Vorwort
von Melvin Morse
Vor fünfundzwanzig Jahren hat Raymond Moody mit seinem Buch Leben nach dem Tod unsere Vorstellungen vom Tod tief greifend verändert. Die Ergebnisse von Dr. Moodys Forschungen haben weltweit Furore gemacht und maßgeblich unsere Erwartungen hinsichtlich der Erfahrungen nach dem Tod geprägt – der dunkle Tunnel, das gleißende Licht, die Begegnung mit lange verstorbenen Menschen, die uns nahe standen und uns auf «der anderen Seite» erwarten. Man bedenke, dass diese Vorstellungen vor 25 Jahren im Allgemeinen nicht mit dem Sterbeerlebnis in Verbindung gebracht wurden. Dr. Moody inspirierte eine ganze Generation von Forschern dazu, den Bewusstseinszustand des Sterbenden mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, und er kann somit als Begründer der neuen Disziplin der «Nahtod-Forschung» gelten. Bruce Greyson, Professor für Psychiatrie an der Universität Virginia, behauptete, Moodys Forschungen hätten uns den Zugang zu «einer völlig neuen Erfahrungswelt» geöffnet. Dieser Wandel unserer kollektiven Weltanschauung war so grundlegend, dass wir uns kaum mehr an das kulturelle Denkmuster vor 1975 erinnern, als die Originalausgabe des Buches erstmals veröffentlicht wurde.
Vor der Publikation von Leben nach dem Tod gab es nicht einmal den Begriff Todesnähe-Erlebnis (bzw. Nahtoderfahrung). Die Mediziner nannten das Phänomen «Lazarus-Syndrom», womit sie dem Ganzen einen pathologischen Anstrich gaben. Den Patienten selbst fehlten für ihre Nahtoderfahrungen buchstäblich die Worte, und viele glaubten, sie wären geisteskrank oder litten wegen der Einnahme von Medikamenten oder aufgrund unzureichender Sauerstoffversorgung ihres Gehirns an Halluzinationen. Nachdem sich Dr. Moody die Zeit genommen hatte, jenen Menschen, die Herzanfälle überlebt hatten, einmal richtig zuzuhören, und dabei Kenntnisse über Nahtoderfahrungen sammelte, erlebte unsere Gesellschaft eine Art kollektives «Aha-Erlebnis» und erkannte, dass das Sterben eine zutiefst spirituelle Erfahrung ist. Obgleich nach einer Schätzung von George Gallup 5 Prozent der Bevölkerung schon einmal eine Nahtoderfahrung hatten, scheuten sich die Betreffenden, darüber zu reden, aus Angst, sich lächerlich zu machen. Allzu oft bezweifelten sie selbst die Authentizität ihrer Erfahrungen.
Leben nach dem Tod ist deshalb so enorm erfolgreich geworden, weil in dem Buch zwei Hauptprobleme der westlichen Zivilisation des 20. Jahrhunderts aufgegriffen werden: Erstens, der Verlust kollektiver gesellschaftlicher Mythen, die sich auf Tod und Sterben beziehen, und, zweitens, die systematische Entwertung von allem, was mit der spirituellen Seite des Menschen zu tun hat. Dr. Moodys Untersuchung erinnerte uns daran, dass wir in unserem Innersten spirituelle Wesen sind, und die Tatsache, dass uns ein liebevolles Licht umfängt, wenn wir sterben, beweist dies. Wenn wir sterben, wird unser Leben nicht anhand unseres materiellen Reichtums, unseres irdischen Status und Prestiges bewertet und gemessen, sondern anhand der Liebe, die wir während unseres Lebens anderen entgegengebracht haben. Zu einer Zeit, in der die Zahl der praktizierenden Gläubigen und die Teilnahme am traditionellen religiösen Leben einen historischen Tiefstand erreichten, brachte uns Leben nach dem Tod wieder zu Bewusstsein, wie wichtig die Spiritualität in unserem Alltagsleben ist.
Elisabeth Kübler-Ross, die Wegbereiterin der Todes- und Sterbeforschung, war wie berufen, um das Vorwort zur Erstauflage von Leben nach dem Tod zu schreiben. Der Mensch hatte über Zehntausende von Jahren hinweg den Tod als einen natürlichen Teil des Lebens betrachtet; doch dann, um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, vollzog sich plötzlich ein grundlegender Wandel in unserer Einstellung zum Tod. Der Tod wurde zu einem unnatürlichen, tabuisierten, medizinischen Phänomen, das dem Blick der Öffentlichkeit entzogen wurde. Im 19. Jahrhundert starben die meisten Menschen noch zu Hause, während die Menschen Mitte des 20. Jahrhunderts in aller Regel im Krankenhaus starben. Die durch den medizinischen Fortschritt möglich gewordenen aggressiven Eingriffe am Lebensende führten dazu, dass der Sterbende seiner Würde und seiner Souveränität über sein Leben beraubt wurde. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelangte sogar der Amerikanische Ärztebund zu dem Schluss, dass sterbende Patienten erniedrigenden und überflüssigen medizinischen Behandlungen unterzogen werden müssten, die dem Sterbevorgang gänzlich seine Würde nahmen.
Im Jahr 1965, als Elisabeth Kübler-Ross ihr Buch Interviews mit Sterbenden veröffentlichte, war der Tod etwas, worüber man besser nicht sprach. Sterbende Patienten wurden «aus Barmherzigkeit» angelogen. Sie wurden über ihre gesundheitliche Situation im Unklaren gelassen, da andere glaubten, die Wahrheit wäre für sie zu traumatisch und würde ihnen jegliche Hoffnung rauben. Dabei hatten Sozialwissenschaftler längst nachgewiesen, dass sterbende Patienten genau wissen, dass sie sterben werden. Das Belügen «aus Barmherzigkeit» diente lediglich dazu, die Ärzteschaft und die Gesellschaft vor der Konfrontation mit dem Tod zu schützen.
Dr. Kübler-Ross hat es als Erste gewagt, mit sterbenden Patienten über ihre Gefühle zu sprechen. Sie zog dadurch eine Menge Feindseligkeiten vonseiten der Ärzte und Pflegekräfte in ihrer Klinik in Chicago auf sich. So wurde sie beispielsweise von einer aufgebrachten Krankenschwester gefragt, ob es ihr Vergnügen bereite, den Patienten mitzuteilen, dass sie nur noch ein paar Wochen zu leben hätten. Dr. Kübler-Ross fand heraus, dass diese Patienten sowieso wussten, dass sie nur noch kurze Zeit zu leben hatten, und dass sie unter Einsamkeit und Isolation litten, die unsere gesellschaftlich geprägte Angst vor dem Tod ihnen auferlegte. Obgleich Dr. Kübler-Ross sich im weiteren Verlauf ihrer wissenschaftlichen Laufbahn ebenfalls mit der spirituellen Dimension der menschlichen Sterbeerfahrung beschäftigte, behandelte sie in ihrem ersten Buch lediglich die Stadien der emotionalen Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben. Dazu gehören Verleugnung, Isolation, Wut, das Feilschen um Lebenszeit, Depression und letztlich die Annahme der Situation. Doch die Gesellschaft hat selbst diese dem gesunden Menschenverstand entsprechenden Beobachtungen nur widerwillig zur Kenntnis genommen. Die bloße Feststellung, dass Sterbende Gefühle hatten, schien ein medizinisches Versorgungssystem, das auf Lebensrettung, nicht auf Sterbenserleichterung angelegt war, zu irritieren und zu verunsichern. Obgleich es Mitte der sechziger Jahre zu einer sexuellen und politischen Revolution in den USA kam, war der Tod weiterhin kein Thema, die Visionen und Erfahrungen von Sterbenden sowie die Spiritualität des Sterbens blieben ebenfalls tabuisiert.
Es dauerte ein weiteres Jahrzehnt, bis die Gesellschaft für die Auseinandersetzung mit dem Buch Leben nach dem Tod reif war. Dr. Kübler-Ross hatte uns mit dem «erschütternden» Gedanken konfrontiert, dass Sterbende den eigenen Tod in einer bestimmten, voraussagbaren Weise emotional verarbeiteten und den Tod oftmals annahmen. Zehn Jahre später erklärte Dr. Moody, weshalb dies so ist. Er wies nach, dass der Tod nicht einfach die Auslöschung des Lebens ist, sondern eine spirituell sehr bewegte Zeit, die Einsichten vermittelt, welche das Leben grundlegend verändern. Dieselben Einsichten gaben auch den Anstoß für einen gesellschaftlichen Wandel. Die gewaltige Resonanz auf Leben nach dem Tod lässt sich unter anderem an der großen Zahl der Bücher mit ähnlichen Titeln ablesen, die wenig später publiziert wurden. Dazu gehört auch das herausragende Buch Life Between Life von Soel Whitton. Leben nach dem Tod ist zu einem kulturellen Fanal geworden, denn es legte den Finger auf die Wunde der zeitgenössischen spirituellen Verarmung unserer Gesellschaft.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die gleiche Medizintechnik, die für den Patienten erheblichen Anteil an der Entwürdigung des Sterbeprozesses hatte, es uns ermöglichte, Menschen zu reanimieren, die anschließend über ihre Nahtoderfahrungen berichteten. Anfang der siebziger Jahre war die Medizintechnik so weit fortgeschritten, dass die Wiederbelebung nach einem Herzstillstand zu einem Routinevorgang geworden war. Obgleich es schon immer Berichte über ein Leben nach dem Tod gab, überlebten nur wenige Menschen vor der modernen Ära der Medizin den klinischen Tod. Dank der modernen Intensivmedizin und rasch umsetzbarer Notfallmaßnahmen entkommen heute viele Menschen noch einmal dem Tod. Dr. Moody hat als Erster erkannt, dass gerade diese Patienten dazu beitragen können, uns ein Verständnis von den letzten Minuten des Lebens zu vermitteln.
Dr. Moody selbst übte auf eine erste und mittlerweile eine zweite Generation von Wissenschaftlern einen ebenso starken Einfluss aus wie das Buch. Vor tausend Jahren hätten wir ein Buch wie Leben nach dem Tod nicht gebraucht, da alle Menschen mit den spirituellen Aspekten des Sterbens vertraut waren. Im Jahr 1975 genügte es nicht, zu dokumentieren, dass Sterbende Visionen von einem Leben «danach» hatten; man musste auch den Nachweis erbringen, dass diese Visionen real waren und nicht bloß Halluzinationen des sterbenden Gehirns. Fünfundzwanzig Jahre später sind sich praktisch alle Bewusstseinsforscher und Mediziner, die auf diesem Gebiet arbeiten, darüber einig, dass diese Erlebnisse real und ein natürlicher Teil des Sterbeprozesses...