Einleitung
Vor rund 500 Jahren «entdeckten» Kolumbus und seine Begleiter Amerika. In der Folge wurden bekanntlich in relativ kurzer Zeit (1492–1572) weite Teile des amerikanischen Doppelkontinents sowie der Philippinen unter spanische Herrschaft gebracht. Wie das gelingen konnte, ist erklärungsbedürftig. Die Conquista (= Eroberung) und das daraus resultierende erste Weltreich, in dem «die Sonne nie untergeht», entsprangen nämlich keinem politischen Plan der kastilischen Krone. Statt auf Eroberungen regulärer königlicher Soldaten oder Söldner gingen sie auf die private Initiative sogenannter Konquistadoren zurück. Wer waren diese meist jungen Männer aus den mittleren Gesellschaftsschichten und aus verschiedenen Berufsfeldern, die im Namen der Krone, aber «auf eigene Kosten und aus freiem Willen» in ihnen fremde Gebiete zogen? Wie organisierten und finanzierten sie sich, wenn nicht als Armee oder Söldnertrupp? Und warum verschuldeten sie sich oder setzten ihr Leben und ihr Vermögen aufs Spiel für dieses Wagnis? Diese Fragen zu beantworten ist schwierig, weil der welthistorische Vorgang der Conquista auf mehreren Ebenen verklärt ist: In den Quellen kommen nur wenige Beteiligte überhaupt zu Wort, die Zeitzeugen sowie die Historiografie idealisieren oder skandalisieren die Darstellungen entlang bestimmter Interessen oder aufgrund von Missverständnissen, und schließlich ist selbst die Sprache betroffen von diesen Auslegungsproblemen.
Der Begriff des Konquistadors ist auf die sogenannte Reconquista zurückzuführen, die zur «Rückeroberung» stilisierte Konfrontation christlicher Könige mit den Muslimen auf der Iberischen Halbinsel (718/722–1492). Nachdem Jaime I., König von Aragonien, 1238 die Stadt Valencia von den Mauren erkämpft hatte, wurde er mit dem Beinamen «el conquistador», also «der Eroberer», betitelt. Heute stehen «die Konquistadoren» ohne geografischen Zusatz für die Eroberer Spanisch-Amerikas und «die Conquista» für ihre Eroberungen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts klang dabei eine Heroisierung der Akteure und ihrer Taten mit. Ebenso idealisierend sind weitere mittelalterliche Termini für die Konquistadorenverbünde wie «compaña» (= kleine Beutegemeinschaft) oder «hueste» (= Heerschar), die aus dem Kontext der Reconquista stammen und mit denen insbesondere die spanische Forschung die Conquista als Fortsetzung des Krieges gegen die «Ungläubigen» rechtfertigen wollte. Zudem werden die Konquistadoren oft fälschlicherweise als «Soldaten» bezeichnet, die einer «Kompanie», «Armee» oder auf See einer «Armada» angehörten. Das ist deshalb irreführend, weil die Männer keinen fixen Sold erhielten und in keinem regulären Kriegsheer dienten. Der selbst von den Zeitgenossen verwendete Militärjargon war mangelnden Alternativen oder zeitgenössischer Rhetorik geschuldet, die nach außen legitimes und den Normen entsprechendes Verhalten signalisierte. Damit demonstrierten die Akteure Königstreue und distanzierten sich etwa von Räuber- und Piratenbanden. In den altspanischen Quellen finden sich aber vor allem der zweideutige Ausdruck «en compania» (= in Begleitung/Kompanie) oder das Wort «gente», also schlicht «Leute». Individuell bezeichneten sich die Beteiligten entweder als «Spanier», «Christen» oder als «compañeros». Letzteres wies sie als gleichberechtigte Teilnehmer eines gemeinsamen Unternehmens (compañía) aus.
Aufgrund der gestaffelten Belohnungsschemata definierten und inszenierten sich die Eroberer allerdings schon selbst als Konquistadoren. Jeder hatte für seinen Einsatz Anspruch auf einen Teil der Beute. Zudem bestand auf politischer Ebene die Aussicht auf eine zweite Belohnung, weil in der kastilischen Gnadenökonomie der König seine treuen Untertanen entsprechend ihrer «Dienste und Verdienste» prämieren musste. Die Zugehörigkeit zu den Konquistadoren – und vor allem zu den «Ersten Eroberern» (primeros conquistadores) – versprach also Privilegien. Um diese zu sichern und daraus Kapital zu schlagen, baten die Akteure die Krone um Anerkennung ihres Status als Konquistador sowie um königliche Gnaden und präsentierten sich dabei als möglichst verdienstvoll. Die stark interessengefärbte Quellensprache schlägt sich noch heute auf die gängigen Bilder der Conquista in Kunst und Wissenschaft nieder.
Die Frage nach ihrer Organisation wurde ebenfalls von der Rhetorik und der aufgeladenen Semantik beeinflusst. So erschienen die Eroberungszüge lange als feudale Gefolgschaften oder als frühkapitalistische Unternehmen. Weil diese Modelle nur begrenzt zutreffen und sie gerade die konstitutive Verflechtung der beiden Bereiche verschleiern, ist seit der Jahrhundertwende der Joint-Venture-Charakter mit seiner spezifischen Vertragsbasis zwischen der Krone und den Eroberungswilligen betont worden: Die Krone erteilte im Normalfall nur die Erlaubnis für eine Expedition, die Ausrüstung der Schiffe hatte der Lizenznehmer (capitulante/asentista) zu finanzieren, und die einzelnen Konquistadoren mussten für sich selbst aufkommen. In der Konsequenz sind jüngst die besonderen Anreiz- und Belohnungsschemata der Beute- und Gnadenverteilung herausgearbeitet worden. Dieser Ansatz berücksichtigt sowohl die materielle Ebene (Bodenschätze, Indios) als auch die symbolische (Titel). Des Weiteren erlaubt er, das Innenleben der Beutegemeinschaften, die situative Dynamik und Flexibilität sowie die Spielräume vor Ort in den Blick zu nehmen.
Die Frage nach der Motivation der Konquistadoren wurde abwechselnd mit der Gier nach Gold oder mit christlich-feudalen Dienstmentalitäten gegenüber Gott und dem König beantwortet. Irving Leonard beschrieb die Konquistadoren 1949 als Glücksritter, bei denen die Lektüre populärer Ritterliteratur chevalereske Abenteuerlust geweckt habe. Einzelne mögen dadurch animiert worden sein, aber größtenteils entstammen auch diese Erklärungen den zeitgenössischen Skandalisierungs- und Rechtfertigungsdiskursen. Entweder wurden die Konquistadoren darin von Kritikern diffamiert oder sie inszenierten sich selbst als gottesfürchtig und königstreu. Entsprechend schwierig ist es, die Motive der Einzelnen zu benennen, vor allem weil jeweils mehrere Beweggründe und Zufälle zusammenspielten. In der Summe strebten die Beteiligten jedoch nach materiellem Reichtum und sozialer Besserstellung. Strukturelle Push-Faktoren bildeten vermutlich die Verarmung des spanischen Landadels sowie das 1505 veränderte Erbrecht, das das immobile Erbe ungeteilt dem Erstgeborenen zusprach (mayorazgo). Den jüngeren Brüdern blieb scheinbar nur die Wahl zwischen Kloster und Krieg beziehungsweise Conquista.
Die Fragen nach Herkunft, Organisation und Motivation der Konquistadoren sind wie erwähnt eng verbunden mit jenen zum Ablauf der Conquista. Der schon von den Zeitzeugen propagierte Mythos des «Wunders», wonach ein paar hundert Spanier abertausende indigene Krieger bezwungen hätten, hat durch die Forschung der letzten Jahrzehnte seine Überzeugungskraft eingebüßt. In Wahrheit kämpften große Kontingente von indigenen Kriegern gegeneinander, während die Spanier eine vergleichsweise kleine Zahl ausmachten. So hat die Beteiligung der Einheimischen Amerikas seit den 1960er Jahren ein größeres historisches Interesse erfahren. Gleiches gilt für die Dunkelziffer an Frauen, Schwarzafrikanern, Sklaven und Dienern. Deren Rollen etwa als Träger, Köche, Übersetzer, Geliebte, Prostituierte, Schildknappen und «Handlanger» diverser Arbeiten waren zwar wichtig, aber haben nur wenige Spuren in den Archiven hinterlassen.
Weitgehend ausgeklammert von der Infragestellung alter Deutungsparadigmen blieben erstaunlicherweise die Konquistadoren selbst, die sich in spanischen Häfen auf den Weg in die Neue Welt machten. Der Fokus auf diese Gruppe wertet den Beitrag der außereuropäischen und historiografisch marginalisierten Akteure keineswegs ab, sondern ist unter Einschluss der neuesten Forschungsergebnisse dringend nötig. Bisher liegen nur prosopografische Studien zu einzelnen Konquistadorenzügen oder Biografien zu den Anführern vor. Eine Gesamtstudie zu den Konquistadoren fehlt – insbesondere in deutscher Sprache.
Das vorliegende Buch liefert eine Einführung zu diesem Thema. Es erhebt keinen Vollständigkeitsanspruch hinsichtlich der Ereignisse, die lediglich zur Kontextualisierung dienen, oder der zahlreichen Akteure und ihrer mannigfaltigen Motive. Ein solcher Anspruch wäre ohnehin unrealisierbar, weil die Quellen über viele, auch ganz entscheidende Akteure wie Frauen und Indigene oft schweigen. Warum das so ist und wo...