„Nein – ich lerne niemals ganz KZ“
Jonas Höltig
„Na ja“ – schon im Titel des von Bruno Apitz und Karl Schnog im Konzentrationslager Buchenwald geschriebenen Liedes schwingen Gleichgültigkeit, Resignation und Hoffnungslosigkeit mit. Das satirische Lied war Teil verschiedener Unterhaltungsprogramme.
Wer „Na ja“ zum ersten Mal hört, muss unweigerlich schmunzeln und staunen. Es fällt schwer zu glauben, wie humorvoll man sich mit dem menschenverachtenden Lageralltag auseinandersetzen konnte. Der Erzähler ist ein Tollpatsch, der schon vor der Zeit im Konzentrationslager nicht vom Glück verfolgt wurde. Er erinnert sich daran, dass er „draußen“ immerhin nicht „direkt bedroht“ wurde und wenigstens „manchmal etwas sagen“ durfte. Jetzt sieht er sich der permanenten Schikane, Erniedrigung und Härte des Lageralltags ausgesetzt. Dabei fällt es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden, um sein Leiden zu beschreiben – er behilft sich stattdessen mit zum Teil erfundenen oder unpassenden Wörtern der Empörung: „Ominös, schanderös, mysteriös, intravenös!“ Und alle Klagen münden im schulterzuckenden „Na ja“. Dazu passt auch die Melodie, die im Wesentlichen aus aneinandergereihten, musikalisch eher langweiligen C-Dur-Tonleitern besteht.
Der Erzähler verwendet in seinem Klagelied Worte, die Teil der Häftlingssprache sind, wie sie Schnog nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem KZ-Bericht „Unbekanntes KZ“ schildert. „Draußen“ ist ein Synonym für „Freiheit“. „Für jemanden schwarz sehen“ war ein häufig gehörter, „nicht sehr hoffnungsvolle[r] Ausspruch“ – aber, da er in der Regel von Mithäftlingen geäußert wurde, nicht ohne Mitgefühl (anders das von den SS-Wärtern geäußerte Pendant „Du bist reif!“). Die Sprache war laut Schnog „ursprünglich, bunt und drastisch. Sie entbehrte nicht eines grimmigen Humors.“
Rückblickend fällt es schwer, die Motivation der Künstler und die Funktion des Liedes im Lagerleben zu bestimmen. Lieder hatten im Allgemeinen verschiedene Funktionen; Musizieren bewegte sich im Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. „Lustige“ Lieder, die den Lageralltag kontrastieren und karikieren, werfen die Frage nach ihrer Funktion in besonderem Maße auf. War der Humor für die Häftlinge eine Möglichkeit, das Lagerleben zu reflektieren und sich ggf. emotional zu stabilisieren? Diente das Lied der Belustigung der SS-Offiziere, konnte man vielleicht gar auf Annehmlichkeiten im Lagerleben hoffen? Oder wurden Apitz und Schnog einfach gezwungen, ein „lustiges“ Programm zu schaffen?
Humor als Teil der Lagerkultur
„Na ja“ ist kein klassisches, bekanntes KZ-Lied; Informationen hierüber finden sich nur spärlich – das Erinnerungsinteresse ist deshalb besonders groß. Im Sammelband „Lieder aus den faschistischen Konzentrationslagern“, erschienen 1962 in einem verstaatlichten Verlag in der DDR, heißt es lediglich:
Dieses Couplet entstammt einer Zirkusszene aus einem kabarettistischen Programm, das im Lager [Buchenwald] aufgeführt wurde. Von Bruno Apitz vorgetragen, hat es – trotz der Satire – eine wesentliche, mobilisierende Rolle bei den Häftlingen gespielt. Es wurde auch als Solonummer in die bunten und internationalen Konzertprogramme aufgenommen.
Derartige Kulturveranstaltungen fanden ohnehin nur in der Frühphase des Nationalsozialismus und dann meist nicht heimlich statt. Sie waren in der Regel genehmigt oder wenigstens geduldet, teilweise auch von der Lagerkommandatur zur Unterhaltung des Lagerpersonals gewünscht. Im Lager Buchenwald, in dem „Na ja“ entstand, fanden die Kabarett-Abende aber heimlich statt. So unterschiedlich die Lagerkulturen waren, bildeten sich – abhängig von den Strukturen im Lager, der Zusammensetzung und musikalischen Affinität der Häftlinge etc. – unterschiedliche Arten von Kulturveranstaltungen heraus. Sie deckten ein breites Spektrum ab: Es gab Weihnachtsfeiern (vgl. dazu Wir zahlen keine Miete mehr, → S. →), Feierlichkeiten zu Ehren der Verstorbenen, aber auch Zirkusveranstaltungen.
Exkurs: Der Zirkus Konzentrazani
Über Zirkusaufführungen im Lager Buchenwald existieren kaum schriftliche Zeugnisse. Gut dokumentiert sind aber Zirkusaufführungen im KZ Börgermoor, die hier exemplarisch dargestellt werden sollen. Am bekanntesten sind die Vorstellungen des von Wolfgang Langhoff – der bereits vor seiner Inhaftierung als Schauspieler tätig gewesen war – ins Leben gerufenen „Zirkus Konzentrazani“. Langhoff schilderte später sein Motiv:
„Mir kam der Gedanke, daß es doch gut wäre, wenn man eine solche [Feststimmung] nicht nur anläßlich der Raucherlaubnis schaffen, sondern durch gemeinsames Singen oder gemeinsame Spiele jeden Sonntag erwecken könnte.“
Neben der allgemeinen „Stimmungsverbesserung“ und Bekämpfung der Hoffnungslosigkeit des Lageralltags ging es den Initiatoren derartiger Kulturveranstaltungen vermutlich auch darum, die Solidarität und den Zusammenhalt der Insassen untereinander zu stärken. Gleichzeitig konnten die Vorführungen dazu dienen, dem nationalsozialistischen Lagerpersonal auf eine eher ungefährliche Art und Weise die eigene Unbeugsamkeit zu demonstrieren. Denn der „Zirkus Konzentrazani“ war auch als Reaktion auf die „Nacht der langen Latten“ konzipiert worden, in der betrunkene SS-Wachen Lagerinsassen nachts misshandelten und zu einem Spießrutenlauf zwangen. Darüber hinaus war Kunst ein Instrument, um sich vom brutalen, ungehobelten und als stumpfsinnig empfundenen Lagerpersonal abzugrenzen – Schnog sieht im „Galgenhumor“ der Häftlingssprache „Zeugnisse einer geistigen Überlegenheit, die die Gefangenen weit über ihre Peiniger stellte.“ Vor allem aber war der Zirkus laut der Schilderung Langhoffs ein Stück Selbstbestimmung in einer totalitären und fremdbestimmten Umwelt, weil Konzeption, Probe und Aufführung vollständig durch Lagerinsassen bewerkstelligt wurden:
„Wir, die wir nicht mehr das Leben von Menschen führten, hatten es gewagt, für einige Stunden über uns selbst zu bestimmen, ohne Befehle, ohne Anweisungen, ganz so, als ob wir unsere eigenen Herren wären und als ob so eine Einrichtung wie ein Konzentrationslager nicht existierte!“
Drei Wochen lang wurde abends geprobt, und am 27. August 1933 fand die Zirkusveranstaltung statt. Der Lagerzirkus ermöglichte es den Gefangenen, an einem Sonntagnachmittag für eine Weile dem Lageralltag zu entfliehen. Die Aufmachung orientierte sich deshalb bis in kleine Details an „normalen“ Zirkussen. Das fing mit der Werbung an…
„Während dessen lief der ‚Karl‘, ein ewiger Spaßmacher, von dem die Kameraden sagten, er sei ein wenig ‚blöd‘, mit einem großen Plakat (…) im Lager und auch vor der Kommandatur auf und ab.
‚Zirkus Konzentrazani! Heute große Galavorstellung! Riesentierschau!
Die größten Ochsen der Welt. Noch nie dagewesen – das Moorballett!
Luft- und Parterreakte. August – der Urkomische! Beginn 2.30‘“
… und hörte mit der Zirkusvorstellung, insbesondere bei Besetzung und Programm nicht auf:
„Der Otto aus Baracke fünf war damit beschäftigt, auf dem großen Sandplatz zwischen den Baracken eine richtige ‚Manege‘ abzustecken. (…) 20 Häftlinge standen als Platzanweiser und Stalldiener bereit.“
Vor der Vorstellung bot ein Clown Torfstücke als „Mooreis“ an; eine „Schrammelkapelle“ mit Ziehharmonika, selbstfabrizierter Geige und Schellenbaum sorgte für die musikalische Begleitung und ein mit Pappzylinder und Peitsche ausgestatteter „Direktor Konzentrazani“ eröffnete das Programm, wie es Langhoff beschreibt:
„Meine sehr verehrten Moorinsassen!
Nichtvorhandene Damen und Herren! (Riesenlachen.)
Bürger vom Börgermoor!
Börgermoor-Bürger und solche, die es noch werden wollen! (Gelächter).
Der Zirkus Konzentrazani gibt sich die Ehre, auf seiner Reise durch diese wundervolle, herrliche und gesunde Moorgegend (…) Sie mit einer Galavorstellung zu beehren! (Bravo! Bravo!)
Unser Zirkus Konzentrazani, zur Zeit der größte Deutschlands, hat bereits die fabelhaftesten Erfolge in anderen Hauptstädten des Landes, z. B. in Esterwegen, Oranienburg (ungeheures Lachen) davon getragen und wird auch sicher Ihren vollen Beifall finden. Wir sind im Besitze einer ungeheuren Tierschau. Löwen, Bären, Pferde, Störche – Kamele haben wir keine mitgebracht, die sind ja zur Genüge hier vorhanden – (darauf folgte ein kurzes merkwürdiges Lachen: hat er dabei auf die S.S. geblickt? oder meint er uns?). (…)
Wir zeigen Ihnen die...