wirkung tun und oftmals den instinktiven Widerstand gegen äußere Eindrücke bei anderen niederschlagen, während ein schwacher Gedanke unfähig sein würde, auch nur Eingang in die Verstandesburg eines anderen zu finden, es sei denn, dass diese Burg sehr schlecht bewacht wäre. Gedanken, in derselben Richtung wiederholt und immer wieder in gleicher Weise angewandt, werden sich häufig Zutritt erzwingen, wo eine einzelne Gedankenwelle, selbst wenn sie an sich stärker ist, zurückgewiesen würde. Es ist dies die Darstellung eines physikalischen Gesetzes in der psychischen Welt und bestätigt nur das alte Sprichwort von dem stetig auf dieselbe Stelle fallenden Tropfen, der schließlich den Stein aushöhlt. Wir werden alle von den Gedanken unserer Mitmenschen viel mehr beeinflusst, als wir dies selbst glauben. Wohlgemerkt: ich sage nicht von der Meinung anderer, sondern von ihren Gedanken. Ein bedeutender Schriftsteller über dieses Thema stellt mit vollem Recht den Satz auf: „Gedanken sind Dinge“. Und wahrlich sie sind Dinge, und zwar ungemein machtvolle Dinge. Diese Tatsache muss man beachten, um nicht völlig der gewaltigen Kraft anheimzufallen, der Kraft, über deren Charakter wir nichts wissen und deren Dasein überhaupt von vielen geleugnet wird. Andererseits, wenn wir die Gesetze und Regeln kennen, nach welchen diese Kraft anzuwenden ist, werden wir dieselbe bemeistern und als ein Werkzeug und Hilfsmittel gebrauchen können.
Jeder Gedanke, ob schwach oder stark, ob gut oder schlecht, gesund oder krank, verursacht, sobald er in uns entsteht, schwingende Wellen, die mehr oder weniger alle erreichen, die mit uns in Berührung oder in den Bereich unserer Gedankensphäre kommen. Die Gedankenwellen sind mit Ringen zu vergleichen, welche auf einem Teich sich bilden, wenn man einen Stein ins Wasser geworfen hat. Es ist klar, dass die Kraft dort am meisten sich fühlbar machen wird, wohin die Gedankenwellen ganz besonders hinneigen.
Aber außer den anderen greifen die Gedanken uns auch selbst an, und zwar nicht bloß zeitlich, sondern auf die Dauer. Wir werden das, was wir uns einbilden zu sein. Die Worte der Bibel, „Wie der Mensch in seinem Innern denkt, so ist er“, sind buchstäblich wahr. Wir sind alle Geschöpfe unserer eigenen geistigen Schöpfung. Wir wissen, wie leicht es ist, schlecht gelaunt zu werden, oder auch umgekehrt, aber wir sind uns noch nicht darüber klar geworden, dass planmäßig auf einen und denselben Gegenstand gerichtete Gedanken nicht nur, und das ist gewiss der Fall, in dem Charakter des Menschen sich widerspiegeln, sondern auch in seinem Äußeren erkennbar sind. Das ist eine nachweisbare Tatsache, und wir brauchen zu ihrer Bestätigung nur um uns zu blicken. Sie haben gewiss schon bemerkt, wie der Beruf des Mannes sich in seiner Erscheinung kundgibt, wie sein ganzer Charakter davon beeinflusst ist. Was halten Sie wohl für die Ursache dieser Erscheinung? Nichts anderes als die Denkweise selbst. Wenn Sie je Ihren Beruf gewechselt haben, halten im Allgemeinen Ihr Charakter und Ihre Körpererscheinung gleichen Schritt mit dem veränderten Gedankengang. Der neue Beruf, die neue Beschäftigung bringen einen neuen Gedankengang mit sich, und „Gedanken werden in Handlungen umgesetzt“. Sie werden die Sache vielleicht niemals von dieser Seite betrachtet haben; sie ist aber nichtsdestoweniger wahr, und Sie werden hinreichend Beweise für die Richtigkeit dieser Behauptung finden, wenn Sie nur um sich blicken.
Ein Mann, der an Energie denkt, wird auch Energie zeigen. Der Mann, der an Mut denkt, wird auch Mut besitzen. Ein Mann, der denkt: „Ich kann und ich will“, wird erreichen, was er will, während der Mann, welcher denkt: „Ich kann nicht“, gewiss daneben tappt. Jedermann ist von dieser Wahrheit überzeugt. Nun fragt es sich, wodurch denn eigentlich der Unterschied herbeigeführt wird? Durch Gedanken, das gewöhnliche tagtägliche Denken, nichts weiter. Natürlich die Handlung folgt dem Gedanken. Aber warum? Nur einfach deshalb, weil es nicht anders möglich ist. Die Tat folgt stets als das naturgemäße Resultat des vollkräftigen Denkens. Mann muss nur ernstlich denken, das Weitere folgt von selbst. Denken ist unbedingt das wichtigste Erfordernis in der Welt. Wer dies heute noch nicht anerkennt, wird nach dem Studium des vorliegenden Werkes dies gewiss tun. Vielleicht kommt einer und sagt, dass es ihm nichts Neues biete, dass er längst genau wisse, was es heißt „einen Entschluss fassen“, oder sonst eine ähnliche Phrase. Darauf sei mir die Frage gestattet: „Warum haben Sie denn diesen Gedankengang nicht praktisch umgesetzt und etwas aus sich selbst geschaffen?“ Ich werde Ihnen die Antwort geben. Sie dachten „ich kann nicht“, anstatt zu denken „ich kann“. Nun werde ich aber dieses „Ich kann nicht“ in ein stärkeres „Ich kann“ und in ein noch lauteres „Ich will“ umwandeln. Und für diese Gattung von Menschen habe ich das Buch geschrieben; ich beabsichtige, Sie „zu bekehren“, ehe wir vollends zum Schluss kommen.
Ich vermute immer, Sie glaubten, ich würde Ihnen einen überschwenglichen, ausführlichen Vortrag über Dinge in den Wolken halten, und Sie hofften vielleicht, von mir zu hören, auf welche Weise Sie wohl am besten magnetisiert würden, so dass Sie eventuell die Gasflamme mit Ihren Fingerspitzen anzünden oder andere an sich ziehen könnten, ähnlich wie der Stahl zum Magneten strebt. Dachten Sie nicht so? Nun, Sie sehen, so etwas fällt mir nicht ein. Mein Bestreben ist, Ihnen zu zeigen, wie Sie in Ihrem Innern eine Kraft schaffen können, gegen welche Magnetismus sehr schwach erscheinen muss; eine Kraft, die aus Ihnen einen Mann machen wird; eine Kraft, welche in Ihnen das „Ich“ hervorkehren wird; eine Macht, die Sie befähigt, ein Mann mit den Eigenschaften zu werden, einflussreich und erfolgreich zu wirken. Ich werde Ihnen sagen, auf welche Weise Sie „persönlichen Magnetismus“ erwerben können, immer vorausgesetzt, dass Sie ernstlich bestrebt sind, mir zu folgen. Die Arbeit wird nicht nutzlos sein, und sobald Sie die neue Kraft gewahr werden, die sich in Ihrem Innern ausbilden soll, werden Sie die neu gefundene Weisheit nicht gegen ein Vermögen eintauschen wollen.
Nun, es scheint mir, Sie fühlen sich jetzt schon ein klein wenig gestärkt, nicht wahr? Gewiss, dem ist so. Ich habe niemals länger als fünf Minuten zu meinen Schülern über das „Ich kann und ich will“ und über das Selbstgefühl des „Ich“ gesprochen, ohne dass sie sofort die Schultern zurückwarfen, den Kopf hochhielten, einen tiefen Atemzug taten und mir gerade in die Augen blickten, wie es sich für Männer und Frauen nicht andern ziemt. Da war einfach „der Gedanke in Handlung umgesetzt“. Erfassen Sie nun den Zweck? Der in geringer Dosis eingelegte Same von Selbsterkenntnis hat sofort Wurzel gefasst und Früchte gezeitigt. Ehe ich diese Lektion vollende, sollten Sie Ihre Aufmerksamkeit noch auf einen zweiten wichtigen Punkt bezüglich des Denkens richten. Es ist dieses die Anziehungskraft des Gedankens. Passen Sie gut auf, bitte, denn dieser Punkt ist von höchster Wichtigkeit.
Ich werde bei dem Versuch wissenschaftlicher Aufklärung alle technischen Ausdrücke vermeiden und Ihnen die Angelegenheit in der einfachsten Weise zur Kenntnis bringen, und zwar so:
Gedanken ziehen gleiche Gedanken an; die guten Gedanken ziehen gute an, die schlechten schlechte. Der Gedanke an das Starke zieht das Starke an sich; entmutigende Gedanken und Zweifel machen keine Ausnahme, und so geht es mit der ganzen Reihe der Gedanken.
Ihre Gedanken ziehen die entsprechenden Gedanken anderer an sich, so dass also Ihr Gedankenvorrat vergrößert wird. Verstehen Sie den Sachverhalt? Denken Sie an Furcht, und Sie werden alle...