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INTERNE DATEN – BLICK IN DIE VERGANGENHEIT
Studienabbrecher Larry Ellison gründete 1977 ein Unternehmen, das er zunächst Software Development Laboratories nannte. Bei seiner früheren Tätigkeit für die Elektronikfirma Ampex hatte er einen Artikel des britischen Informatikers Edgar Frank Codd gelesen, der 1970 während seiner Arbeit für IBM die Abhandlung »A Relational Model for Large Shared Data Banks« (Ein relationales Modell für umfangreiche, gemeinsam genutzte Datenbanken) verfasst hatte. Ellison hatte bei Ampex an einer Reihe von Projekten gearbeitet, unter anderem auch an einer Datenbank für die CIA, die er Oracle nannte. Diesen Namen sollte schließlich auch sein Unternehmen bekommen.
Diese Firma im kalifornischen Redwood City sollte den Markt für Datenbanken und die Art von Unternehmenssoftware dominieren, die gemeinhin als ERP-Software (Enterprise Resource Planning) bezeichnet wird. Heute gehört Oracle zu den einflussreichsten Technologieunternehmen der Welt. Für das Geschäftsjahr 2015 gab Oracle einen Umsatz von 38,2 Milliarden und einen Profit von zehn Milliarden US-Dollar bekannt.15
Oracle-Gründer Larry Ellison ist nicht so berühmt wie Steve Jobs von Apple und Bill Gates von Microsoft. Er hat die Welt, in der wir leben, aber ebenso geformt wie sie. Vor Oracle waren Unternehmensdaten in begehbaren Bunkern vergraben und schwer zugänglich. Einige waren auf Großrechnern gespeichert, andere maschinen- oder handgeschrieben in Aktenordnern gesammelt. Die meisten Daten lagen nicht in einem verwertbaren Format vor, was es unmöglich machte, sie zu analysieren und Einsichten daraus zu gewinnen. Mit dem Aufkommen von ERP-Systemen wurden diese internen Daten langsam digitalisiert. Im Jahr 2005 hatten 80 Prozent der Fortune-500-Firmen ein unternehmensweites ERP-System installiert oder waren gerade dabei.16
Als der Markt nach einer Software verlangte, die auf die Bedürfnisse einzelner Geschäftsfunktionen zugeschnitten war – wie Verwaltung von Kundenbeziehungen (Customer Relationship Management, CRM), Finanzen, Personal, Lieferketten und Business Intelligence (BI) –, startete Ellison eine beispiellose Akquisitionsorgie, die ein Jahrzehnt lang anhalten sollte und sich auf einen Gesamtwert von 35 Milliarden US-Dollar belief. Die aufgekauften Unternehmen ergänzten die Datenbank von Oracle um Fachkenntnisse aus den Gebieten Arbeitsabläufe, Geschäft, Logik, Visualisierung und Berichterstattung. Dadurch wurde Oracle zum zuverlässigsten Hersteller für Enterprise-Software weltweit. In Kapitel 13 werden wir sehen, wie sich diese Geschichte wiederholt.
Heute sind wir so sehr an Enterprise-Software gewöhnt, dass man leicht vergessen kann, dass es sie erst seit Mitte der 1990er-Jahre gibt. Führungskräfte verlassen sich heute voll und ganz auf ihr ERP-System, um sich einen Eindruck von der Geschäftslage zu machen. Wie gut ist unsere Kundenbindung in Europa? Wie hoch sind die neuesten Produktivitätswerte pro Vertriebsmitarbeiter? Wie viel trägt unser neuer Geschäftsbereich zum Profit bei? Woher kommt unser heutiges Wachstum? Wie können wir den größtmöglichen Return on Investment (RoI) erzielen? Die Antworten auf all diese Fragen sind in ERP-Systemen zu finden.
Oracle hat zur Bildung einer ganz neuen Branche beigetragen von atemberaubendem Ausmaß. Nach Angaben des US-amerikanischen Marktforschungsunternehmens Gartner haben die weltweiten jährlichen IT-Ausgaben von Firmen für Server, Geräte, Enterprise-Software und professionelle Dienstleistungen im Jahr 2015 eine Höhe von 3,52 Billionen US-Dollar erreicht.17
Wenn Steve Jobs die Computertechnologie für Endverbraucher revolutioniert hat, dann hat Larry Ellison das Gleiche für Unternehmen getan. Im Januar 2016 hatte Oracle 133 000 Mitarbeiter, seine Software wurde von 98 Prozent der Fortune-500-Unternehmen eingesetzt.18 Seit mehr als 40 Jahren gehört Ellison zu den einflussreichsten Personen im Silicon Valley. Außer bei Oracle hat er auch bei vielen anderen Erfolgsgeschichten eine entscheidende Rolle gespielt, zum Beispiel bei Salesforce und NetSuite, zwei führenden Unternehmen für cloudgestützte Enterprise-Software.
Im Januar 2016 wurde Ellison vom Forbes Magazine mit einem Nettovermögen von 54 Milliarden US-Dollar als fünfreichste Person der Welt geführt und stellte damit die Gründer von Facebook, Google und Amazon in den Schatten. Als einziger IT-Unternehmer lag Bill Gates vor ihm.
Larry Ellisons Reichtum gründet sich darauf, dass er Unternehmen eine neue Vorgehensweise zur Entscheidungsfindung an die Hand gegeben hat. Seine Software hat dazu beigetragen, dass Informationen aus allen Teilen des Unternehmens zu einer gründlichen Analyse herangezogen und damit bewusste datengestützte Entscheidungen getroffen werden können.
2.1Interne Daten hinken hinterher
Die Einführung von ERP-Systemen stellte einen überaus wertvollen Fortschritt dar. Keine Frage. Doch der offensichtliche Nachteil von ERP-Systemen liegt darin begründet, dass sich die Daten aus der Vergangenheit speisen. Es dauert Monate, manchmal sogar Quartale, um neue Vertriebsmitarbeiter einzuarbeiten und Erfolge zu sehen. In manchen Branchen erfordert es Investitionen über mehrere Jahre, um ein Produkt zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. In einem ERP-System können wir unsere Daten bis in kleinste Einzelheiten untersuchen und analysieren, aber sosehr wir uns auch bemühen, wir werden ausschließlich Erkenntnisse über die Vergangenheit finden.
Eine Kernthese dieses Buches besteht darin, dass wir vorsichtig dabei sein müssen, wie wir ERP-Software einsetzen. Übermäßiges Vertrauen in solche Systeme kann gefährlich sein und zu einer Weltsicht führen, die beschränkt ist. Es ist leicht, sich von fesselnden Diagrammen und Analysen mitreißen zu lassen, aber wir müssen immer daran denken, dass ein ERP-System nur wenige der Fragen beantworten kann, denen wir uns stellen müssen. Die aktuelle Situation wird von den Zahlen in unserem ERP-System nicht abgedeckt und genauso wenig die Investitionen unserer Mitbewerber und die Entwicklung der Branche als Ganzes. Trotz ihrer überzeugenden Stringenz weisen interne Daten deutliche Grenzen auf, wenn es darum geht, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Das wird an dem folgenden Beispiel deutlich.
2012 erbrachte die kanadische Filiale von Meltwater im dritten Jahr hintereinander eine schlechte Leistung, die in starkem Kontrast zum restlichen Unternehmen stand. Wir verloren Geld, es gab kein Wachstum, und die Personalbindung war die schlechteste in der ganzen Firma.
Bei einer Vorstandssitzung von Meltwater im Januar 2013 hatten wir eine hitzige Diskussion darüber. Aufgrund der schlechten Zahlen drängten unsere externen Vorstandsmitglieder darauf, die Filiale in Kanada zu schließen und unser Geld stattdessen in anderen Märkten anzulegen. Schließlich war dies unsere kleinste und unbedeutendste Geschäftseinheit. Ich hielt dagegen, dass am kanadischen Markt an sich nichts auszusetzen sei. Die Wettbewerbslandschaft war attraktiv und viel ausgereifter als auf anderen Märkten, in denen wir florierten. Meiner Meinung nach lag hier ein internes Problem vor: Wir hatten einfach nicht das richtige Management. Ich schlug eine andere Strategie mit einer neuen Führungstruppe und einer Intensivierung unserer Investitionen vor. Der Vorstand akzeptierte schließlich meinen Plan, und im Laufe von nur drei Jahren mauserte sich Kanada von der Geschäftseinheit mit der schlechtesten Leistung zur fünftbesten und erreichte 2016 eine beeindruckende Wachstumsrate von 55 Prozent.
Im Vorstand von Meltwater sprechen wir noch heute hin und wieder über diesen Vorgang, um uns daran zu erinnern, dass sich aus einer Untersuchung von historischen Daten nur begrenzt Informationen gewinnen lassen. Teilweise liegt das daran, dass sich aus der Vergangenheit nicht unbedingt die Zukunft ablesen lässt, und teilweise daran, dass eine Kalkulationstabelle nicht das Gesamtbild erfassen kann. Die Führung eines Unternehmens ist eine vielschichtige Aufgabe. Der wichtigste Faktor ist immer der Mensch. Sein Vertrauen, seine Begeisterung, seine Überzeugungen haben stets den größten Einfluss auf die zukünftige Unternehmensleistung.
2.2Interne Daten sind gefärbt
Ein weiteres Problem von ERP-Systemen besteht darin, dass Sie damit die internen Daten Ihres Unternehmens isoliert betrachten. Sie erhalten keine aktuellen Informationen darüber, was Ihre Konkurrenz tut, und keine zuverlässigen Angaben über Branchentrends. Ihre Weltsicht basiert auf dem, was Sie durch die Brille der historischen Betriebsdaten erkennen.
Isolierte interne Analysen können zu einem falschen Verständnis der Wettbewerbssituation führen. Stellen Sie sich vor, der Preis, den Sie für Ihr Produkt auf dem französischen Markt bekommen können, rauscht im Verlauf von zwölf Monaten in die Tiefe. Liegt das an der geringeren Nachfrage, an der starken Konkurrenz oder am geringen Vertrauen in Ihre französische Vertriebsorganisation? Wenn Sie lediglich die internen Daten betrachten, können Sie das nur schwer herausfinden. Das aber ist ein großes Problem, denn ohne die Ursache zu kennen, können Sie keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergreifen.
Meistens stehen dem Management keine Daten von Dritten zur Verfügung, die dabei helfen können, die internen Daten zu deuten – denn das...