Auf den vergangenen Seiten haben Sie erfahren, wie Redeangst entsteht. Bevor wir uns damit befassen, wie Sie Ihre Redeangst loswerden, ist es wichtig, dass Sie ein paar psychogische und neurobiologische Grundlagen kennenlernen.
Ein Gehirn ist wie ein Motor ohne Ausschalter, es läuft und läuft und läuft. Und wenn es sich langweilt, dann sucht es sich irgendetwas, um sich zu beschäftigen. Dabei ist es dem Gehirn egal, was es macht, um sich seine Langeweile zu vertreiben. Dem Inhaber des Gehirns möglicherweise nicht.
Ihrem Gehirn ist es völlig egal, wie es Ihnen geht. Es interessiert sich nicht im Geringsten für Sie. Ob Sie sich wohlfühlen oder nicht, ist ihm gleichgültig. Es ist nämlich die meiste Zeit damit beschäftigt, mit sich selbst zu kommunizieren, und kann sich deshalb nicht noch um Sie kümmern. Ihr Gehirn ist ein eigennütziges Organ. Anders ausgedrückt: Menschliche Gehirne sind von Grund auf egomanisch.
Kennen Sie Egomanen? Das sind Menschen, die nur mit sich selbst beschäftigt sind. Eine Selbstbezogenheit, bei der Empathie keinen Platz hat. Wenn ich mich mit einem Egomanen in einem Raum befinde, habe ich oft den Eindruck, dass dieses Individuum gar nicht bemerkt, dass ich ebenfalls anwesend bin. Die Welt scheint sich nur um ihn zu drehen. Permanente Monologe im Kommunikations-Einbahnstraßen-Modus. Detaillierte Erläuterungen zu Dingen und Themen, die mich nicht interessieren. Das Ganze wird dann meistens auch noch durch endlose Wiederholungsschleifen auf ein unerträgliches Maß gesteigert.
Aber zurück zu unserem Gehirn. Seinem Gehirn einfach etwas vorzuschreiben, weil man ein Verhalten verändern möchte – Redespaß statt Redeangst – funktioniert weniger gut. Sollten Sie unter Redeangst leiden und würden sich selbst sagen, dass Sie vor der Gruppe, vor der Sie stehen, ja eigentlich gar keine Angst haben müssen, wird es Ihrem Gehirn egal sein, was Sie da von ihm verlangen. Denn es kann damit nichts anfangen. Kluge Ratschläge von anderen Menschen, wie: „Da brauchst du doch keine Angst zu haben“, sind Ihrem Gehirn ebenfalls egal.
Gehirne sind diesbezüglich sehr direkt und recht einfach konstruiert. Sie, die Gehirne, fragen sich nämlich: Wenn er keine Redeangst mehr haben möchte, was will er denn stattdessen? Und wenn er mir, seinem Gehirn, nicht expliziert sagt, was er eigentlich von mir will, dann mache ich genauso weiter wie immer.
Sehr viel hilfreicher ist es, Gehirne zu einer Kooperationsbereitschaft einzuladen. Zu diesem Zweck bietet man ihnen etwas an, wonach sie sich alle zehn Finger lecken. Um etwas wirklich Interessantes zu finden, muss man allerdings auf die Suche gehen. Denn der Leckerbissen muss dem Gehirn extrem gut gefallen. Und er muss zur Persönlichkeit des Individuums passen oder noch besser: Der Leckerbissen sollte einen Teil seiner Persönlichkeit ausmachen. Anders ausgedrückt: Es muss etwas sein, mit dem sich das Individuum identifizieren kann.
Mit der Politiker-ProfessorRessourcen-Methode können Sie nach „Leckerbissen“ für Ihr Gehirn suchen. Auf die Methode werde ich in Laufe des Buches noch eingehen.
Um Ihre Redeangst zu überwinden brauchen Sie also etwas, von dem Sie und natürlich auch Ihr Gehirn magisch angezogen werden. Sie brauchen etwas, für das Sie brennen. Und es muss ein extrem großes Feuer sein, das Ihnen auch niemand wegnehmen darf.
Sie kennen bestimmt den blauen Elefanten, an den Sie nicht denken sollen. Wenn ich Sie jetzt bitte, nicht an einen gelben Affen zu denken, woran denken Sie dann? An den blauen Elefanten oder an den gelben Affen? Oder denken Sie jetzt etwa bereits an zwei Dinge, an die Sie nicht denken sollen?
Wenn Sie nicht an den blauen Elefanten denken sollen, denken Sie an einen blauen Elefanten.
Ganz genau: Gehirne können nicht nicht denken. (Nicht an den roten Pudel denken.)
Oh, denken Sie jetzt schon an drei Dinge, an die Sie nicht denken sollen? Es könnte aber auch sein, dass Sie, als ich Sie bat, nicht an den Pudel zu denken, nur an den Pudel gedacht haben. Möglicherweise haben Sie auch nicht an den gelben Elefanten gedacht. Und eventuell auch nicht an den blauen Affen.
Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Sie beim Lesen des Satzes „Möglicherweise haben Sie nicht an den gelben Elefanten gedacht“ nicht an den Elefanten gedacht, den ich zuerst erwähnt habe. An den blauen denken Sie erst jetzt wieder, nicht wahr?
Und beim Lesen des Satzes „Und eventuell auch nicht an den blauen Affen“ haben Sie eventuell auch nicht an den Affen gedacht, den ich nach dem ersten Elefanten erwähnt habe. An den gelben Affen denken Sie wahrscheinlich erst jetzt, oder nicht?
Bemerken Sie etwas? Wenn ich Ihnen Alternativen anbiete, kann Ihr Gehirn an etwas anderes denken, als an das, an das Sie nicht denken sollen. Das funktioniert auch, wenn Sie zum Beispiel nicht mehr an Ihre Redeangst denken möchten. Das Ganze ist dann allerdings etwas komplexer.
Nun gibt es aber noch einen ganz anderen Aspekt bei dieser kleinen Demonstration, der Ihnen wahrscheinlich gar nicht bewusst geworden ist.
Ich habe Sie gebeten, an Affen und Elefanten mit bestimmten Farben zu denken. Richtig? Ich habe Ihnen aber nicht gesagt, an was für eine Art Affen und Elefanten Sie denken sollen. Das macht Ihr Gehirn automatisch. Und ich brauche nicht einmal die Art der Affen und Elefanten zu kennen, an die Sie denken.
Jetzt fragen Sie sich bestimmt: „Was genau will der Hampel mir damit sagen?“ Die Antwort lautet: Wenn wir Gehirnen Alter nativen anbieten, können wir dabei sehr vage vorgehen. Wir müssen die Dinge nicht bis ins kleinste Detail beschreiben. Die Gehirne werden die Vorschläge detailliert darstellen und möglicherweise auch Ergänzungen hinzufügen. Und meistens machen Gehirne dies auf eine Art und Weise, die zu einem Ergebnis führen, das für den Besitzer des Gehirns tendenziell eher angenehm ist.
Anders ausgedrückt: Gehirne sind in der Lage, selbst Lösungen für Probleme zu finden. Manchmal muss man ihnen nur neue Impulse geben. Oder haben Sie an einen Affen gedacht, der Ihnen Angst gemacht hat? Hat Ihnen der Elefant, an den Sie gedacht haben, Angst gemacht?
Um ungewünschtes Denken, zum Beispiel an Redeangst, zu verändern, benötigen Gehirne also Alternativen, an die sie denken können. Sie wollen nicht etwas, an das sie nicht mehr denken sollen. Da sind Gehirne ziemlich stur und wenig bis gar nicht kooperativ. Und die Alternativen sollten nach Möglichkeit so reizvoll sein, dass man sich alle zehn Finger … Na, Sie wissen schon. Und die Alternativen müssen von Ihnen kommen. Es müssen Ihre Alternativen sein. Alternativen, die Ihr Gehirn automatisch erzeugt – wie bei der Art der Affen und der Elefanten. Es sind nämlich Ihre Affen und Ihre Elefanten. Außerdem muss das Erleben der Alternativen unter die Haut gehen – darauf gehen wir später noch genauer ein. Diesen Prozess des Erlebens von persönlichen Alternativen, die vom Gehirn automatisch erzeugt werden und unter die Haut gehen, nenne ich „Neues Lernen“.
Übung: Denken Sie an etwas, das Sie mögen
Machen wir dazu eine kleine Übung.
• An was möchten Sie gern denken? Suchen Sie etwas, das Ihnen ganz besonders gut gefällt. Es können Orte sein. Es können aber auch Handlungen sein. Oder Menschen, mit denen Sie gern zusammen sind. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Nichts ist unmöglich. Sie können in Ihrer Gedankenwelt alles machen, was Sie sich wünschen. Auch wenn es im realen Leben unmöglich ist.
• Lassen Sie Ihren Gedanken für 5 bis 10 Minuten freien Lauf. Denken Sie an etwas, das Ihnen so richtig Spaß macht. Fühlen Sie den Spaß. Lassen Sie ihn frei. Tauchen Sie in den Spaß hinein und lassen Sie ihn größer werden.
• Noch größer. Noch viiiiiiiiiel größer.
Na, wie war das? Haben Sie noch an die drei Tiere von oben gedacht?
Jetzt habe ich doch tatsächlich total vergessen, den Pudel wiederholt zu erwähnen, so wie ich es mit dem Affen und den Elefanten gemacht habe. Am Anfang des Kapitels war die Rede von drei Tieren: Elefant, Affe, Pudel. Sie erinnern sich? Den Elefanten und den Affen habe ich im Verlauf des Kapitels mehrmals erwähnt. Den Pudel habe ich unterschlagen.
Auch das ist eine Möglichkeit, nicht mehr an Dinge zu denken, an die man nicht denken möchte: Man beschäftigt das Gehirn zunächst mit drei Elementen (Pudel, Affe, Elefant), an die es nicht denken soll. Dann wählt man zum Beispiel zwei Elemente aus und fokussiert das Gehirn mit Fragen oder Geschichten auf die beiden ausgewählten Dinge. Das dritte Element wird nicht mehr erwähnt. Dem Gehirn fällt es dann meistens nicht auf, dass ein Element fehlt, weil es ausreichend mit den beiden anderen Dingen befasst ist.
Sie sehen, Ihr Gehirn möchte Alternativen zu den Dingen bekommen, die Sie nicht mehr haben möchten. Wenn Sie Ihre Redeangst überwinden...