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Was würdest du tun?

Wie uns das bedingungslose Grundeinkommen verändert - Antworten aus der Praxis

AutorClaudia Cornelsen, Michael Bohmeyer
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783843720885
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
2014 begann Michael Bohmeyer ein bis dahin undenkbares Gesellschaftsexperiment: Per Crowdfunding sammelte er 12.000 Euro, die er gleich wieder verloste - ein Jahr lang 1.000 Euro im Monat, bedingungslos. Der Verein »Mein Grundeinkommen« entstand. Inzwischen haben über 250 Menschen das Grundeinkommen gewonnen und das Thema ist zur hoffnungsvollsten Idee unserer Zeit geworden, die Millionen Menschen inspiriert. Michael Bohmeyer und Claudia Cornelsen berichten, wie sich das Leben der Gewinner verändert hat. Zum Beispiel Christoph, der seinen Job im Callcenter kündigte, eine Erzieher-Ausbildung begann und nebenbei eine chronische Krankheit besiegte. Das Grundeinkommen ist mehr als Geld. Es entfesselt notwendige Kräfte und Fähigkeiten, um den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen gewachsen zu sein. Ein Bericht aus einem der spannendsten Sozial-Labore der Welt. Und ein Neuentwurf für eine Gesellschaft und Arbeitswelt im radikalen Umbruch.

Michael Bohmeyer,* 1984, ist Gründer des Vereins 'Mein Grundeinkommen'. Mit Ende 20 hatte er ein erfolgreiches IT-Unternehmen aufgebaut und lebt von den Erträgen, ohne dafür arbeiten zu müssen. Das veränderte sein Leben. Um herauszufinden, ob das allen Menschen so geht, verschenkte er das per Crowdfunding eingesammelte erste bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland. Inzwischen arbeiten 25 Mitarbeiter für den Verein, der jährlich 3 Millionen Euro über Spenden eintreibt.

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Leseprobe

I. EIN WELTWEIT EINZIGARTIGES EXPERIMENT


Start zu einer ungewöhnlichen Safari


Mit dem Thema Bedingungsloses Grundeinkommen kennen wir uns aus, dachten wir. Wir haben so ziemlich alles gelesen und gehört, was in diesem Zusammenhang geschrieben und gesagt wurde. Wir reisen zu Grundeinkommens-Kongressen in aller Welt und verfolgen Pilotprojekte rund um den Globus. Wir sprechen seit Jahren über unterschiedliche Ideen und Spielarten des Grundeinkommens, können negative Einkommenssteuer und Konsumsteuer erklären und diskutieren beherzt über Finanzierungsmöglichkeiten, Arbeitsmarkteffekte und Sozialstaatstheorien.

Wir dachten, wir wüssten alles – jetzt ist uns klar: Wir hatten keine Ahnung!

Wir sind zehn Tage durch Deutschland gereist und haben Interviews mit Menschen geführt, die versuchsweise für ein Jahr ein Bedingungsloses Grundeinkommen beziehen. In den Gesprächen haben wir Dinge erfahren und Sätze gehört, von denen wir niemals zuvor gedacht hätten, dass wir sie hören würden, geschweige denn, dass sie irgendetwas mit Grundeinkommen zu tun haben könnten.

Die Interviews haben alle Argumente, die üblicherweise gegen das Bedingungslose Grundeinkommen vorgetragen werden, widerlegt: das Hängematten-Argument, das Müllmann-Argument, das Inflations-Argument. Obwohl: »widerlegt« ist das falsche Wort. Präziser müsste es heißen: In den Gesprächen wurde deutlich, dass die üblichen kritischen Fragen irrelevant sind:

Wer geht denn dann noch arbeiten? Legen sich dann nicht alle Menschen in die Hängematte?

Wer macht dann die Arbeiten, zu denen keiner Lust hat? Wer kümmert sich zum Beispiel um die Müllabfuhr?

Wird nicht alles teurer, weil Menschen mit Grundeinkommen mehr Geld ausgeben?

Die Erfahrungen und Erlebnisse, die wir von den Grundeinkommens-Pionieren erzählt bekamen, waren so anders, so vielfältig und facettenreich, dass klar ist: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen wirft in der Praxis ganz andere Fragen auf, als man sich in der Theorie ausdenken kann.

Zugegeben, wir hatten unsere Recherche zu diesem Buch mit einer starken Hypothese begonnen. Im Exposé für die Verlage hatten wir mit donnernden Worten über die gesellschaftlichen Dimensionen des Grundeinkommens fabuliert. Stichworte: Grundeinkommen und Digitalisierung; Grundeinkommen als Gegenmittel zur gesellschaftlichen Spaltung; Grundeinkommen als Stoppschild gegen den Rechtsruck; Grundeinkommen als wirkungsvolle Bremse gegen den Klimawandel.

Und natürlich hatten wir gehofft, dass das Bedingungslose Grundeinkommen unsere Gesellschaft zum Positiven verändert. Aber insgeheim fragen wir uns: Kann das wirklich wahr sein?

Die ersten tausend Euro –
Bedingung: bedingungslos!


Seit seinem 16. Lebensjahr gründete Micha Internetfirmen. Mit 29 brauchte er Veränderung, kündigte und hatte ab Januar 2014 zum ersten Mal in seinem Leben nichts zu tun. Finanziert wurde sein Lebensunterhalt von den Gewinnen der letzten Firma. Die waren nicht üppig, aber reichten zum Leben. Vor allem aber waren sie an keine Gegenleistung gekoppelt – ein Bedingungsloses Grundeinkommen! Micha stellte fest: Es ist gar nicht so leicht, »nichts« zu tun. Verblüfft bemerkte er, wie sich durch das leistungslose Geld sein ganzes Leben veränderte.

Es war Januar und dunkel. Er mietete sich einen Büroplatz, obwohl er eigentlich nichts zu tun hatte. Er »brauchte« einen Arbeitsplatz. In seinem Lebenslauf waren keine Lücken, er kannte keine Rast. Aber es gab nichts zu tun für ihn. Er hat seine Wohnung schön gemacht, die Wände gestrichen, ein neues Bett gebaut, aufgeräumt und alte Dinge weggeschmissen. Aber das half nur kurz: Irgendwann war die To-do-Liste leer.

Okay, sagte er sich, du musst jetzt lernen, nichts zu tun. Er ging in den Park, setzte sich ans Ufer und versuchte, nichts zu machen. Es war schrecklich. Er war unausgeglichen. Er war unzufrieden mit sich selbst.

Andererseits waren seine Bauchkrämpfe plötzlich weg. Solange er denken konnte, hatte er diese Krämpfe gehabt. Sie hatten zu ihm gehört wie die Nase im Gesicht. Jetzt setzte eine ungewohnte Entspannung ein, und die Schmerzen waren weg. Und die Beziehung zu seiner kleinen Tochter veränderte sich plötzlich: Vorher hatte es oft Knatsch gegeben, vielleicht weil er ungeduldiger gewesen war, dünnhäutiger, sich keine Zeit gelassen hatte, um herauszufinden, was die Zweijährige brauchte, wenn sie weinte oder klagte.

Statt einer neuen To-do-Liste schrieb er sich eine Liste, was er im Leben wirklich will. Er entdeckte ein völlig neues Lebensgefühl, hatte plötzlich Lust auf Lernen. In der Schule und während des Studiums hatte er nie Lust gehabt zu lesen. Jetzt eroberte er unerwartet die Welt der Bücher und des Wissens, wollte Gesellschaft und Politik besser verstehen. War das etwa der Effekt eines Grundeinkommens?

Micha staunte. Aber er wollte nicht einfach von sich auf andere schließen. Er musste es ausprobieren: Wie würde es anderen in so einer Situation gehen? Er begann zu recherchieren und schrieb Mails an die Initiatoren eines Potsdamer Grundeinkommens-Experiments, ans Netzwerk Grundeinkommen und an die Schweizer Initiative Grundeinkommen, sinngemäß:

»Ich möchte das Grundeinkommen ausprobieren. Ihr habt soundsoviele Mitglieder. Stellt euch vor, sie würden monatlich Geld in einen Topf legen, und dann würde man eine Person auslosen, die monatlich tausend Euro als Grundeinkommen erhält.«

Er bekam von keinem eine Antwort. Das war einerseits frustrierend. Andererseits hatte er ja auch außer einer simplen Verlosungsidee nichts zu bieten.

Anfangs hatte Micha nur einen einzigen Unterstützer, seinen alten Freund Thomas Gottschalk, Solarenergie-Unternehmer und Namensvetter des berühmten Fernsehmoderators, der lustigerweise später in seiner Talksendung im Mai 2017 Grundeinkommen verloste. Aber die Freunde hatten unterschiedliche Vorstellungen: Micha betrachtete seine Idee wie ein normales Start-up-Business. Menschen, so war er überzeugt, würden nur dann Geld geben, wenn sie selbst gewinnen könnten. Warum sollten sie sonst mitmachen? Thomas hingegen forderte ihn auf, jede Einschränkung aufzuheben. »Bedingungslos heißt bedingungslos. Lass alle Menschen an den Verlosungen teilnehmen, auch wenn sie selbst kein Geld spenden. Wenn du das machst, dann spendiere ich dir die ersten tausend Euro für den Lostopf!«

Im April 2014 durfte Micha auf dem Sozialforum der Piraten-Partei in Essen seine Idee vorstellen und wurde von Kritikern auseinandergenommen: So eine simple Lotterie verwässere die wunderbare Utopie einer gerechteren Grundeinkommens-Gesellschaft. Nur eine einzige Person fragte pragmatisch und unideologisch nach und verstand sofort, dass diese Idee umgesetzt werden muss: Johannes Ponader. Zufällig trafen sich die beiden auf der Heimfahrt im Zug wieder, gemeinsam entwickelten sie Kampagnenideen, und die nächsten zwei Jahre wurde Johannes zu einer Art Geburtshelfer des Vereins Mein Grundeinkommen.

Für Micha wurde es ein mehrmonatiger Reifungsprozess. Im Nachhinein sagt er: »Ich brauchte erst selbst ein halbes Jahr Bedingungsloses Grundeinkommen, um es anderen gönnen zu können.«

Ende Juni begann eine Kampagne auf der Crowdfunding-Plattform Startnext. Sobald 12 000 Euro gesammelt wären, sollte das Geld als Grundeinkommen verlost werden. Für die Abwicklung der monatlichen Zahlungen hatte Micha einen kleinen »nicht eingetragenen« Verein gegründet. Alles ganz simpel, um schnell loslegen zu können.

Die ersten tausend Euro kamen wie versprochen von Thomas. Micha hatte sich auf die Bedingungslosigkeit eingelassen, ohne wirklich zu glauben, dass die Leute dennoch spenden würden. »Eher friert die Hölle zu, als dass jemand bedingungslos Geld für andere gibt«, kommentierte jemand auf der Crowdfunding-Seite, »aber ich spende trotzdem.« Das etwa war auch Michas Befürchtung. Aber einen Versuch war es wert!

Er schrieb alle seine Freunde an: Macht mit! Über ein paar Ecken erfuhr eine Journalistin davon; sie schrieb einen Blogbeitrag über die Kampagne auf The European. Die Nachricht breitete sich aus wie ein Lauffeuer. Wenige Tage später erschien ein kleiner Artikel in der taz; auch der stand im Netz und ging »viral«.

Wider Erwarten war schon nach drei Wochen das erste Grundeinkommen finanziert. Und es ging weiter. Ende Juli war absehbar, dass mehr als zwei, vielleicht sogar mehr als drei Grundeinkommen zusammenkommen würden. Da rief das Frühstücksfernsehen an.

»Die holten mich morgens um sechs Uhr mit dem Taxi ab, und ich sollte live im Fernsehen von der Idee erzählen, die ich selbst noch gar nicht so klar hatte«, erinnert sich Micha. »Das war der mediale Wendepunkt. Seitdem reist die Idee mit mir, und ich bin Passagier. Sie ist größer als ich!«

Es folgten Interviews mit dem Deutschlandfunk und der Süddeutschen Zeitung. Es gab ständig neue Anmeldungen und unzählige E-Mails von Leuten, die Fragen aller Art hatten. Michas leere To-do-Liste füllte sich mit rasender Geschwindigkeit. Die Kampagne lief bis Mitte September. Bis dahin musste alles organisiert sein.

Die Hälfte seiner Zeit kümmerte sich Micha um...

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