4 Knospenbotanik
Sogar wenn die Bäume und Sträucher in ihrem grünen Blattkleid dastehen, ist es nicht immer ganz einfach, sie eindeutig zu bestimmen. Viele denken, dass sie dies nie schaffen werden. Mit ein wenig Übung und dem aufmerksamen Blick in der Natur ist es allerdings gar nicht so schwer, Bäume und Sträucher anhand der Knospen mit ihrer spezifischen Form und Farbe sowie ihrer Stellung am Ast zu erkennen.
Dafür braucht es eine Wintersaison, in der man sich auf Knospenpirsch begibt – die Knospen sind ja schon im Herbst für den kommenden Frühling angelegt und überdauern in dieser Form den Winter. Ist man bei einem Baum oder Strauch unsicher, so merkt man sich seinen Standort und geht im späten Frühling wieder hin, um alles im grünen Kleid zu verifizieren. Zu Beginn fällt diese Bestimmungsmethode oft leichter. Der Nachteil ist – falls man selber sammeln und herstellen möchte –, dass man bis zum darauffolgenden Frühling warten muss, um die Knospen kurz vor dem Aufspringen, ihrem richtigen Erntezeitpunkt, sammeln zu können.
Es gibt so viele Möglichkeiten, Knospen zu unterscheiden und damit zu erkennen. Denn es ist nicht so, wie viele Menschen glauben, dass alle Knospen klein, rundlich und irgendwie braun gefärbt sind – ganz im Gegenteil! Allein ihre Größe unterscheidet sich erheblich, man denke an die winzigen Birkenknospen bis hin zu den dicken, schweren Rosskastanienknospen. Betreffend ihrer Form können Knospen kegel- oder eiförmig, rund, spindel- oder pyramidenförmig, spitz oder stumpf sein und ihre Farbpalette reicht von dunkel bis sehr hell gefärbt, von Rot, Grün, Violett bis Schwarz. Einige tragen Haare, entweder auf der ganzen Knospe oder nur am Rand der einzelnen Knospenschuppen wie Wimpern, andere sind an der Spitze gekielt, wiederum andere komplett glänzend und glatt oder sehr klebrig.
Die folgenden Abbildungen zeigen, was zu beachten ist und anhand welcher Merkmale die Bestimmung oder das Verstehen botanischer Knospenbeschreibungen leichter fällt.
Abb. 4.1 Zweigaufbau ein- und mehrjähriger Triebe.
Viele Merkmale, die zur Bestimmung hilfreich sein können, sieht man nur an den einjährigen Trieben der Äste klar und v.a. eindeutig ( ▶ Abb. 4.1). Bei den älteren Zweigen kommt der Gestaltungstrieb mancher Bäume und Pflanze zum Tragen und sie beginnen mit ihren botanischen Merkmalen zu „spielen“: So können die spitz-eiförmigen Knospen zwischendurch kugelig sein oder die streng zweizeilige Anordnung geht an einem älteren Trieb plötzlich in eine quirlige über.
Daher ist es sehr wichtig, immer die einjährigen Triebe, die vordersten Abschnitte der Äste, zum Bestimmen zu verwenden. Und die Merkmale dürfen auch gerne an mehreren Ästen bestätigt werden.
Der einjährige Zweigabschnitt ist der vorderste Teil eines sogenannten Langtriebs. Er reicht von der Knospe ganz vorne am Astende, der sogenannten Endknospe, bis hin zu der ersten Knospenschuppennarbe. Die Knospenschuppennarbe ist das, was von der Endknospe des letzten Jahres noch übrig geblieben ist. Daraus hat sich der neue Jahrestrieb mit neuer Endknospe entwickelt.
Ein Langtrieb ist ein praktisch unbegrenzt wachstumsfähiger Seitentrieb eines Baumes, der längere Abschnitten (Internodien) zwischen den einzelnen Knospen aufweist. Im Gegensatz dazu stellen die Kurztriebe ihr weiteres Wachstum relativ schnell ein und deswegen sind ihre Internodien viel kürzer.
Als Nodien werden die verdickten Ansatzstellen der Knospen bezeichnet.
Abb. 4.2 Seitenknospen am einjährigen Zweigabschnitt – von unten nach oben: Knospe anliegend, Knospe abstehend, Knospe sitzend, Knospe gestielt, Endknospe.
Seitenknospen heißen alle Knospen, die seitlich am Zweig stehen – im Gegensatz zu der Endknospe, die am Ende des Astes zu finden ist. Die Stellung der Seitenknospen ist ein weiterer wichtiger und hilfreicher Hinweis zur erfolgreichen Bestimmung ( ▶ Abb. 4.2). Und auch hier gilt, dass immer der einjährige Zweigabschnitt anzuschauen ist!
Eine seltene Erscheinung sind deutlich gestielte Knospen. Diese sitzen nicht direkt dem Zweig auf, sondern verfügen über einen verholzten Stiel zwischen Trieb und Knospe. Es sind die Erlen, die diese Spezialität aufweisen. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass gestielte Knospen nicht mit einem Kurztrieb mit endständiger Knospe verwechselt werden.
Das Gegenteil der gestielten Knospen sind die sogenannten sitzenden Knospen, die ohne irgendeine Zwischenverbindung direkt dem Zweig aufsitzen. Die allermeisten Baum- und Strauchknospen weisen dieses Merkmal auf.
Hilfreich ist deshalb, die Stellung dieser Knospen weiter zu differenzieren. Es gibt solche, die in einem rechten Winkel zum Zweig stehen, andere stehen vom Zweig ab und weitere liegen dem Trieb an. Dazu kommen noch Untervarianten, beispielsweise Knospen, die vom Zweig abstehen und sich mit der Spitze wieder diesem zuwenden oder umgekehrt dem Zweig anliegen und mit ihrer Spitze von diesem abstehen.
Hier gilt: Die Stellung der Knospen sollte man immer an mehreren einjährigen Zweigen überprüfen. Denn auch in der Natur gibt es keine Regel ohne Ausnahme!
Aus der gegenseitigen Stellung der Knospen lässt sich die Blattstellung eines Baumes oder Strauches ablesen, da die Knospen im Sommer in den Blattachseln gebildet werden und dort verbleiben, wenn die Blätter im Winter abfallen. Das heißt, bei einem Baum, dessen Blätter wechselständig an den Zweigen angeordnet sind, stehen auch die Knospen zwangsläufig wechselständig am noch kahlen Zweig im Frühjahr. Gleiches gilt für alle anderen Knospenstellungen. Diese Stellungen entsprechen zudem der Anordnung der Seitenzweige, da sich aus den Knospen nicht nur Blätter, sondern auch neue Seitentriebe bilden können ( ▶ Abb. 4.3).
Abb. 4.3 Stellung der Knospen – und damit auch der Blätter und Seitentriebe – von links nach rechts: kreuzgegenständig, schief kreuzgegenständig, wechselständig, zweizeilig.
Knospen werden gegenständig genannt, wenn sich immer zwei auf gleicher Höhe gegenüberstehen. Ganz genau beobachtet, befinden sich diese Knospen nicht exakt auf gleicher Höhe, sondern sind um wenige Millimeter verschoben. Der korrekte botanische Ausdruck lautet dafür „schief gegenständig“.
Sehr oft sind gegenständig stehende Knospen von einem Paar zum nächsten in einem rechten Winkel verschoben. Schaut man von oben auf so einen Zweig, bilden die Knospen ein Kreuz, und man spricht in diesem Fall von kreuzgegenständigen Knospen.
Bei den wechselständig angeordneten Knospen findet sich immer nur ein Exemplar auf derselben Höhe, die nächste Knospe ist zu der unteren versetzt und schaut in eine andere Richtung. Folgt man den Ebenen von oben nach unten, ergibt sich ein Wechsel zwischen links und rechts, dann wieder links, dann rechts usw. Meistens sind diese Knospen jedoch nicht in einer Ebene angeordnet, sondern stehen mehr oder weniger quirlig um den Zweig.
Sehr selten sind die wechselständigen Knospen tatsächlich nur in einer Ebene zu finden. Das Beispiel dafür ist die Esskastanie, deren Knospen an ihren Langtrieben zweizeilig, an den Kurztrieben jedoch spiralig wechselständig angeordnet sind.
Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit sind die Form der Blattnarbe und die Anzahl der darin sichtbaren Blattspurstränge ( ▶ Abb. 4.4).
Abb. 4.4 Blattnarben und Blattspurstränge – unten: über der Blattnarbe schief stehende Knospe, oben: über der Blattnarbe senkrecht stehende Knospe.
Blattnarben sind die Trennschichten, die im Herbst zwischen Blatt und Zweig gebildet werden, damit sich der Blattstiel und damit das ganze Blatt ohne Verletzung des Zweiges ablösen kann. Da die Knospen des nachfolgenden Jahres in den Blattachseln entstehen, sind die Blattnarben immer unterhalb der Knospen zu finden.
Blattspurstränge sind die ehemaligen Gefäße, die meist in Form von Bündeln vom Zweig in das Blatt führen und dieses mit Nährstoffen und Wasser versorgen. Form und Größe der Blattnarben mit ihren Blattspursträngen sind unterschiedlich und können daher als weitere botanische Merkmale für die Knospenbestimmung herangezogen werden ( ▶ Abb. 4.5).
Abb. 4.5 Herzförmige Blattnarbe mit drei Blattspursträngen des Walnussbaumes (Juglans regia).
Ein weiteres essenzielles botanisches Merkmal zur Knospenbestimmung sind die...