Die Situation
Ist Ihr Reißnagel vielleicht ein Lektin in der Nahrung, das Ihnen Ihr Leben zur Hölle macht? Könnte es sein, dass Sie das Opfer eines Angriffs von Pflanzen geworden sind? Haben sich die giftigen Waffen der Pflanzen tief in Ihr Fleisch gebohrt und Sie krank gemacht? Davon haben Sie noch nie etwas gehört? Sie dürfen gespannt sein auf eine Reise in eine Welt des Kampfes von Pflanzen und Tieren beziehungsweise Menschen, in der mit harten Bandagen ums Überleben gekämpft wird. In einer Welt, in der es Sieger und Verlierer gibt. Manchmal stirbt die Pflanze – manchmal auch der Mensch. Es mag Sie überraschen, dass eine so kleine und unbekannte Substanz Sie umbringen kann. Aber natürlich will ich mit solchen Aussagen auch Ihr Interesse wecken.
Dabei geht es in diesem Kapitel nicht um eine aufregende und interessante Dokumentation über ein spannendes Thema auf einem fremden Kontinent, das mit Ihnen nichts zu tun hat. Nein, Lektine sind keine fernen Seuchen aus anderen Erdteilen. Sie sollten dieses Thema nicht zu den Akten legen, sobald Sie es gelesen haben. Denn es geht um etwas Grundlegendes und Bedeutendes. Es geht um nichts weniger, als um Ihre Gesundheit und wie Sie wieder zu besserem Wohlergehen finden können. Darum sollten Sie sich die Zeit nehmen und dieses Kapitel sorgfältig lesen. Selbstverständlich will ich Sie auch ermuntern, die Gifte der Pflanzen zumindest für ein paar Wochen aus Ihrer Ernährung zu verbannen, damit Sie am eigenen Leib erfahren können, ob und in welchem Ausmaß Lektine Ihre körperliche Verfassung beeinflussen.
Nun, liebe Leserinnen und Leser, möglicherweise haben Sie das Wort »Lektine« noch nie gehört, obwohl Lektine – verzeihen Sie mir das Wortspiel – in aller Munde sind. Lektine sind älter als wir Menschen, denn sie bilden die Überlebensstrategie der Pflanzen gegen ihre Fressfeinde. Man könnte sogar sagen, sie sind die Waffen der Pflanzen, die sie schon vor vielen Millionen Jahren entwickelt haben, um sich selbst und ihre eigenen Nachkommen, sozusagen die Pflanzen-Babys, zu schützen. Eine lektinfreie Ernährungsweise ist keine neue Modediät! Indem wir die Lektine in unserer Nahrung beachten und vermeiden, zollen wir lediglich der Entwicklungsbiologie Respekt. Diese lehrt uns durch Fakten und das Verständnis biochemischer Vorgänge, dass vieles aus unserer traditionellen Küche Sinn machte und immer noch macht und wir es nicht so einfach über Bord werfen sollten. Ein paar Beispiele gefällig?
Bohnen, Linsen und andere Hülsenfrüchte lange einzuweichen und das Einweichwasser mehrmals auszutauschen, bevor man diese Hülsenfrüchte kocht, macht Sinn. Warum? Es vermindert die Lektine, denn mit dem Einweichwasser kippen Sie diese Toxine weg.
Den Schaum beim Aufkochen von Hülsenfrüchten abzuschöpfen und zu entsorgen, macht Sinn. Warum? Es vermindert die Lektine.
Gut zu kauen und die Nahrung einzuspeicheln – wozu uns schon unsere Mütter und Großmütter anhielten –, macht Sinn, denn der Speichel bindet und mindert die Lektinlast.
Tomaten zu schälen, die Kerne zu passieren und die Tomaten dann lange zu kochen, wie beispielsweise in der traditionellen italienischen Küche, macht Sinn. Es vermindert die Lektine.
Haben Sie sich schon mal gefragt, warum man in Italien passierte und geschälte Tomaten bekommt und geschälte Paprika? Haben die Italiener nichts Besseres zu tun? Wo doch in der Schale oder kurz darunter vielleicht die besten Nährstoffe sind? Sie ahnen es: Dort sind die meisten Lektine vorhanden.
Lektinfreie Ernährung – das fehlende Puzzleteilchen bei allen Diäten
Haben Sie sich auch schon mal im Dschungel moderner Diäten, Ernährungsempfehlungen und Kuren verlaufen? Da bedarf es schon eines guten inneren Kompasses, um die Richtung nicht zu verlieren, und oft muss man wie mit einer Machete das Gestrüpp der »Möchtegern-Weisheiten« und »Modetrend-Diäten« aus dem Weg räumen, die den Blick auf das Wesentliche, das Beweisbare und vor allem das physiologisch Richtige versperren. Anders gesagt, bedarf es außer einem guten wissenschaftlichen Fundament über die körperlichen Grundlagen unserer Verdauung und unseres Stoffwechsels auch genügend Wissen über unsere Evolution. Erst der Zusammenhang zwischen uns Menschen und der uns umgebenden Natur, in der wir uns über die Jahrhunderte und Jahrtausende aufgehalten haben, gibt Aufschluss darüber, wie wir wohl immer noch am besten leben und überleben.
Unser Leben ist ja seit Anbeginn der Schöpfung ein Training. Die Anpassung an die Lebensumstände und damit auch an die Natur, die wir uns einverleiben, ist nicht nur unabdingbar. Wir trainieren unser Immunsystem und unseren Stoffwechsel. Wer sich am besten anpasst und mit den Umständen am besten klarkommt – und dazu gehören auch unsere Nahrungsmittel –, überlebt auch am besten und gibt dementsprechend seine Gene weiter. Wer die Anpassung nicht schafft und dadurch krank wird oder stirbt, gibt seine Gene eben nicht weiter. Auf diese, wenn man so will, brutale Art und Weise werden bevorzugt die anpassungsfähigsten und am besten angepassten Gene weitergegeben. So findet Evolution statt. Wer sich also heute auf die für uns Menschen artgerechte Ernährung und Lebensweise mit viel Bewegung, frischer Luft und viel Sonnenbestrahlung zurückbesinnt, hat die besten Karten für eine gute Gesundheit. Fehl am Platze sind dagegen Weltanschauungen, die zwar berechtigte moralische und ethische Werte aufweisen, aber oft weder gesund noch heilend sind. Ähnlich abwegig sind oft Ernährungsweisen, die an anderen Zielen beziehungsweise Triebfedern ausgerichtet sind: Gewichtsverlust, Schnelligkeit (Fast Food), Kosten, Bequemlichkeit, Trends (zum Beispiel ausländische Küche), Philosophie usw.
Eine an unserer Evolution ausgerichtete Ernährungsweise unterscheidet sich dann auch stark von kurzfristigen Diäten. Diese können als vorübergehende Maßnahme in einem bestimmten Zeitfenster von einigen Wochen oder Monaten durchaus berechtigt und für spezielle Zielvorgaben auch erfolgversprechend sein. Die Ernährungsform, die ich in diesem Buch beschreiben will, kann beides sein. Idealerweise wird sie als Lebensweise verstanden, verinnerlicht und umgesetzt. Sie trägt aber auch einige Wesenszüge einer Diät in sich. Dann nämlich, wenn es um den Zeitfaktor geht. Eine konsequente Umsetzung kann in wenigen Wochen eine massive Umstellung im gesamten Stoffwechsel bewirken und damit ein Beitrag zu besserer Gesundheit sein. Die Erfahrungen und Rückmeldungen von Anwendern und vielen Patienten aus meiner eigenen Praxis oder von anderen Heilkundigen bestätigen den guten Effekt der lektinfreien Ernährungsweise immer wieder.
Damit sind wir bei einer weiteren Orientierungshilfe, einem guten Kompass im Diäten-Dschungel: die Erfolge hinsichtlich Vitalität und Gesundheit, die eine lektinfreie Ernährung bei praktisch allen Erkrankungen und Defiziten aufweist. Sie leistet Großartiges und überrascht immer wieder mit schnellen Ergebnissen. So zeigt eine Studie des amerikanischen Arztes Dr. Steven R. Gundry, einem der großen Vorreiter für eine lektinfreie Ernährung, folgendes aufsehenerregende Resultat: 90 von 102 Patienten mit Autoimmunerkrankungen hatten nach nur 6 Monaten einen kompletten Rückgang aller Biomarker für diese oft langjährigen Krankheiten. Erreicht wurde dieses exzellente Ergebnis allein durch eine Umstellung auf lektinfreie Ernährung. Wenn man dazu weiß, dass es für Autoimmunerkrankungen keine ausreichende Erklärung gibt, geschweige denn eine gute Kur, so verblüfft dieses Ergebnis noch einmal mehr. Autoimmunerkrankungen sind so bekannte oder auch weniger bekannte Krankheiten wie Hashimoto, Arteriosklerose, rheumatoide Arthritis, Lupus, Sjögrens, Schuppenflechte, Gastritis, Morbus Crohn, Morbus Bechterew, Multiple Sklerose und einige andere.
Nun geht es bei der lektinfreien Ernährung weder um Kalorien noch um Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße. Vermutlich werden Sie in der Beschreibung der lektinfreien Ernährung auf einige schon bekannte Prinzipien stoßen, die Ihnen auf Ihrer Suche nach einer gesunden Ernährung bereits begegnet sind und die Sie hoffentlich schon umgesetzt haben: Lebensmittel sollten ohne Pestizide und Konservierungsstoffe auf mineralienreichen Böden gewachsen und reif geerntet sein. All diese Voraussetzungen garantieren einen möglichst hohen Nährwert mit hoher Enzym- und Lebenskraft. Und nach wie vor gilt: Zucker hat in Ihrer Ernährung nichts zu suchen!
In diesem Kapitel werden Sie aber mit etwas ganz anderem konfrontiert, nämlich mit der Rolle, die Lektine in bestimmten Nahrungsmitteln spielen. Sie werden erfahren, wie Pflanzen diese Lektine als Waffen einsetzen, um Sie, lieber Leser und liebe Leserin, in ein möglichst energiearmes, krankes Geschöpf zu verwandeln, damit Sie die Finger von ihnen lassen. Wenn Sie denken, dass Pflanzen kleine, hilflose und vielleicht sogar dumme Geschöpfe sind (»Dumm wie Stroh«), darf ich Sie eines Besseren belehren: Pflanzen sind die rätselhaftesten und genialsten Alchimisten, die wir uns nur vorstellen können. Sie erschaffen aus ein paar Mineralien im Boden, ein wenig Wasser und Sonne eine ganze Armada von Substanzen, die im Labor zu erschaffen wir größte Schwierigkeiten hätten. Denken Sie nur an Nährstoffe wie Eiweiße und Fette oder psychoaktive Substanzen wie Cannabis, Ayahuasca und Peyote. Manche Pflanzen könnten Sie in kurzer Zeit töten, wenn sie mit Ihrer Schleimhaut in Kontakt kämen. Es gibt Kerne von Früchten, die zyanogene Glykoside produzieren, die als Blausäure tödlich wirken können. Sie kennen sicherlich giftige Pilze und möglicherweise haben Sie schon einmal eine Dokumentation gesehen, in der...