2. Hobbes: Bürgerkrieg und Naturzustand
Thomas Hobbes (1588–1679) wurde im Jahr der Versenkung der spanischen Armada geboren. Niemand konnte den Untergang der gewaltigen spanischen Kriegsflotte ahnen, vielmehr befand sich England in größter Angst vor der katholischen Übermacht. Deshalb schrieb Hobbes rückblickend, er und die Angst seien als Zwillinge geboren worden. Die Angst sollte seinen Lebenslauf auch weiterhin bestimmen, fiel doch ein großer Teil seines Lebens mit dem englischen Bürgerkrieg zusammen.
Nach dem Studium in Oxford hatte Hobbes zuerst das Glück, Tutor von William Cavendish (1590–1628) zu werden. Er begleitete ihn auf den Kontinent und ins Englische Parlament. Auch nach dem frühen Tod seines Zöglings blieb Hobbes mit dem Geschick der königstreuen Familie Cavendish verbunden. Durch die enge Vertrautheit mit den politischen Spannungen in England rechnete er bereits Ende der 1620er Jahre damit, dass der Konflikt zwischen Krone und Parlament und die tiefen konfessionellen Klüfte England in einen Bürgerkrieg stürzen würden. Tatsächlich brach der Bürgerkrieg 1642 aus und endete 1649 mit der Enthauptung des englischen Königs. Nach einer republikanischen Phase, die durch Kriege in Irland und Schottland gekennzeichnet war, übernahm 1653 Oliver Cromwell (1599–1658) als Lordprotektor die Macht. 1660 wurde der Sohn des enthaupteten Monarchen als König Karl II. eingesetzt, was den Beginn der Restauration durch das Haus Stuart markierte. Allerdings hatte das Parlament eine kaum mehr rückgängig zu machende Stärkung erlebt. Die Versuche, Absolutismus und Katholizismus wieder zur Geltung zu bringen, mündeten in die «Glorreiche Revolution» von 1688/89, die zur Wahl Wilhelms von Oranien-Nassau (1650–1702) zum englischen König und zur Teilung der Souveränität zwischen Parlament und Krone führte. Diese bis heute geltende Etablierung der konstitutionellen Monarchie in England wurde in der Bill of Rights (1689) verankert, Vorbild der Verfassung der Vereinigten Staaten (1787) und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789).
Hobbes verbrachte die Jahre von 1640 bis 1652 im Exil in Frankreich und den Niederlanden. Seine wichtigsten Werke entstanden in diesem Zeitraum. 1640 zirkulierte das Manuskript Elements of Law (Elemente des Rechts). 1642 erschien der dritte Teil seiner Elementa philosophiae (Elemente der Philosophie), De cive (Vom Gemeinwesen), 1655 folgte der erste Teil De corpore (Vom Körper) und erst 1658 der mittlere Teil De homine (Vom Menschen). Hobbes’ berühmtestes Werk jedoch ist der Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil (Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens, 1651). Eine lateinische Fassung erschien 1668. Nach seiner Rückkehr nach England ließ sich Hobbes in Dispute über Politik, Religion und Wissenschaft verwickeln. 1675 zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück und arbeitete an der Übersetzung der Homerischen Epen. Er starb 1679 im hohen Alter von 91 Jahren.
Nicht nur große Teile der genannten philosophischen Schriften, auch seine historischen Werke handeln direkt oder indirekt vom Bürgerkrieg. Eindringlich verbindet Hobbes in seiner Geschichte des Parlaments (Behemoth, 1679) seine Sicht auf die historischen Ereignisse des Bürgerkriegs mit der zentralen Botschaft seiner politischen Philosophie: Die Religion muss durch den Staat kontrolliert werden und Macht und Autorität des staatlichen Souveräns müssen absolut sein, andernfalls droht Bürgerkrieg. Die Verhinderung solcher Kriege ist das bestimmende Motiv seiner politischen Philosophie. Das einzige Mittel, solchen Konflikten zu entkommen und ein Gemeinwesen zu sichern, ist in Hobbes’ Augen die Institutionalisierung einer ungeteilten staatlichen Macht, die in politischen, aber auch ideologischen und wissenschaftlichen Dingen das letzte Wort haben muss.
Die Autonomie der politischen Philosophie
Für Hobbes war es zuerst dringend erforderlich, eine eigenständige «Wissenschaft der Politik» (science of politics) zu errichten, die auf eigenen Beinen und dem festen Boden der Tatsachen, statt auf dem schwankenden Grund der Parteimeinungen stehen konnte. Hobbes war der Überzeugung, als Erster eine Wissenschaft der Politik entwickelt zu haben. In Anlehnung an die euklidische Geometrie, die er einer Anekdote zufolge während seiner Italienreise kennen und lieben gelernt hatte, sollten sich politische Prinzipien mit vergleichbarer Sicherheit finden wie sich geometrische Sätze von Axiomen ableiten lassen. Hobbes war sich im Klaren darüber, dass die Politik als Wissenschaft nicht den Grad an deduktiver Gewissheit der Geometrie erreichen kann, sie muss diesem Ideal dennoch nachstreben. Auch deshalb sollte die Geometrie Modell der politischen Wissenschaft werden, weil sie jenseits der Ambitionen, Vorteile und Neigungen von Menschen liegt [Leviathan 1.11.22]. In Übereinstimmung mit Descartes’ Ideal der epistemischen Autonomie bemerkt Hobbes bissig, wer sich auf die Gewohnheit verlasse, sei nicht besser als ein kleines Kind, dem als Regeln guten und schlechten Verhaltens nichts als die Sanktionen seiner Eltern und Schulmeister zur Verfügung stehen [ebd.].
Das System, das er in seiner Trilogie Elementa philosophiae entwirft, entspricht folgendem Vorgehen: Der dritte Teil handelt von der Natur und den politischen Gesetzen des Gemeinwesens, wobei der politische Körper aus Menschen besteht; deshalb handelt der zweite Teil von der Natur und den psychischen Gesetzen der Menschen, wobei der menschliche Körper letztlich nichts anderes als ein Teil des physischen Universums ist; deshalb handelt der erste Teil von der Natur und den physischen Gesetzen der Körper. Hobbes vertritt eine mechanistische und materialistische Auffassung der Welt. Bewegung ist die allgemeine Ursache für alle Arten der Veränderung in einem materiellen Universum. Die Bewegungen folgen spezifischen Gesetzen. Die Geometrie ist die Konstruktion von Figuren durch die Bewegung von Punkten. So wird etwa die Figur des Kreises konstruiert, indem man einen Punkt auf einer Ebene in gleichbleibendem Abstand um einen ruhenden Punkt herumbewegt. Diese Bewegungen werden mittels Konstruktionsgesetzen reguliert. Die Physik behandelt die naturgesetzliche Bewegung von Körpern. Die Anthropologie behandelt die Bewegungen der Psyche durch die Leidenschaften. Die Politik schließlich handelt von Bewegungen der Menschen, insofern sie zur Institutionalisierung eines Gemeinwesens führen.
Im Leviathan hebt Hobbes hervor, dass sich die Physik mit der Natur und den Veränderungen der Körper befasse, die Politik aber mit den Rechten und Pflichten von Herrscher und Untertan, sodass sich die politische Philosophie doch in relativer Unabhängigkeit verstehen lasse. Dies sollte man bedenken, wenn man gegen Hobbes den oft erhobenen Vorwurf wiederholt, dass sich aus den materialistischen Grundlagen seiner Naturphilosophie keine normativen Forderungen ziehen lassen. Bei genauer Betrachtung tut Hobbes das auch nicht. Der Leviathan steht ohne unmittelbaren Bezug zur materialistischen Metaphysik und stellt die politische Philosophie als eine autonome Wissenschaft dar. Die Politik sollte als Wissenschaft weder auf Physik noch Theologie aufbauen, sondern vielmehr wie die Physik eine selbständige Wissenschaft sein. Selbst die Anthropologie der ersten zehn Kapitel des Leviathan, die vom Menschen und seinen Leidenschaften und Fähigkeiten handeln, ist auf ihre Funktion zugeschnitten, Ausgangspunkt der politischen Theorie zu sein.
Naturzustand und Selbsterhaltung führen zum Vertrag
Hobbes legt im Leviathan ein epochemachendes Modell für das politische Denken vor, das Vertragsmodell. Er gilt als Begründer der modernen politischen Vertragstheorie (Kontraktualismus), die ein Verständnis des Wesens, des Zwecks und der Rechtfertigung des Staates nach wissenschaftlichen Prinzipien liefern soll. Im Zentrum dieses Modells steht die Idee eines Vertrags, den Individuen zu ihrem gegenseitigen Schutz und Nutzen abschließen. Mit diesem Vertrag wird eine staatliche Autorität errichtet, deren Zweck es ist, die Existenzbedingungen der Vertragspartner zu garantieren.
Das wichtigste Axiom in Hobbes’ politischer Philosophie ist die Idee der individuellen Selbsterhaltung. Aufgrund äußerer Eindrücke formen Menschen Wünsche und...