2. Im Gespräch mit …
… Frau Schulze, Leiterin des sozialpsychiatrischen Dienstes Berlin-Lichtenberg
Welche Unterstützung können Sie Angehörigen von Borderline-Persönlichkeiten anbieten?
Jeder, der sich in einer solchen Beziehung sieht und bei der Bewältigung der dort auftretenden Probleme Unterstützung benötigt, kann sich an uns wenden. Wir stehen beratend zur Seite, können aber auch andere Ansprechpartner vermitteln, die ebenfalls unterstützend wirken. Wir stehen auch dann zur Verfügung, wenn der oder die Betroffene und der Partner eine gemeinsame Beratung wünschen.
Wir sind vor allem dann Ansprechpartner, wenn die Borderline-Persönlichkeit durch ihr Verhalten sich selbst oder andere gefährdet. Wenn also ein Angehöriger sich, sein Kind oder auch seinen Borderline-Partner durch dessen Verhalten in Gefahr sieht, sollte er sich unmittelbar mit uns in Verbindung setzen. Wenn eine Selbst- oder Fremdgefährdung nachweisbar ist, fällt dies grundsätzlich in die Zuständigkeit des Gesundheitsamtes und gehört zu dessen hoheitsrechtlichen Aufgaben. Wir sind bei krankheitsbedingter Gefährdung berechtigt und verpflichtet, einzugreifen. Im akuten Notfall, z. B. bei suizidalen Drohungen, kann dies auch zu einer Klinikeinweisung führen. Hierfür ist allerdings ein zwar kurzfristiges, aber dennoch aufwendiges amtsgerichtliches Antragsverfahren notwendig.
Angehörige, die sich durch die Symptomatik einer Borderline-Persönlichkeit überfordert sehen, können sich jederzeit an uns wenden. Sollten sie allerdings die Erwartungshaltung einer Diagnostik an uns herantragen, können wir dem nicht entsprechen. Das können ausschließlich Betroffene selbst verlangen. Der Auftraggeber einer Diagnostik kann keine dritte Person sein, sondern allenfalls eine Institution, wie das Jugendamt oder das Familiengericht. Diese bestellen dann für diesen Zweck einen speziellen Gutachter. Wir sind aber unter Umständen bereit, den Betreffenden anzuschreiben und ihm eine Beratung anzubieten. Ob er sie in Anspruch nimmt, ist aber seine freiwillige Entscheidung.
Was müssen Angehörige oder Partner tun, um Ihre Hilfen in Anspruch zu nehmen?
Angehörige sollten die Zuständigkeit beachten und sich an den jeweiligen sozial-psychiatrischen Dienst in ihrem Stadtbezirk wenden, wenn es um die Klärungen ihrer Probleme und Fragen geht. Wenn der Betroffene in einem anderen Bezirk lebt und sich die Beratung thematisch auf diesen konzentriert, sollte der entsprechende Dienst in dessem Bezirk aufgesucht werden. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn konkrete Maßnahmen ergriffen werden müssen, die eine Selbstgefährdung ausschließen oder beobachten sollen.
Können konkrete Hilfen vermittelt werden, die involvierte Kinder betreuen oder auf misshandelnde Muster Einfluss nehmen (Beobachtung, Kontrolle)? Wenn ja, wie sehen diese Hilfen aus?
Wir verweisen in unsere Beratung dann grundsätzlich an das Jugendamt. Dort werden dann entsprechende Hilfen wie z. B. eine Unterstützung im Rahmen der Familienhilfe in die betroffenen Familien integriert. Im Rahmen von Hilfekonferenzen haben gefährdete Kinder höchste Priorität, sodass eine enge Zusammenarbeit zwischen uns und dem Jugendamt unumgänglich ist. Diese familiären Hilfen integrieren dann in das instabile familiäre Umfeld eine stabile Bezugsperson, die sich dann ausschließlich dem Kind zuwendet.
Partner von Betroffenen leiden oft darunter, nicht ernst genommen zu werden. Häufig zweifeln sie an ihrer Wahrnehmung, sind verunsichert und selbst instabil. Gibt es für deren spezifische Problematik Ansprechpartner? Derartige Beratungen fallen nicht in unseren Bereich. Hier kann ich aber an die lokalen Krisendienste verweisen. Der Berliner Krisendienst steht Hilfesuchenden in akuten seelischen Notsituationen oder familiären Konflikten zur Verfügung.
Welchen Stellenwert würden Sie der Aussage beimessen, dass eine diagnostizierte Borderline-Persönlichkeit die Fähigkeit besitzt, sich in einer „stabilen“ Phase selbst stabil zu halten, womit eine Kindesgefährdung ausgeschlossen werden kann?
Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Um eine Kindesgefährdung verantwortungsvoll ausschließen zu können, sollte immer eine individuelle, personen- und situationsbezogene kompetente Begutachtung stattfinden.
Wann sollten Partner von Borderline-Persönlichkeiten immer den sozialpsychiatrischen Dienst einschalten?
Wenn der Betroffene sich oder andere akut in Gefahr bringt. Dabei geht es nicht um die Selbstverletzungen, die sich Betroffene zur Spannungsregulation beibringen, sondern um konkrete lebensbedrohliche Verhaltensweisen. Dazu gehört sowohl die Androhung eines Suizides, als auch die Androhung Familienangehörigen etwas anzutun.
Wie schätzen Sie die Aufklärungsarbeit im Bereich Borderline ein? Gibt es in diesem Bereich für Sie Defizite?
Ich schätze die Aufklärung zu dieser Thematik als sehr gut ein. Sowohl hier im Haus als auch in den amtlichen Bereichen, mit denen wir kooperieren, ist Borderline jedem ein Begriff. Ich denke, dass das gesellschaftliche Bewusstsein sich hier in den letzten Jahren sehr weiterentwickelt hat und dass es keinerlei Unsicherheiten diesbezüglich gibt. In den hiesigen Berliner Jugendämtern können die Mitarbeiter kompetent mit der Problematik umgehen und sind so auch in der Lage, entsprechend darauf zu reagieren.
… Dagmar Engwicht, Rechtsanwältin für Ehe- und Kindschaftsrecht
Sie gehören zu den wenigen Familienrechtsanwältinnen, die mit dem Begriff Borderline vertraut sind, und sind auch in entsprechende Sorge- und Umgangsrechtsfälle involviert. Um was geht es in diesen Fällen vorrangig?
Oft um einen sehr streit- und emotionsbelasteten Kampf um das Kind. Ich denke, man sollte sich bei jedem Extremfall die Frage stellen, ob ein Borderline-Hintergrund vorliegen könnte. Mit Extremfällen meine ich vor allem diejenigen, bei denen sich die Eltern mit großem Energieaufwand und auffallend starken, oft gegenseitigen Ablehnungsgefühlen, um das Kind/die Kinder streiten. Dabei wird jedes Problem, jeder kleinste Vorfall und Vorwurf, gern dramatisch geschildert, Inhalt des Verfahrens. Oft fehlen Sachlichkeit, grundsätzliche Kompromissbereitschaft und der Fokus Kind, denn es geht im Grunde vorrangig um eigene Verletzungen und Enttäuschungen. An eine Borderline-Problematik sollte auch gedacht werden, wenn die Kinder den Umgang verweigern oder zumindest auffällig einen Elternteil verteidigen und den anderen ablehnen oder permanent kritisieren. Allein aus diesen Fakten ist allerdings noch nicht zu erkennen, welcher Elternteil nun gerade erhöhte Borderline-Züge aufweisen könnte.
Ich selbst kann ja auch nur mit meinem erarbeiteten Wissen, mit meinen Erfahrungen und meinem konkreten Verdacht arbeiten, das heißt, ich stelle keine ärztliche Diagnose und darf mir auch bezüglich meines Verdachts nie sicher sein, zumal ich den anderen Elternteil oft nur im Gerichtsverfahren persönlich erlebe und die Wahrnehmungen wiederum nur vom Mandanten gefiltert bekomme. Das heißt, ich muss mich hinsichtlich meines Verdachts auch ständig hinterfragen, ob ich mich nicht doch täusche.
Hinzu kommt, dass es unterschiedliche Stufen und Phasen oder auch Vorstufen der eigentlichen Erkrankung gibt, weshalb ohne eine konkrete ärztliche Diagnose wahrscheinlich ohnehin nur von erhöhten Borderline-Zügen oder -prägungen gesprochen werden kann.
Woran erkennen Sie, dass die Probleme, mit denen die jeweiligen Väter oder Mütter an Sie herantreten, wahrscheinlich einen von Borderline geprägten Hintergrund aufweisen?
Häufig ahnen diese Mütter und Väter nicht einmal, dass sich hinter ihrem Erleben mit dem Partner eine Symptomatik versteckt. Das wiederum hat oft etwas mit dem mangelhaften Wissen um diese Persönlichkeitsstörung zu tun, da die meisten glauben: „Borderliner – das sind doch die, die sich immer die Arme aufritzen.“ Dass die Symptomatik viel komplexer und in allen Schichten vertreten ist, wobei auch die Arbeitsfähigkeit nicht ausgeschlossen ist, wissen oft die wenigsten.
Ich kann Ihnen keine vollständige Liste mit Kriterien für die Sorge- und Umgangsverfahren nennen, das würde den Interview-Rahmen sprengen. Von den meines Erachtens deutlichen Auffälligkeiten kann ich nur einige herausgreifen.
Dabei muss zwischen den verschiedenen Trennungsphasen und –formen, Geschlechtern und verschiedenen Betreuungssituationen unterschieden werden:
Wird der Borderliner von seinem Partner verlassen, gerät er in einen absoluten Ausnahmezustand. Es geht dabei aber nicht um die typischen trennungsbedingten Schmerzen und Verletzungen, die ja auch von jedem anderen durchlebt werden müssen, um loslassen zu...