Spontangeburt ohne Interventionen – »normale Geburt«
Eine Spontangeburt ohne Interventionen wie dem Legen einer PDA (Periduralanästhesie) oder einem Dammschnitt bezeichnet man als »normale Geburt«. Aber was ist schon normal? Laut Duden bedeutet »normal«: »der Norm entsprechend, vorschriftsmäßig« oder »so beschaffen/geartet, wie es sich die allgemeine Meinung als das Übliche, Richtige vorstellt«.
Die Vorstellung von Geburt in unserer Gesellschaft wird im Laufe unseres Lebens stark negativ geprägt. Für Kinder (das weiß ich aus meiner Aufklärungsarbeit mit Grundschülern) ist Geburt noch etwas Tolles, ganz Normales, worauf man sich freut. Es ist der erste Geburtstag eines Menschen. Etwas, das man feiert. Alle Verwandten und Freunde nehmen Anteil, und es gibt Geschenke. Geburt ist daher erst einmal komplett positiv besetzt.
Kurze Zeit später, in der Pubertät (ich unterrichte auch an weiterführenden Schulen), hat sich diese Einstellung schon grundlegend geändert. Nun wird die Geburt als etwas Unheimliches gefürchtet. Etwas, das mit großen Schmerzen verbunden ist und Verletzung oder sogar den Tod mit sich bringen kann.
Die Paare, die mir schließlich im Geburtsvorbereitungskurs begegnen, fürchten den kompletten Kontrollverlust. »Wenn ich dann nicht mehr in der Lage bin, Entscheidungen zu treffen, soll mein Partner das für mich tun« ist eine häufige Aussage von Frauen im Vorfeld einer Geburt. Außerdem haben sie oft Angst vor den starken Schmerzen.
Die meisten Menschen stellen sich eine Geburt so vor, wie sie in Filmen sehr oft fälschlich dargestellt wird: Die erste Wehe kommt oder die Fruchtblase platzt, und sofort ist die Frau nicht mehr sie selbst. Sie schreit, kreischt, kann nicht mehr laufen – in Filmen werden Frauen fast immer auf einer Liege über die grell beleuchteten Krankenhausflure geschoben – und stoßen wilde Verwünschungen aus, während sie kratzen, beißen oder ihren Partnern die Hände zerquetschen. Kein Wunder, dass der Arzt (Hebammen kommen in Filmen selten vor) die Führung dieses potenziell gefährlichen Prozesses übernehmen muss. Es wird also ein Zugang gelegt, um die schreiende Frau mit einem Schmerzmittel zu besänftigen. Dann braucht sie natürlich einen Wehentropf. Der Körper macht also nichts richtig. Sie wird auf einen gynäkologischen Stuhl gelagert und mit grünen Tüchern abgedeckt, als wäre sie unhygienisch. Dabei ist eine Geburt bei Weitem kein steriler Akt. Während der Mann längst vor dem Schauspiel der weiblichen Urkraft kollabiert ist, wird die Frau (die offensichtlich von alleine gar nichts merkt) angeschrien, sie möge jetzt mal pressen, pressen, PRESSEN! Dann entwickelt der Gott in Weiß (oder Grün) in Komplettvermummung das Baby. Beide Partner nehmen verliebt das unglaublich glatte, rosige Neugeborene entgegen (jetzt mit Weichzeichner und Geigenklang) und sind dem Arzt natürlich unendlich dankbar, dass er ihnen und ihrem Kind das Leben gerettet hat. Alleine hätten sie das nie geschafft.
Es gibt sicher Geburten, die so oder ähnlich verlaufen. Normal ist das aber eigentlich nicht.
Definition der normalen Geburt (nach Weltgesundheitsorganisation/WHO): »Unter normaler Geburt versteht man eine physiologische Geburt, die spontan beginnt, sich im effektiven Rhythmus zwischen Wehen und Wehenpausen von alleine entwickelt und bei der sich somit ohne fremdes Eingreifen der Muttermund öffnet, das Kind durch unwillkürlichen Pressdrang geboren wird.«3
Das bedeutet, eine normale Geburt benötigt keinerlei Interventionen. Der Körper »weiß«, was er zu tun hat. Eine Frau kann durchaus noch laufen, sitzen, stehen oder liegen, wenn die Wehen begonnen haben. Sie wird sich das aussuchen, was ihr guttut – ganz instinktiv und natürlich. Sie kann sagen, was sie braucht und was nicht. Da die werdende Mutter all ihre Kraft braucht, um sich auf die Wehen zu konzentrieren, wird sie ihre Worte nicht immer so wohl wählen, wie sie das sonst tun würde. Aber ihr Charakter verändert sich nicht. Sie »mutiert« nicht plötzlich. Sie wird leise atmen, tönen oder laut schreien. Je nachdem, was für sie das Beste ist. Die Geburt schreitet voran. Sie geht schnell oder dauert lange. Die Dauer sagt nichts über die Qualität der Geburt aus. Irgendwann bemerkt die Frau dann, dass sie pressen muss. Der Pressdrang ist eine Urkraft. Keiner muss der Gebärenden sagen, was sie zu tun hat, denn der Körper übernimmt die Führung und lässt ihr keine andere Möglichkeit. Die Frau gibt also diesem Drang nach und bekommt das Baby. Einige Zeit später folgt der Mutterkuchen. So funktioniert eine Geburt. So ist sie normal. Aber so passieren eben nur wenige Geburten in unserem Kulturkreis. Bei uns sind Eingriffe in den natürlichen Prozess üblich geworden.
Die normale Geburt, wie die WHO sie definiert hat, ist sicherlich ein Ideal, welches Frauen vorschwebt, wenn sie eine möglichst »natürliche« Geburt wünschen. Das bedeutet aber nicht, dass eine gute Geburt immer eine »normale Geburt« sein muss. Interventionen sind nicht unbedingt schrecklich, schlecht oder störend. Und sowieso ist das eigene Empfinden ja individuell und ausschlaggebend. Es gibt unglaublich schöne, selbstbestimmte Geburten, die beispielsweise mit einer Einleitung begonnen haben und somit nicht mehr als normal bezeichnet werden können. Auch ist es immer die bessere Lösung, ein Schmerzmittel in Anspruch zu nehmen, als traumatisiert aus der Geburt zu kommen, weil man mit den Wehen nicht zurechtkam.
Es geht hier also nur um eine Definition, die für das Erleben und Bewerten einer Geburt aber letztlich unwichtig ist. Hatte man eine normale Geburt, wird im Mutterpass am Ende einfach »Spontangeburt« stehen. Nichts weiter. Eine normale Geburt ist also die einfachste Form der Spontangeburt. Eine Spontangeburt ohne Interventionen.
Klinikgeburt
Susanna – Eine Geburt, zwei Perspektiven
David und Susanna haben zusammen eine für beide Partner erfüllende, großartige Geburt erlebt. Sie haben die Geburtsgeschichte aus ihrer jeweiligen Perspektive aufgeschrieben. Das Setting ist eine Art Abstellkammer im Krankenhauskreißsaal (es war wohl an dem Tag sehr voll auf der Geburtsstation), in der sich beide Partner aber erstaunlich wohlgefühlt haben. Was mal wieder zeigt, dass die Raumausstattung selbst letzten Endes nicht so wichtig ist, solange das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit dort aufkommen kann. Und das konnte es. Sicherlich auch, weil beide Partner sehr klar und liebevoll miteinander umgegangen sind.
Davids Sicht
Am 1. Mai musste Susanna in der Klinik ein CTG (Kardiotokografie) machen lassen, weil XY bereits sechs Tage über dem errechneten Termin war. Wir hatten uns bewusst dafür entschieden, das Geschlecht noch nicht wissen zu wollen, und nannten unser Baby vorerst XY. Nach der CTG-Kontrolle wurde Susanna von einer Assistenzärztin untersucht, wobei sich herausstellte, dass XY sich im Bauch pudelwohl fühlte und noch nicht ganz in Startposition war. Zum Abschluss wurde uns gesagt, dass das Hospital die Geburt am zehnten Tag einleiten würde – zur Sicherheit des Kindes. Auf der Rückfahrt spürte ich Susannas Anspannung, sie wollte kein Einleiten, nichts Künstliches – es sollte alles seinen natürlichen Lauf nehmen. Ich kann mich nicht mehr genau an den Abend des 1. Mai erinnern, nur daran, dass Susanna geschäftig war und wir relativ spät noch auf 3sat das Konzert von Queen in Montreal 1981 geschaut haben – ein Jahr vor meiner Geburt.
Die geburtshilflichen Richtlinien sehen standardmäßig eine Einleitung am zehnten Tag vor. Wenn alles in Ordnung ist – wie in diesem Fall –, warten manche Kliniken auch noch einen oder zwei Tage länger. Aber in der Regel wird es genau so gehandhabt.
Viele Frauen sind nach dem Verstreichen des errechneten Geburtstermins sehr ungeduldig und eher erleichtert von der Idee, die Geburt einzuleiten. Aber manchen geht es wie Susanna. Sie möchten lieber das Baby entscheiden lassen, wann es kommen möchte. Der natürliche Beginn ist auch fast immer der beste, solange bei den Kontrollen alles in Ordnung ist. Auch in den geburtshilflichen Fachkreisen wird immer wieder diskutiert, wie viel Nutzen eine Einleitung aufgrund einer alleinigen Terminüberschreitung eigentlich bringe. Zumal der errechnete Termin nicht immer zweifelsfrei sicher ist.
Der Termin wird nach der sogenannten Naegele-Regel errechnet: Erster Tag der letzten Regel + ein Jahr minus drei Monate + sieben Tage. Dabei wird von einer Standardzykluslänge von 28 Tagen ausgegangen. Abweichungen in der Zykluslänge müssen natürlich berücksichtigt werden. Das passiert aber oft nicht, sodass dann ein falscher Tag berechnet wird. Noch komplizierter wird es, wenn der Zyklus unregelmäßig war. Die ganz frühen Ultraschalluntersuchungen können guten Aufschluss...