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Die 'Judenfrage' im Bild

Der Antisemitismus in nationalsozialistischen Fotoreportagen

AutorHarriet Scharnberg
VerlagHamburger Edition HIS
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783868549430
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Zensur, Repression und Kontrolle - Mit den Bildreportagen in NS-Zeitungen richtet Harriet Scharnberg den Fokus auf eine Dimension antisemitischer Politik, die bisher nicht systematisch untersucht wurde. Der Fotojournalismus befand sich in seiner ersten Blütezeit, als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht gelangten. Bilder eroberten die Tages- und Wochenzeitungen. Die Illustrierten, die wichtigsten Medien des fotojournalistischen Diskurses, erreichten ein Millionenpublikum. Die Nationalsozialisten richteten eine Bildpresselenkungsstelle ein und nutzten die Bilder für eine gezielte Bildpolitik. Harriet Scharnberg konzentriert sich in ihrer Analyse auf die 'Judenfrage' und zeigt an vielen Beispielen, wie die NS-Bildpresse verschiedene Visualisierungsstrategien entwickelte, um abzuwiegeln, zu täuschen und zu verzerren.

Harriet Scharnberg, M.A., hat Geschichte und Politikwissenschaft in Hamburg und Torun (Thorn) studiert. Sie ist Spezialistin für historische Fotografien.

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IDie Bildpresse


Der Siegeszug des Fotojournalismus begann bereits vor der nationalsozialistischen »Machtergreifung«. Zwischen der Wende zum 20. Jahrhundert und dem Beginn der 1930er Jahre ermöglichten technische Neuerungen den immer flexibleren Einsatz der Fotokamera sowie den immer schnelleren und qualitativ zufriedenstellenden Abdruck der Bilder. Vor allem aber beflügelte der Aufstieg der illustrierten Zeitung zum Massenmedium zu Beginn des 20. Jahrhunderts den fotojournalistischen Aufschwung.

Die Wochenillustrierten

Die früheste Vertreterin der Gattung Wochenillustrierte ist die Leipziger Illustrirte Zeitung (1843–1944). Während diese auch nach der Jahrhundertwende die gelehrte und distinktive Gebärde einer Zeitung für »Familien der besseren Stände«1 nicht ablegte, vollzog sich in der liberalen Berliner Illustrierten Zeitung (1891/2–1945) und der kaisertreu-deutschnationalen Woche (1899–1944) der Wandel zu einem modernen Unterhaltungs- und Nachrichtenmedium. In Konkurrenz zu den beiden etablierten Berliner Blättern mit überregionaler Reichweite entstanden ab Mitte der 1920er Jahre in der ganzen Republik regionale Neugründungen. Dauerhaft am Markt etablieren konnten sich vor allem diejenigen, hinter denen größere Verlagshäuser standen, wie die Frankfurter Illustrierte (Das Illustrierte Blatt, 1909/1913–1944), die Essener Wochenschau (1909/1932–1944), die Hamburger Illustrierte (1918–1945), die Stuttgarter Illustrierte (Das bunte Blatt, 1924/9–1944), die Münchner Illustrierte Presse (1923/4–1945), die Neue I. Z. (1921/4–1944), die Deutsche Illustrierte (1925–1945) oder die Kölnische Illustrierte Zeitung (1926–1945).2

Ein charakteristisches Merkmal der Wochenillustrierten war der Einsatz von Fotografien. Mehr und mehr nahmen die Redaktionen das Bild zum Ausgangspunkt und experimentierten mit dessen journalistischen Möglichkeiten,3 während dem Text eine untergeordnete Bedeutung zugewiesen wurde.4 Mit diesem Konzept avancierten die Wochenillustrierten zu absoluten Publikumslieblingen und wurden »[b]is weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus […] zum beherrschenden Bildmassenmedium«.5

Ein Format, das aufgrund seiner Popularität schon Ende der 1920er Jahre den Stellenwert eines »Herzstückes der Illustrierten« (Henrick Stahr) einnahm, war die »moderne Fotoreportage«.6 Mit ihr veränderte sich die bisherige Abgrenzung der pressefotografischen von redaktionellen Aufgaben. Der Wirkungsbereich des Fotografen beschränkte sich nicht mehr auf das Handwerkliche und die punktuelle Bebilderung von Beiträgen. Von nun an war er auch für das Konzept, die Dramaturgie, die visuelle Umsetzung und manchmal auch schon für das Thema der Reportage zuständig und damit der erste Produzent visueller narrativer Kohärenz. Kurz: Der Fotograf nahm journalistische Aufgaben wahr und am redaktionellen Prozess teil.

Auch die Arbeit der Bildredakteure veränderte sich stark, nachdem erkannt worden war, dass Bilder nicht zwingend in Textspalten eingepasst werden müssen.7 Durch neue Gestaltungsmöglichkeiten wurden sie mehr und mehr zu Spezialisten des visuellen Layouts.8 Anordnung, Beschneidung und Skalierung, Form, Freistellung oder Einbindung sowie Größe der ausgewählten Bilder und ihre Positionierung zueinander, aber auch die Betextung und Betitelung der Reportage konnten deren ästhetische Wirkung und inhaltliche Aussage erheblich beeinflussen. Dieses zunächst im Arbeitsalltag erworbene Wissen der Bildredakteure wurde in den Fachbüchern und -zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre allmählich kodifiziert.9

In ihrem Aufbau verfügten alle Illustrierten über ähnliche gattungsspezifische Merkmale.10 Typisch war zunächst die Titelseite, auf der sich in den allermeisten Fällen eine formatfüllende Fotografie befand. Da sie am Kiosk wie ein Plakat wirken sollte, durften die Bildelemente nicht zu kleinteilig sein. Häufig waren Prominente oder Jahreszeitliches abgebildet oder auch Fotos, die aktuelles Geschehen auf den Punkt brachten. Die erste Doppelseite bestand meist aus einer panoramaartigen Bildberichterstattung unter Überschriften wie Bilder der Woche oder Aus aller Welt. Da der Redaktionsschluss im Allgemeinen etwa eine Woche vor dem Erscheinungstermin lag, waren die Fotos nicht brandaktuell.11 Danach kamen Fotoreportagen mit eher politisch-belehrenden oder aktuellen Inhalten. Ein zweiter Bildblock folgte meist nach dem Fortsetzungsroman und einigen Anzeigen und widmete sich unterhaltenden Sujets. Witz- und Rätselecke, Kleinanzeigen sowie die Filmberichterstattung, die sich meist auf den letzten Seiten fand, rundeten das Angebot ab. Insgesamt charakteristisch für die Wochenillustrierten war ihr großer Anteil visueller Inhalte und die Mischung aus aktuell-informierenden und unterhaltenden Elementen.

Neben den sich stark gleichenden bürgerlichen Metropolen-Illustrierten behaupteten sich andere durch bewusste politische Abgrenzung vom als eskapistisch diskreditierten, bürgerlich-kommerziellen Mainstream. So gelang es der kommunistischen Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ, 1924–1938)12 zu Beginn der 1930er Jahre mit dem sozialkritischen Anspruch, ungeschönt das tatsächliche Arbeiterleben zu repräsentieren, bis zu eine halbe Million Käufer_innen zu gewinnen. Mit dieser Illustrierten im Programm stieg das von Willi Münzenberg13 geleitete Verlagshaus (Kosmos-Verlag GmbH) zum zweitgrößten der Republik auf. Die vom Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold herausgegebene republikanische Illustrierte Reichsbanner Zeitung (1924–1933) erhielt nur einen Bruchteil dieses Zuspruchs. Auch die Nationalsozialisten erkannten das Potenzial, das in dem Konglomerat von Visualisierung, Information, Unterhaltung und Politisierung lag. Ende der 1920er Jahre gründeten sie den Illustrierten Beobachter (IB, 1926/27–1945), der als Ergänzung zum Völkischen Beobachter ebenfalls im Parteiverlag der NSDAP erschien und diesen aus dem Stegreif in der Auflagenhöhe überflügelte.14 Sein erklärtes Ziel, »das jüdische Bilderzeitungsmonopol zu durchbrechen« und den IB zur »größte[n] illustrierte[n] Zeitung in deutscher Sprache« zu machen, erreichte er allerdings nie.15

Neben den selbstständigen Illustrierten kursierte eine Vielzahl unselbstständiger illustrierter Wochenbeilagen zur Tagespresse.16 Außerdem gab es Mischformen: So war der Welt-Spiegel zunächst die illustrierte Wochenbeilage zum Berliner Tageblatt. Ab 1926 konnten ihn die Leser_innen auch einzeln zum Preis von 10 Pfennigen am Kiosk erwerben.17 Die Kölnische Illustrierte Zeitung, später »ein ausgesprochen erfolgreiches Produkt des Verlags«, lag zur Markteinführung einige Wochen lang kostenlos der ebenfalls bei M. DuMont Schauberg erscheinenden Tageszeitung, der Kölnischen Zeitung bei.18 Zunächst hieß sie Illustrierte Kölnische Zeitung, um das Verhältnis zum Mutterblatt unmissverständlich auszudrücken.19 Auch andernorts war der Titel mancher Illustrierten an denjenigen einer Tageszeitung im gleichen Verlag angelehnt. Das gilt etwa für den Illustrierten Beobachter (Völkischer Beobachter) oder auch für die Frankfurter Illustrierte Zeitung (Frankfurter Zeitung). Und bis die Berliner Zeitung 1904 zur BZ am Mittag umstrukturiert und umbenannt wurde, koexistierten auch bei Ullstein Tagesund Wochenzeitung unter dem fast gleichen Titel (Berliner Illustrierte Zeitung).

Das Nachrichtenbild in Illustrierten hat der Autor eines zeitgenössischen Handbuchartikels als »Kommentar« zu den aus der Tagespresse bereits bekannten Geschehnissen bezeichnet.20 Auch Hans Diebow21, Bildspezialist im NSDAP-Parteiverlag, strich die besondere visuell-rekapitulierende Beziehung zwischen Tageszeitung und Illustrierter heraus: »Die ›Illustrierte‹ am Wochenende gibt ein gewisses Ausspannen; man freut sich sechs Tage lang auf ihr Erscheinen. Sie ist eine Abwechslung von dem üblichen Lesestoff der Tageszeitung. Sie sieht die Zeitereignisse bildmäßig in zusammenhängender Form. Unter den Bildnachrichten scheidet sie das allzu sehr an den Tag Gebundene aus und wirft das Schwergewicht auf bedeutsame Vorgänge, die ein längeres Verweilen rechtfertigen.«22 Und Kurt Korff23, damaliger Chefredakteur der Berliner Illustrierten Zeitung, »sah 1927 die besondere Bedeutung seiner Zeitschrift darin, eine notwendige Ergänzung der Tageszeitungen zu sein«.24 Die Wochenillustrierten standen also in enger Beziehung zu den Tageszeitungen – und zwar in engerer als zu den meisten anderen Zeitungsund...

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