1Solution Selling ‒ Definition und Abgrenzung
1.1Vertriebsstrategien
Es ist nichts Neues: Lehrer lernen von ihren Schülern, Trainer von ihren Kunden ‒ wenn wir es zulassen.
Einen meiner Kontakte, einen Vertriebsleiter, habe ich zweimal getroffen. Bei zwei sehr verschiedenen Firmen. Beim ersten Treffen war er Vertriebsleiter bei einem Anbieter komplexer Maschinen. Der Wert der Maschinen lag typischerweise im Bereich von 0,5 bis 3 Mio. EUR. Die Vertriebsprozesse liefen häufig über ein bis drei Jahre. Ich sollte seinen Verkäufern zeigen, wie man sie beschleunigen und verbessern kann, und zwar mit einem geringeren Pre-Sales-Aufwand. »Genaugenommen«, sagte er, »verkaufen meine Verkäufer fast gar nichts, aber mein Pre-Sales-Mann alles«. Das habe ich erst einmal nicht verstanden. Dann aber erklärte er mir, dass die Verkäufer keine angestellten Verkäufer, sondern Handelsvertreter waren, die gute Kontakte in der Zielbranche hatten, aber überwiegend andere Produkte verkauften. Dann verstand ich das Problem: Handelsvertreter können als Selbstständige nicht ein bis drei Jahre auf mögliche Provisionen warten. Sie haben andere Dinge verkauft und waren für meinen Kunden eigentlich nur Tippgeber. Ein anderer musste den größten Teil des Vertriebs machen. In diesem Fall ein angestellter Verkäufer. Er musste die Verkaufschancen bearbeiten, verfolgen und abschließen. Trotzdem bekamen die Handelsvertreter die Provision eines Verkäufers. Genaugenommen hätte den Handelsvertretern nur eine Provision für ein Lead zugestanden, eine klassische Tipp-Provision, die üblicherweise im Bereich von 5 % des Umsatzes liegt. Immer noch ein nettes Honorar, wenn wir an Umsätze von 0,5 bis 4 Mio. EUR denken ‒ nur dafür, dass jemand an der richtigen Stelle zuhört und eventuell nochmal nachfragt. Ganz offensichtlich vertragen sich komplexe Lösungen und das Konzept des Handelsvertreters nicht sonderlich gut.
Einige Jahre später traf ich denselben Vertriebsleiter wieder. Sein neuer Arbeitgeber verkaufte einfachere technische Produkte von hoher Qualität, aber zu vergleichsweise geringen Preisen. Die neuen Produkte kosteten zwischen 700 und 3.500 EUR. Das neue Unternehmen meines Kunden arbeitete mit angestellten Verkäufern, die entweder direkt an gewerbliche bzw. industrielle Kunden oder an Wiederverkäufer verkauften. Die Produkte des Unternehmens wurden überwiegend im Standard veräußert, es wurden also keine kundenspezifischen Anpassungen vorgenommen. So konnten diese Produkte auch am Telefon verkauft werden. Der Außendienst unterstützte die Kunden bei der Auswahl der idealen Varianten, die vom technischen Einsatzgebiet abhingen. Wenn es um mehrere Geräte ging und der Einsatz nicht eindeutig war, wurde auch schon mal ein Test durchgeführt. Meistens aber wurden die Produkte am Telefon oder nach einem direkten Verkaufsgespräch verkauft.
Auch, wenn in beiden Unternehmen ohne eine bewusste und ideale Systematik gearbeitet wurde, verdeutlichen diese Beispiele sehr gut die Spezifika, die es wahrzunehmen gilt, um auf deren Grundlage die ideale individuelle Vertriebsstrategie abzuleiten. Egal, ob Solution Selling oder Account-Management oder eine passende Mischung.
1.1.1Account-Management
Neben Sales Representative ist Account-Manager der am meisten verwendete Begriff für Verkäufer. Account-Management basiert auf der Idee, den Kunden strategisch zu mehr Umsatz zu entwickeln. Das kann man aber nur, wenn der Kunden öfters kauft. Damit sind komplexe Investitionsgüter vom Account-Management ausgeschlossen. Dieses Konzept ist ideal für Produkte, die der Kunde regelmäßig beschafft, ganz besonders dann, wenn er sie auch noch von verschiedenen Anbietern kaufen kann. Hier handelt es sich also um Produktvertrieb und Account-Management ist der strategische Ansatz dafür.
Account-Management sollte beim Vertrieb von B- und C-Teilen unbedingt in Betracht gezogen werden. Ausgehend von der Kundensegmentierung wird dabei ein Servicelevel des Vertriebs nach A-, B- und C-Kunden definiert. Für jeden A-Kunden sollte ein strategisches Vorgehen für die Betreuung des Kunden gewählt werden.
Im Unterschied dazu wird beim Solution Selling für jedes Vertriebsprojekt eine Strategie definiert, oder sagen wir besser: sollte für jedes Vertriebsprojekt eine Vertriebsstrategie definiert werden. Im Lösungsvertrieb steht die Opportunity, die Verkaufschance, im Zentrum der Vertriebsaktivitäten.
1.1.2Key-Account-Management
Key-Account-Management klingt zwar ganz ähnlich wie Account-Management, ist aber in vielen Aspekten ein viel weiterreichendes Konzept, das ursprünglich vom Handel kommt. Insbesondere Unternehmen des Einzelhandels haben eine Zentrale und viele Filialen. Die einzelne Filiale, z. B. ein Metro-Markt, kann nicht selbstständig einkaufen. Der Anbieter und seine Produkte müssen gelistet sein. Die Konditionen werden zentral vereinbart. Vor Ort können die Filialen allenfalls die Bestellmengen pro Zeiteinheit definieren.
Key-Accounter, die Verkäufer der Hersteller, haben zwei Aufgaben:
Nach der Listung, dem Hineinverkaufen, unterstützt der Hersteller den Händler also beim Verkauf an die Endkunden. Wir alle kennen die Angebote der Hersteller zur Verkostung von Kaffee, Wurst, Wein und vielem anderen, die uns im Supermarkt Freude bereiten.
1.1.3Abgrenzung zum Solution Selling
Die Besonderheiten des Solution Selling werden wir noch weiter vertiefen, hier möchte ich vor allem festhalten, dass es für verschiedene Märkte unterschiedliche Vertriebsstrategien und Vertriebsformen gibt.
Bei einem Kunden im Lösungsvertrieb kommt es darauf an, dass die Verkäufer die speziellen Bedürfnisse in Bezug auf eine konkrete Beschaffung verstehen. Also die Anforderungen an eine Aufgabenstellung, der Opportunity. Erst mit einer Strategie, die auf die jeweilige Aufgabe zielt, können sie den Kunden optimal bedienen.
Beim Account-Management kommt es darauf an, zu verstehen, was der Kunde als Ganzes benötigt. Die einzelnen Produkte sind nicht der Grund der Zusammenarbeit. Topprodukte sind nur die Voraussetzung. Eine Strategie muss auf den Kunden als Ganzes ausgerichtet sein.
Jeder Markt hat seine Eigenheiten. Es geht immer darum, diese Eigenheiten zu verstehen und dann die ideale Vertriebsstrategie zu wählen. Damit verbunden ist auch die Wahl der passenden Vertriebsleistung. Was genau wird vom Vertrieb erwartet?
1.2Solution Selling und Produktvertrieb im Vergleich
In diesem Kapitel gehen wir auf die Unterschiede ein, die zwischen dem Verkauf von Produkten und dem Vertrieb von Lösungen bestehen. Dabei müssen wir insbesondere zwei Fragen beantworten:
Leider werden diese Unterschiede in der Literatur nirgends eindeutig definiert; insofern sind die Definitionen, die ich hier liefere als Vorschläge zu verstehen.
1.2.1Was ist der Unterschied zwischen Lösungen und Produkten?
Lösungsvertrieb bedeutet, sich auf die Probleme des Kunden zu fokussieren und sie durch das Verständnis der Aufgabe lösen zu können. Die eigene Leistung wird dann zur Lösung. Bei diesem Ansatz kommt es nicht primär darauf an, dass der Kunde die angebotene Leistung versteht, vielmehr muss der Verkäufer die Aufgabenstellung richtig verstehen. Der Verkäufer muss auch keine Lösung zur Hand haben, sondern die Lösungsentwicklung verkaufen. Das stellt hohe Anforderungen an seine Beratungskompetenz.
Im Gegensatz dazu kommt es beim Produktverkauf darauf an, das Produkt ins Zentrum der Kommunikation zu stellen. Das ist immer dann möglich und sinnvoll, wenn die Kunden sich mit der Technologie bzw. den Produkten auskennen oder wenn sie nicht über ihre Aufgabenstellungen und Probleme sprechen wollen.
Wenn wir heute ein Auto kaufen, hat das mit einer Lösung nichts mehr zu tun. Auch wenn wir kaum wissen, wie ein Motor funktioniert. Denn es spielt keine Rolle. Jeder darf über das sprechen, was ihn interessiert. Seien es die Motorleistung und die Einspritztechnologie oder die Farbvarianten und der Stauraum. Obwohl also ein moderner Pkw ein höchst komplexes Produkt ist, ist er meistens nicht erklärungsbedürftig. Das, was den Menschen wichtig ist, kennen sie in der Regel.
Heutzutage geht es im Produktvertrieb vor allem um »Commodities«, also um Massenartikel oder um einfache Wirtschaftsgüter des täglichen Bedarfs. Wenn ein PC-Verkäufer heute mit seinen Kunden spricht, wird er kaum Grundsätzliches erläutern, sondern vor allem über Besonderheiten und Innovationen sprechen oder eben über die Konditionen.
Dagegen waren PCs vor 30 Jahren noch sehr erklärungsbedürftig, vor allem, wenn sie in ein Unternehmensnetzwerk integriert werden sollten. Diese Themen sind heute komplett im IT-Bereich der Unternehmen angesiedelt. Wenn dort eine neue, effizientere Netzwerkarchitektur zur Debatte steht, ist das wieder sehr komplex und erklärungsbedürftig. Dann ist Solution Selling angesagt. Solange aber einfach nur Netzwerkkomponenten verkauft werden, ist der Produktvertrieb der richtige Ansatz ‒ idealerweise in Form des Account-Managements.
Einige Autoren stellen diese beiden Ansätze im Sinne von richtig und falsch gegenüber. Das sehe ich anders. Beide...