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E-Book

Gebrauchsanweisung für Stuttgart

AutorElisabeth Kabatek
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492992756
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
»Eine spannende Lektüre« Stuttgarter Nachrichten »Net g'schempft isch g'nug g'lobt.« So viel Tiefstapelei ist symptomatisch für die Stuttgarter. Dabei haben sie allen Grund, ihre Stadt zu lieben: Sternegastronomie und Waldheime, das Sommerfestival der Kulturen, die Pünktlichkeit der U-Bahnen, Qualitätsweine und das Understatement der Bewohner - das alles macht hiesige Lebensqualität aus. Scharfsinnig und mit einem Augenzwinkern erzählt Elisabeth Kabatek von den Herausforderungen der Kehrwoche, einem fast mediterranen Lebensgefühl und von Brezeln, die einfach glücklich machen.

Elisabeth Kabatek wuchs unweit der schwäbischen Landeshauptstadt auf. Sie studierte Anglistik, Hispanistik und Politikwissenschaft in Heidelberg und Spanien und arbeitete in Frankfurt am Main und Barcelona. Seit 1997 lebt sie in Stuttgart. Ihre ersten beiden Romane 'Laugenweckle zum Frühstück' und 'Brezeltango' wurden auf Anhieb zu Bestsellern, an die sie u.a. mit 'Spätzleblues' und 'Zur Sache, Schätzle!' anknüpfte.

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Leseprobe

Stuttgart

oder: slow love

Als ich die erste Ausgabe dieser »Gebrauchsanweisung« schrieb, schien den meisten Stuttgartern gar nicht aufzufallen, wie großartig ihre Stadt ist. Diejenigen, die es doch bemerkten, sprachen nicht darüber, und wenn sie es taten, machten sie die Stadt immer ein klein wenig herunter. Wir loben uns schließlich nicht ständig selber! Oder auf Schwäbisch: »Net gschempft isch gnug globt!« Es reicht ja, wenn wir selber wissen, was wir an unserer Stadt haben.

Damals hatte ich permanent das Bedürfnis, den Menschen in dieser Stadt zuzurufen: »Seid selbstbewusst! Schaut doch mal, was wir hier alles haben, und seid stolz darauf! Parkt den Porsche nicht hinterm Haus!« Aber noch viel schlimmer war die Wahrnehmung von außen. Wer Stuttgart nicht kannte und erfuhr, dass man da lebte, haute einem erst einmal »Kehrwoche«, dann »Schaffa, schaffa, Häusle baue« und schließlich noch »Stuttgart 21« um die Ohren – und fand sich total witzig dabei. All dies in relativ herablassendem Ton, der deutlich machte, dass Stuttgart eigentlich völlig indiskutabel war und man da niemals freiwillig hinfahren würde. Hamburg, Berlin, Köln, München – ja! Aber Stuttgart? Eine No-go-Area.

Ein knappes Jahrzehnt später hat sich nicht nur Stuttgart extrem verändert, auch die Wahrnehmung der Stadt ist eine andere. Nach außen hin muss ich mich zwar immer noch hin und wieder dafür rechtfertigen, dass ich freiwillig und gerne in Stuttgart lebe – aber weitaus seltener als früher. Ich stelle noch immer fest, dass viele Menschen eigentlich überhaupt keine konkrete Vorstellung von Stuttgart haben, und wenn doch, dann meinen sie, es müsse eine unglaublich hässliche Stadt sein, wegen der vielen Industrie. Ich glaube, sie haben eine Vision von rauchenden Schlöten in riesigen Gewerbegebieten, in denen missmutige Menschen mit rußgeschwärzten Gesichtern ihrer Arbeit nachgehen. Sie wissen nicht, dass Stuttgart große Waldflächen besitzt. Doch vor allem haben Sie überhaupt keine Ahnung davon, welch kultureller Reichtum Stuttgart auszeichnet.

Nach innen ist diese Stadt kein unsicheres hässliches Entlein mehr, sondern längst ein stolzer Schwan. Vor allem die jüngeren Generationen gehen vollkommen unbefangen, sehr selbstbewusst und man könnte schon fast sagen: patriotisch mit dieser Stadt um. Diese Entwicklung begann mit der Fußball-WM 2006, mit der Hymne »Stuttgart ist viel schöner als Berlin«. Anfangs klang das ein wenig trotzig, so, als ob man selber nicht so richtig daran glaubte. Und doch: was für neue Töne! Stuttgart hat sich ein Stück weit neu erfunden – oder vielleicht haben die Stuttgarter endlich ihre Stadt gefunden und identifizieren sich heute viel stärker mit ihr als früher. Diese Identifikation hat seit 2018 auch einen konkreten Ort: Das StadtPalais will ein Museum für Stuttgart und die Stuttgarter sein, und Museumsdirektor Torben Giese würdigte gleich als Erstes den Stuttgarter Hip-Hop mit einer Ausstellung.

Die jungen Stadtbewohner legen keinen Wert aufs Auto, sondern fahren Fahrrad. Die Work-Life-Balance ist ihnen zudem wichtiger als die Karriere beim Daimler, denn sie brauchen viel freie Zeit, die sie auf dem Marienplatz und in der angrenzenden Tübinger Straße verbringen. Hier geht es sehr entspannt, mediterran und multikulturell zu, die perfekte Mischung aus lokal-heimatverbunden einerseits und global andererseits. »Schön, reich und schlau«, stand schließlich auch in großen Lettern auf dem im April 2018 erschienenen Merian-Heft Stuttgart zu lesen. Wie bitte? Schön, reich und schlau? Ja, Sie hören richtig. Manfred Langner, bis Sommer 2018 Intendant der Schauspielbühnen, sagte bei seinem Abschied sogar: »Die Stadt hat sich verändert, ist seit meinem ersten Gastspiel vor rund 15 Jahren zu einer Metropole geworden und politisch stark interessiert.« Eine Metropole! Stuttgart!

Reich, titelt Merian. Und in der Tat: Die Stadt Stuttgart konnte im Jahr 2018 einen Überschuss von 382,7 Millionen aus dem Haushalt des Vorjahres präsentieren, das beste Ergebnis aller Zeiten, die gute Konjunktur machte es möglich. In einer reichen Stadt zu wohnen ist kein Nachteil: Während in anderen Städten Kultureinrichtungen geschlossen werden, wird in Stuttgart über einen Neubau des Lindenmuseums und ein neues Konzerthaus diskutiert, die kostspielige Sanierung des Opernhauses ist bereits beschlossene Sache. Doch nicht nur die Stadt ist reich, auch den meisten Einwohnern geht es gut. Die Arbeitslosenquote in Stuttgart lag im Oktober 2018 bei gerade einmal 3,1 Prozent – das gilt als Vollbeschäftigung.

Dass Stuttgart auch eine schöne Stadt ist, haben längst nicht nur die Schweizer Touristen bemerkt, die zum Weihnachtsmarkt strömen. Das Übernachtungsvolumen aus dem Ausland konnte seit dem Jahr 2000 verdoppelt werden, 2017 wurden erstmals mehr als zwei Millionen Übernachtungsgäste gezählt.

Stuttgart ist eine gute Stadt – für Schwaben und Nicht-Schwaben. Im Jahr 2017 hatten 44,5 Prozent der Stuttgarter einen Migrationshintergrund, waren also entweder Einwohner mit ausländischem Pass oder eingebürgerte Ausländer. Das ist viel. Sehr viel. Und das Erstaunliche und Erfreuliche ist: All diese Menschen aus der ganzen Welt leben überwiegend friedlich und konfliktfrei zusammen, und die meisten Stuttgarter empfinden die Zuwanderer als Bereicherung, nicht als Bedrohung. Man kann sich durch die Küchen der Welt futtern und beim Sommerfestival der Kulturen miteinander abtanzen und feiern. Natürlich gibt es auch in Stuttgart Ausnahmen von der Regel, natürlich gibt es auch hier Ausländerfeindlichkeit, und leider ist auch hier die AfD im Landtag und Gemeinderat vertreten. Trotzdem war ich ziemlich schockiert, als mitten im gutbürgerlichen Stuttgarter Westen der schwarze Schauspieler auf dem Plakat meines Theaterstücks »Allein unter Schwaben« mit schwarzer Farbe übersprüht wurde. So etwas passiert in Stuttgart normalerweise nicht. Seit Jahrzehnten gibt es Zuwanderung, niemand wundert sich über Menschen, die eine andere Hautfarbe haben oder eine fremde Sprache sprechen. Die Stuttgarter engagieren sich mit Hingabe für ihre Partnerstädte St. Helens, Cardiff, St. Louis, Straßburg, Mumbai, Menzel Bourguiba, Kairo, Lodz, Brünn und Samara. »Es ist immer wieder überwältigend, mit wie viel Herzblut und Begeisterung die Stuttgarter ihre internationale Verbundenheit leben. Jede der zehn Partnerstädte hat ihren ›Fanclub‹ an Aktiven aus Vereinen, Schulen oder Kultureinrichtungen, manche sind auch mit und in mehreren Städten aktiv«, freut sich Nadia vom Scheidt, die bei der Stadt Stuttgart die Abteilung Außenbeziehungen leitet.

Aber diese Stadt kann einen auch in den Wahnsinn treiben. Die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 ist entschieden, aber nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Innenstadt: eine einzige Großbaustelle. Gruben, Presslufthämmer, Umleitungen, Verkehrsstaus, Dreck und Lärm. Das alles kann einen fassungslos machen – genauso wie die Autohörigkeit der Stuttgarter. Vor einiger Zeit lag ich auf einem Zahnarztstuhl, die Behandlung dauerte gut zwei Stunden. Von dort aus konnte ich den Verkehr an der Kreuzung Siemens-/Maybachstraße am Pragsattel beobachten. Von acht bis zehn Uhr sah ich zu, wie sich an einem Tag mit Feinstaubalarm Tausende Fahrzeuge in die Stadt wälzten. Und es mag naiv klingen, aber mir dämmerte: So sieht das hier jeden Morgen aus – und jeden Abend. Endlose Staus, endlose Autokolonnen, die meisten Autos mit nur einer Person besetzt, während direkt unter der Straße die U-Bahn verläuft.

Warum ich trotzdem nirgendwo anders leben will? Warum ich diese Stadt trotzdem glühend verteidige, wenn sich jemand abschätzig über sie äußert, und mich schon fast persönlich angegriffen fühle? Weil ich keine andere Großstadt kenne, die mitten im Zentrum Weinberge hat, in der man zu Fuß selbst von der Stadtmitte aus in den Wald gehen kann und wo man so traumhaft schöne Ausblicke genießt. »Stuttgart sieht nachts mit den Lichtern am Hang aus wie Nizza – das Einzige, was fehlt, ist das Meer«, schrieb der Architekturkritiker Niklas Maak im Herbst 2018 in einer Zeitung des Schauspiels Stuttgart.

Weil Stuttgart kulturell ein Schatzkästlein ist. »Wenn man Theatermacher ist, gehört Stuttgart zu den großen Bühnen«, sagte Axel Preuß im Herbst 2018 zu mir, als er seine Intendanz bei den Schauspielbühnen Stuttgart antrat, »Wien, Hamburg, Berlin, München, Stuttgart!« Ganz genau. Stuttgart! 2018 zum vierten Mal in Folge auf Platz eins im Kulturmetropolen-Ranking der dreißig größten deutschen Städte. Vor Berlin, wohlgemerkt. Mit einem Ballett von Weltrang und dem garantiert allerbesten Publikum der Welt.

Vor allem aber auch, weil es in dieser Stadt so viele Menschen gibt, die sich in ihr und für sie engagieren: In der Flüchtlingsarbeit, in der Arbeit mit Obdachlosen, gegen S21, gegen den Verkehrswahnsinn. Ja, manchmal hat man in dieser Stadt, in der sowohl der grüne Oberbürgermeister als auch die grüne Landesregierung bisher eher blass geblieben sind, das Gefühl, die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger sind der Politik nicht immer, aber oft um eine Nasenlänge voraus, wenn es darum geht, Entwicklungen nicht zu verschlafen oder falsche Weichenstellungen zu verhindern. Ein Beispiel: Ohne die Initiative und den hartnäckigen Einsatz des Vereins »Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V.« wäre die ehemalige Gestapo-Zentrale in der Dorotheenstraße im Rahmen der Neuordnung des Areals der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Von 1937 bis 1945 residierte dort die Gestapo, verhörte und...

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