Die Flucht nach Ägypten
Matthäus 2, 13-22
DER TEXT
(13) Als die Gelehrten wieder gegangen waren, erschien dem Josef der Engel des Herrn im Traum und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit dir, fliehe nach Ägypten und bleibe dort, bis ich es dir sage. Denn Herodes will nach dem Kind suchen lassen, um es umzubringen. (14) Da stand Josef auf, nahm das Kind und dessen Mutter mit sich bei Nacht und floh nach Ägypten. 15) Dort blieb er bis zum Tod des Herodes. So sollte sich das Wort des Herrn erfüllen, wie es der Prophet gesprochen hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.....
(19) Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien dem Josef in Ägypten der Engel des Herrn im Traum (20) und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit dir und zieh in das Land Israel; die dem Kind nach dem Leben trachteten, sind tot. (21) Da stand er auf und zog mit dem Kind und dessen Mutter in das Land Israel. (22) Als er aber hörte, dass Archelaus an Stelle seines Vaters Herodes in Judäa König war, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und auf eine Weisung im Traum zog er fort in das Gebiet von Galiläa (23) und nahm dort Wohnung in einer Stadt, die Nazaret hieß. So sollte in Erfüllung gehen, was durch die Propheten angesagt ist: Er wird Nazoräer heißen.
HINWEISE ZUM TEXT
Bereits in die Erzählung von der Huldigung durch die Gelehrten ist das Motiv der Verfolgung verflochten. Der König Herodes war als gebürtiger Edomiter wohl ständig auf der Hut vor Konkurrenten auf seinen Herrschaftsanspruch. Dies ist auch hier vorausgesetzt. Herodes erschrickt vor dem vermeintlichen Rivalen und nimmt den Kampf auf. Er beruft eine Art Krisenstab aus Sachverständigen ein, die ihm die nötige Information verschaffen. Erstaunlicherweise reagiert der König aber kaum darauf, sondern lässt die Situation zunächst offen, indem er die Gelehrten um Berichterstattung bittet.
Die Fortsetzung ist bekannt: Herodes wütet in Bethlehem und lässt alle männlichen Kinder unter 2 Jahren ermorden. Dies Verhalten passt durchaus ins Bild des Königs, dessen Grausamkeit sprichwörtlich war. Allerdings ist historisch der Kindermord in Bethlehem nicht belegt; die Erzählung ist doch wohl in erster Linie aus der Analogie zur Mosegeschichte entstanden. Josef entzieht sich mit dem Kind und der Mutter der Nachstellung durch die Flucht nach Ägypten. Den Anstoß dazu gibt, wie in 1,20 der „Engel des Herrn", der ihm im Traum erscheint und Weisung gibt. Im Ersten Testament wird ja immer wieder berichtet, dass Menschen Orientierung von Gott im Traum erfahren (Abraham: Gen 20; Jakob: Gen 28; Josef: Gen 37; Salomo: 1 Kön 3). Über den Aufenthalt wird nichts berichtet; Matthäus aber kommt es auch hier wieder auf die Kontinuität der Heilsgeschichte an, indem er Hos 11,1 zitiert (v 15); dort meint „Sohn" das Volk Israel, das Jahwe aus Ägypten befreite. Der Evangelist wendet das Zitat messianisch interpretierend auf Jesus an.
Die Heimkehr wird ebenso wie die Flucht durch die himmlische Weisung in Gang gesetzt. Auch da schwingt wohl noch einmal die Mose-Geschichte mit (Ex 4,19). Erst jetzt entscheidet sich Josef für Nazaret als neuen Wohnort; freilich will Matthäus auch hier durch das Erfüllungszitat zeigen, dass alles schon nach Gottes Plan entschieden ist. Allerdings ist nicht mehr zu klären, auf welche Stelle des Ersten Testaments Matthäus sich bezieht. Das hängt mit der schwierigen Deutung des Begriffs "Nazoräer" zusammen, die sich auch schon in der widersprüchlichen Überlieferung in verschiedenen Handschriften spiegelt: Einige denken an die Naziräer, Menschen, die sich gottgeweiht verstanden und asketisch lebten (z.B. in Bezug auf Simson: Ri 13,7); aber auch das hebräische nezer (Spross) könnte anklingen (Vgl. dann Jes 11,1). Jedenfalls ist klar, dass der Evangelist zeigen und bezeugen will: Jesus aus Nazareth ist der, in dem sich die Verheißung des Messias erfüllt.- Gleichzeitig bekennt Matthäus, dass Bedrohung und Verfolgung von Anfang an zur Geschichte des Christus gehören.
HINWEISE ZUM BILD
Bei diesem Bild handelt es sich um eine Byzantinische Miniatur aus dem 11. Jahrhundert. Wir sehen Maria mit dem Kind auf dem Schoß. Sie sitzt auf dem Esel auf einer verzierten Decke gleichsam wie auf einem Thron. Josef führt den Esel. Der Bedeutung des Paares angemessen folgt ihnen ein Begleiter wie ein Knappe. Alle drei sind prächtig gekleidet. Durch die Glorie sind sie gekennzeichnet als „heilige Personen“.
Sie gehen über eine blühende Wiese, anscheinend mühelos. Keinerlei Gepäck belastet sie. Die blaue bewegte Wellen- oder Wasserlinie im Untergrund weist vielleicht als einziges auf überstandene Schwierigkeiten oder Gefahren hin. Ihr Weg führt auf eine Burg zu. Vor dem offenen Tor zeigt sich ein Mensch, der sie wie ein Herrscherpaar empfängt, vor ihnen kniet und ihnen huldigt. Josef reagiert mit einer wohlwollenden Gebärde.
Man könnte dem Bild den Titel „Willkommen in Ägypten“ geben, jedoch als Darstellung der „Flucht nach Ägypten“, wie sie aus dem Matthäusevangelium vertraut ist, erscheint sie sehr fremd. Wir finden nichts von der Not und Verzweiflung der Eltern, die mit knapper Not einem Massaker entkommen sind und nach dem Weg durch eine mörderische Wüste irgendwo in der Fremde Zuflucht suchen müssen. Wir finden nichts von dem leidenden Christus, den wir heute in dieser Geschichte suchen. - Schauen wir jedoch andere mittelalterliche Flucht-Bilder an, so finden wir ähnliche Darstellungen. Jesus macht auf ihnen fast den Eindruck eines Herrschers, der in ein besiegtes Land einzieht. Wir finden ihn –wie hier - thronend auf dem Schoß der Mutter mit Zepter und Krone.
Das ist wohl aus dem Welt- und Christusbild der damaligen Menschen zu verstehen. Auch sie haben Leid und Verfolgung erlebt, sie konnten somit die Situation der Flucht nachempfinden. Aber Rettung bedeutete für sie damals: Ein starker Herrscher bietet Schutz und Zuflucht; nur er kann ihnen einige Sicherheit und Geborgenheit bieten. Man kann es sehr deutlich daran erkennen, dass die Burgen, ja, auch die Kirchen damals als Schutz- und Zufluchtsorte gebaut wurden. Noch heute findet man die sogenannten Wehrkirchen. Der Christus auf der Flucht und dennoch als Herrscher, das war die tröstende Aussage dieser Bilder. Und der weltliche Herrscher war nach damaliger Auffassung der Stellvertreter Christi auf Erden.
HINWEISE ZUM BILD
Philipp Otto Runge lebte von 1777-1810. Er war neben Caspar David Friedrich der bedeutendste Maler der Frühromantik. Das Bild „Die Ruhe auf der Flucht“, eines von nur zwei großen religiösen Bildern des Malers, entstand 1805.
Eine bedeutende Rolle in dem Bild spielt das Licht. Man ahnt den frühen Morgen, das erste Sonnenlicht erhellt den Horizont. Runge schreibt selbst zur Darstellung des Bildes an Goethe: „Maria und Joseph haben mit dem Kinde am Abhang eines Berges die Nacht ausgeruht, der erste Sonnenstrahl fällt über die Gruppe und das Kind langt mit der Hand hinein. Im Tal liegt noch der Schatten, und auf den obersten Spitzen spielt das Licht nur…“ An anderer Stelle spricht er von dem Kind, das „aus dem Schatten heraus in dem ersten Sonnenstrahl spielt.“ Aber auch Marias Gesicht ist ganz in Licht gebadet.
Josef und der Esel befinden sich dagegen im Schatten. Josef ist anscheinend damit beschäftigt, das Feuer, das in der Nacht gebrannt hat, zu löschen. Über der Szene breitet ein blühender Tulpenbaum seine Äste aus. Engel mit Leier und Lilie sitzen in seinen Zweigen.
Die Einzelheiten des Bildes sind sehr intensiv ausgestaltet. Die Kleidung von Maria und Josef wirkt kostbar, der Faltenwurf ihres Kleides sorgfältig gestylt. Ebenso sind die Blüten am Baum, die Gräser und der große Farn hinter Marias Rücken lieblich ausgemalt.
Der Gesamteindruck des Bildes ist vom großer Ruhe und Gelassenheit geprägt. Es strahlt Wärme und Heiterkeit aus, fast lässt es an ein fröhliches Picknick denken und nicht an die Rast auf einer Flucht.
Dieses Bild ist vergleichbar mit vielen Weihnachtsbildern, die die „Heilige Nacht“ in eine Idylle verwandeln, in der nichts bleibt von der Armut des Stalles und der Not der Betroffenen. Stattdessen erfüllen musizierende Engel den Raum. Auch in der Literatur lassen sich vielleicht Parallelen finden in der Vielzahl der Legenden, die sich um die Weihnachtsüberlieferung ranken, z. B. in den Christuslegenden von Selma Lagerlöf. Was geschieht mit der Erzählung von der Flucht nach Ägypten in solchen Darstellungen?
Das Geschehen, das von Härte und Grausamkeit bestimmt ist und überall und immer wieder in unserer Welt Parallelen findet, wird von der Wirklichkeit abgerückt, und es wird eine idyllische Welt aufgebaut. Matthäus wollte zeigen, dass Jesus von Anfang an angefeindet und verfolgt wurde, und dass er mit allen Menschen in Not solidarisch ist. Dem Maler aber kam es wohl vor allem auf die Bewahrung an
Philipp Otto Runge, Ruhe auf der Flucht, 1805
Ö/Lw., 96,5x129,5 cm
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Bernhard Kretzschmar lebte von 1889 bis 1972. In der Zeit des Nationalsozialismus...