Um Ziel und Reichweite der Studie im Verhältnis zur aktuellen Vorurteilsforschung zu verdeutlichen, sollen hier die spezifischen Unterschiede zwischen unserer Arbeit und der der anderen herausgearbeitet werden. Zum Teil ergeben diese Unterschiede sich aus äußerlichen und mehr oder weniger zufälligen Faktoren, etwa der Konstellation, aus der die Studie sich entwickelte, der Tatsache, daß die leitenden Mitarbeiter besonders an der sozialpsychologischen Dimension des Projekts interessiert waren,[1] und anderen mehr. Allerdings haben wir diese Umstände nicht naiv hingenommen. Zwar mußten wir uns mit den verfügbaren Ressourcen arrangieren, doch wollten wir bei der Festlegung unserer Aufgabenstellung die produktivste Auswertung des Materials gewährleisten, indem wir uns auf die Probleme konzentrierten, die wir für entscheidend hielten, die aber in der uns bekannten Literatur kaum diskutiert wurden. Diese Absicht führte nicht nur zu einer auf Arbeitsteilung angelegten Planung, sondern auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen.
Besonders eine Studie weist sowohl im allgemeinen Ansatz als auch in den Methoden große Affinität zu unserem Projekt auf: Eugene Hartleys Problems in Prejudice.[2] Sein Vorhaben war uns nicht bekannt, und als wir seinen Forschungsbericht erhielten, war die abschließende Niederschrift unserer Ergebnisse bereits weit fortgeschritten. Die Übereinstimmung zwischen Hartleys und unseren Befunden zum vorurteilsgeleiteten Charakter betrachten wir als substantielle Bestätigung der zugrundeliegenden Konzepte. Doch 24sind die Studien in Anlage, Methoden und theoretischen Grundlagen zu verschieden, als daß das Problem einer Duplizierung sich stellen würde.[3]
(1) Konzentration aufs Subjektive[4]
Unsere Untersuchung von Vorurteilen widmet sich subjektiven Aspekten. Es geht nicht um objektive gesellschaftliche Kräfte, etwa wirtschaftliche und historische Determinanten, die Fanatismus[5] produzieren und reproduzieren. Selbst kurzfristig wirksame Faktoren wie Propaganda werden nicht per se berücksichtigt, obwohl wichtige Hypothesen auf Propagandaanalysen des Instituts für Sozialforschung[6] 25beruhen.[7] All jene Stimuli, die Vorurteile verstärken, ja das gesamte kulturelle Klima, das von Minderheitenstereotypen durchdrungen ist, werden als gegeben vorausgesetzt. Ihrer Wirkung auf unsere Versuchspersonen wird nicht nachgegangen. Wir verbleiben gewissermaßen im Bereich der Reaktionen, nicht der Reize.
Wir sind überzeugt, daß Vorurteile letztlich durch gesellschaftliche Faktoren erzeugt werden, die unvergleichlich viel schwerer wiegen als die »Psyche« irgendeines involvierten Individuums. Die Ergebnisse der Studie bestätigen diese Annahme insofern, als sie belegen, daß die Anpassung an die Werte, die durch den »objektiven Geist« der amerikanischen Gesellschaft heutzutage implizit gefördert werden, eine der Haupteigenschaften unserer Versuchspersonen mit hohen Punktwerten[8] ist. Der Risiken, die sich aus 26einer Studie der subjektiven Momente ergeben, sind wir uns also vollauf bewußt. Daß wir uns auf eine detaillierte Untersuchung subjektiver Muster konzentriert haben, heißt nicht, wir meinten, Vorurteile könnten auf diese Weise erklärt werden. Ganz im Gegenteil, wir halten die Analyse der objektiven gesellschaftlichen Kräfte, die Vorurteile erzeugen, für die dringendste Aufgabe der heutigen Forschung, die sich mit der Voreingenommenheit gegenüber Minderheiten befaßt. Daß diese Aufgabe von amerikanischen Wissenschaftlern weitgehend vernachlässig wird, liegt an ihrem »demokratischen Vorurteil«, dem zufolge man gesellschaftlich valide Befunde nur dann erzielen kann, wenn man eine riesige Anzahl von Menschen befragt, von deren Meinungen und Einstellungen die Zukunft abhänge – gerade so, wie der Erfolg einer auf dem Markt angebotenen Ware angeblich von der Mentalität des Käufers abhänge. Ein nicht unwesentliches Ergebnis unserer Studie besteht in methodologischer Hinsicht in dem Verdacht, daß diese Annahme so nicht mehr zutrifft. Unsere Versuchspersonen mit hohen Punktzahlen auf den Skalen scheinen nicht wie autonome Instanzen zu agieren, deren Entscheidungen für ihr eigenes Schicksal und das der Gesellschaft von Gewicht sind, sondern eher wie submissive Reaktionszentren, die dem konventionellen Verständnis dessen zu entsprechen suchen, »was sich gehört«, die die vermeintliche »Welle der Zukunft« reiten. Diese Beobachtung scheint mit der ökonomischen Tendenz zum allmählichen Verschwinden des freien Markts und der Angleichung des Menschen an die allmählich entstehende neue Ordnung sich zu decken. Untersuchungen, die sich auf die konventionellen Methoden der Meinungsforschung verlassen, könnten leicht an den Punkt geraten, an dem die orthodoxe Vorstellung von dem, was Menschen fühlen, wollen und tun, sich als obsolet erweist.
Ökonomische Fragen werden in unserer Studie, wenn überhaupt, nur auf der ideologischen Ebene berücksichtigt. Wir registrieren die expliziten Ansichten unserer Versuchspersonen zu konkreten wirtschaftlichen Fragen, darunter so entscheidenden wie der freien Marktwirtschaft, der staatlichen Kontrolle und der Arbei27terbewegung, und interpretieren sie auch zum Teil. Doch erlauben die auf Grundlage dieses Materials gezogenen Folgerungen keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die wirklich wirksamen wirtschaftlichen Kräfte, die Vorurteile heutzutage befördern. Sie betreffen eher die Denkmuster als die tatsächliche Wirkung, die die großen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und Trends auf die Dynamik der Vorurteile und ihrer politischen Ausdrucksformen haben mögen.
Unsere Haltung zum ökonomischen Determinismus haben wir im ersten Abschnitt dargelegt; dazu folgen weiter unten einige zusätzliche Bemerkungen. Hier soll es zunächst in knappen Worten um den Mangel an historischer Perspektive gehen, den man unsrer Studie vorwerfen könnte. Er ergibt sich nicht nur aus der spezifischen Situation in Amerika, die im Gegensatz zu Europa nicht von einer uralten Tradition des Antisemitismus belastet wird. Noch andere, weniger oberflächliche Überlegungen sind im Spiel. Die zeitgenössische antisemitische Literatur kommt zwar selten ohne die Vorstellung vom »ewigen Juden« aus, doch muß bezweifelt werden, daß der moderne Antisemitismus im engeren Sinne des Wortes ein »historisches« Phänomen, daß er also aus einer spezifischen antisemitischen Tradition hervorgegangen ist. Seine historischen Wurzeln liegen vielmehr im allgemeinen Trend zur stetig wachsenden »Integration« des Individuums in die gesellschaftliche Totalität und, damit zusammenhängend, darin, daß die Zivilisation ihren vermeintlichen Nutznießern immer mehr Opfer abverlangt. Zwischen den älteren Formen des Antisemitismus und seiner gegenwärtigen totalitären Ausprägung herrscht keine ungebrochene historische Kontinuität.[9] Das Unechte am Antisemitismus, auf das 28wiederholt hingewiesen worden ist (siehe Sartre[10]), die vielen Hinweise, daß sogar unsere Versuchspersonen mit hohen Punktwerten nur selten selbst ganz und gar an ihn glauben, legen die Annahme nahe, daß der moderne Antisemitismus in erheblichem Maße sich auf eine künstliche Pseudotradition stützt, die von seinen führenden Vertretern willkürlich geweckt werden kann und der ihr Fußvolk blindlings folgt. So irrational er auch sein mochte, so deckte der Antisemitismus der Vergangenheit sich doch zumindest mit bestimmten, wenn auch abwegigen gesellschaftlichen Grundvorstellungen, allen voran dem christlichen Glauben an den Teufel. Diese historische Grundlage ist in der Neuzeit durch die Aufklärung völlig aufgelöst worden. Soweit es die konkrete historische Motivation betrifft, belegt Joshua Trachtenbergs außergewöhnlich wertvolle...