Kapitel 8
Ein bisschen weniger ist nicht genug
Warum ist es wichtig, sich tatsächlich konsequent mit extrem wenigen Kohlenhydraten und viel Fett zu ernähren? Warum ist es wichtig, dass der Körper sich auf Ketone als Energielieferanten umstellt?
Tatsächlich ist jede Reduktion von Zucker & Co. sinnvoll, genauso wie ein deutliches Mehr an guten Fetten, selbst wenn der Körper nicht »in Ketose« kommt. Als gesunde Vorsorgediät wird eine solche Ernährungsweise auch bereits von vielen Menschen angewandt. Bekannt ist sie zum Beispiel als LOGI-Diät. Für Krebspatienten aber ist eine solche nur einigermaßen kohlenhydratreduzierte Diät zwar besser als gar nichts. Aber sie reicht nicht aus. Wer als Krebspatient das Bestmögliche aus einer Ernährungsumstellung machen will, muss die Fettmenge so erhöhen und die Kohlenhydrate so reduzieren, dass sein Körper auf jene Ketone als Energielieferanten umstellt. Denn neben Blutzucker und Insulin spielen diese kleinen Moleküle eine Hauptrolle.
Krebszellen mögen keine Ketone
Ketogene Ernährung bedeutet: Es kommen so wenig Zucker und Kohlenhydrate, aber so viel Fett von außen in den Körper, dass dieser beginnt, seine Zellen mit Ketonen zu versorgen. Er stellt sie aus Fett selber her, und das vor allem in der Leber. Trotzdem bleibt weiter Zucker im Blut. Er stammt aus den paar Kohlenhydraten, die noch immer in der Nahrung sind und aus der Eigenproduktion des Körpers. Er versorgt zuverlässig jene wenigen Zellsorten, die nicht ohne Zucker können. Das sind zum Beispiel rote Blutkörperchen. Auch Fett- und Aminosäuren sind weiterhin ausreichend im Blut, sie werden beispielsweise vom Muskelgewebe und der Leber benötigt. Der entscheidende Unterschied zum Zustand während einer kohlenhydratreichen Ernährung ist also, dass im Blut als Nährstoffe nun neben Fetten und Eiweißen auch reichlich die zuvor kaum vertretenen Ketone sind, dafür weniger, aber noch immer ausreichend Zucker. Und Experimente ergaben, dass normale Zellen mit einer solchen Mischung aus Ketonen und Zucker hervorragend zurechtkamen, Krebszellen dagegen weniger. Das ist im Labor nachgewiesen für verschiedene Krebsarten – zum Beispiel bestimmte Hirntumoren, unterschiedliche Brust- und Darmkrebstypen, Leukämiezellen, Nierenkrebszellen und noch ein paar mehr.
Abbildung 3: Bei fettreich und kohlenhydratarm gefütterten Ratten und Mäusen wachsen Tumoren langsamer als bei Tieren, die das übliche, kohlenhydratreiche Laborfutter zu fressen bekommen. Daten aus (A) van Alstyne & Beebe (1913) J. Med. Res. 29:217 und aus (B) Otto et al. (2008) BMC Cancer 8:122.
Krebszellen können mit Ketonen höchstwahrscheinlich schlicht nichts anfangen, und wenn sie sie aufnehmen, kann das ihre Bösartigkeit wahrscheinlich sogar bremsen. Jedenfalls werden selbst Krebszellen, die eigentlich genug Zucker zur Verfügung haben, in zahlreichen Experimenten deutlich gehemmt, wenn Ketone vorhanden sind. Wie diese Hemmung im Detail zustande kommt, ist nicht ganz klar. Der Mediziner Eugene Fine vom New Yorker Albert-Einstein-College vermutet, dass Krebszellen auch deshalb keine Ketone mögen, weil die Ketone zusätzlich ihre Zuckergärung behindern.
Ähnliche Forschungsergebnisse wie sie die Experimente mit Krebszellen zeigten, gibt es auch mit Versuchstieren. Bei Mäusen mit Tumoren etwa, die mit Wasser und Pflanzenöl ernährt werden, bilden sich deutlich weniger Metastasen als bei Tieren desselben Mäusestammes, die Wasser und Zucker gefüttert bekommen. Ulrike Kämmerer, eine der Autorinnen dieses Buches, untersuchte mit Kollegen an der Universitätsklinik Würzburg Mäuse mit von menschlichem Magenkrebs stammenden, sehr aggressiven Tumoren. Bei ketogen ernährten Tieren wuchsen die Geschwülste deutlich langsamer, der Stoffwechsel der Tumoren war gebremst (Abbildung 3, Seite 49). Sie schütteten auch weniger Milchsäure in ihre Umgebung aus – auch ein positiver Effekt, denn je mehr Milchsäure, desto besser können sich Tumoren ausbreiten. All das sind Gründe, sich tatsächlich derart streng kohlenhydratarm und fettreich zu ernähren, dass der Körper auf Ketone umstellt. Es gibt noch einen weiteren: In den Experimenten, in denen eine Diätumstellung deutlich etwas gegen den Krebs bewirkte, waren durchweg Ketone im Blut zu finden. Und je stärker der Körper auf Ketone als Energielieferanten umstellt, desto besser scheint der Effekt zu sein. Die Ketone scheinen also als eine Art körpereigenes Medikament gegen Krebs zu wirken. Mehr dazu in Kapitel 12.
Selbst »austherapierte« Patienten profitieren
Studien mit Menschen gibt es bislang nur wenige. Warum das leider so ist, haben wir im Folgenden kurz zusammengefasst.
Klinische Studien – warum so wenige?
Viele Mediziner sind der ketogenen Ernährung bei Krebs gegenüber noch immer kritisch eingestellt. Sie begründen das damit, dass es nicht genügend aussagekräftige Untersuchungen an Patienten – sogenannte Klinische Studien – gebe. Tatsächlich wäre es sehr, sehr sinnvoll, die ketogene Ernährung viel mehr und detaillierter an Patienten zu erproben. Es gibt ein paar sehr, sehr bedauerliche Gründe, warum das, wenn überhaupt, nur in Minischritten passiert:
- Klinische Studien sind extrem teuer. Ketogene Ernährung ist aber, anders als ein Medikament, nicht patentierbar. Die beinahe einzigen, die im Medizinbereich genügend Geld für klinische Studien haben – die großen Pharmaunternehmen – haben deshalb kein Interesse an solchen Studien. Denn sie können mit deren Ergebnissen schlicht kein Geld verdienen.
- Mit einer bestimmten Ernährungsweise klinische Studien durchzuführen, die dann auch hieb- und stichfeste (das heißt, gegen Kritik gut abgesicherte) Ergebnisse bringen, ist schwierig, langwierig und, ja: sehr teuer. Normalerweise wird in klinischen Studien, wenn sie eine hohe Aussagekraft haben sollen, ein Wirkstoff gegen ein wirkungsloses Scheinmedikament (Placebo) getestet. Es ist aber logisch, dass es bei einer Ernährungsstudie eigentlich gar kein Placebo geben kann, denn irgendwie wirkt ja jede Form von Ernährung. Zudem müssen solche Studien normalerweise »doppelblind« sein, das heißt: Weder der Studienleiter noch seine Patienten dürfen wissen, wer gerade den Wirkstoff und wer das Placebo bekommt. Auch das ist bei einer Ernährungsstudie kaum zu machen, denn man merkt ja zum Beispiel, ob man Nahrungsmittel mit viel Fett vorgesetzt bekommt oder nicht.
- Bislang sind klinische Studien, etwa zur ketogenen Ernährung, von den Kontrollgremien oft nur dann zugelassen worden, wenn alle anderen Therapiemöglichkeiten schon ausgeschöpft waren. Das bedeutet natürlich, dass Patienten dann bereits sehr, sehr krank und zudem vielleicht auch durch vorherige Therapien zusätzlich geschwächt sind. Von den ursprünglich 16 Patienten, die in Würzburg an der ersten klinischen Studie überhaupt zur ketogenen Ernährung bei Krebs teilnahmen, verstarben zwei gleich zu Anfang des Studienzeitraumes. Andere brachen die Studie ab, unter anderem deshalb, weil sie zu krank waren und ihnen die damit verbundene Umstellung in ihrem Zustand zu viel Mühe bereitete.
Mehr klinische Studien zu fordern ist aber richtig und wichtig. Man kann nur hoffen, dass sich für ihre Finanzierung entweder staatliche Geldgeber oder Multimillionäre finden. Jedoch zu sagen: »Es gibt zu wenige klinische Studien, und deshalb kann man eine ketogene Ernährung nicht empfehlen«, ist falsch. Denn einerseits gibt es schon gar keine klinischen Studien, die einen Vorteil einer kohlenhydratreichen Kost beweisen würden, im Gegenteil.
Und zweitens gibt es mehr als genügend andere Hinweise, dass bei Krebs eine ketogene Ernährung sinnvoll und nicht schädlich ist.
Und die Daten und Erfahrungen, die es von Krebspatienten inzwischen gibt, sind deutlich: Schafft man es, tatsächlich »in Ketose« zu kommen, also den Zustand, in dem der Körper hauptsächlich Ketone als Energielieferanten nutzt, dann zeigen sich oft deutliche Effekte. Wichtig ist natürlich auch die Frage, ob ketogene Diät überhaupt vertragen wird. Die weltweit allererste Studie dazu leiteten Ulrike Kämmerer und Melanie Schmidt in Würzburg. Sie war wie alle Pilotstudien relativ klein, insgesamt 16 Patienten nahmen an ihr teil. Die Studienleiterinnen durften – so legte es die Klinik fest – nur Patienten annehmen, die schon als »austherapiert« galten – denen Ärzte also nichts mehr anbieten konnten, weder Chemo noch OP noch Bestrahlung.
Die Ausgangslage war also schwierig genug. Trotzdem bewertete die Mehrheit der Teilnehmer die ketogene Kost als gut bis sehr gut. Und trotz der bei allen Patienten bereits stark fortgeschrittenen Erkrankung besserte sich bei etwa zwei Dritteln derer, die die Studie sechs bis zwölf Wochen durchhielten, ihr allgemeines Wohlbefinden, ihre...