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Selektiver Mutismus

Informationen für Betroffene, Angehörige, Erzieher, Lehrer und Therapeuten

AutorSigrun Schmidt-Traub
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl134 Seiten
ISBN9783840929274
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit selektivem Mutismus haben eine psychisch bedingte Sprech- und Kommunikationsstörung. In bestimmten Situationen, in Gegenwart von bestimmten Menschen oder bei bestimmten Themen werden Betroffene unruhig, ängstlich erregt und verstummen. Dagegen sprechen sie in ihnen vertrauten Situationen und bei Anwesenheit vertrauter Personen spontan und ausgelassen. Betroffen sind insbesondere Kinder im Vor- und Grundschulalter, aber auch Jugendliche und Erwachsene. Der Band beschreibt zunächst das Erscheinungsbild des selektiven Mutismus und grenzt Mutismus gegenüber anderen psychischen Störungen ab. Anschließend werden verschiedene Faktoren aufgelistet, die zur Verursachung, zur Auslösung und Aufrechterhaltung der Störung beitragen können. In weiteren Kapiteln werden Möglichkeiten der Behandlung - insbesondere wissenschaftlich überprüfte Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie - dargestellt. Wie Eltern, Erzieher, Lehrkräfte und Therapeuten Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung ihrer Sprechangst unterstützen können, wird anhand von Beispielen aufgezeigt. Jugendliche und Erwachsene erhalten Tipps zur Selbsthilfe. Zahlreiche Materialien im Anhang des Bandes dienen der Informationsvermittlung, Selbsthilfe sowie der Unterstützung bei der Behandlung der Störung.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis und Vorwort
  2. 1Erscheinungsbild des selektiven Mutismus
  3. 2 Faktoren, die zur Entstehung der sozialen Ängstlichkeit und des selektiven Mutismus beitragen
  4. 3Therapeutische Behandlung und Selbsthilfe
  5. 4 Besonderheiten der Selbsthilfe bei selektiv mutistischen Jugendlichen und Erwachsenen
  6. Anhang
Leseprobe
2 Faktoren, die zur Entstehung der sozialen Ängstlichkeit und des selektiven Mutismus beitragen

Ein ganzes Bündel von Einflussgrößen führt zur Entstehung einer sozialen Angststörung mit Sprechhemmung: Eine angeborene Disposition zu Angst, Lernen an sozialen Modellen, erzieherische Einflüsse, kognitiver Stil (wie über Informationen und Erfahrungen gedacht wird und wie sie verarbeitet und genutzt werden), äußere Lebensbedingungen und spezielle Belastungen. Für einen besseren Überblick über die Entstehung, den Entwicklungsverlauf und die wichtigsten Einflussgrößen, die dabei zum Tragen kommen, wird zwischen verursachenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen des selektiven Mutismus unterschieden (Für einen erweiterten Überblick s. Schmidt-Traub, 2017).

2.1 Verursachende Bedingungen

Menschen mit selektivem Mutismus haben eine genetisch bedingte Bereitschaft zu Angsterleben, die mit Verhaltenshemmung, speziell mit einer ausgeprägten Sprechhemmung, einhergeht. Sie befürchten, beim Sprechen in wenig vertrauter Umgebung zu versagen, da es ihnen an Vertrauen in die eigene Sprechfähigkeit fehlt. Bei ängstlicher Erregung reagieren sie mit Verspannungen der Kehlkopfmuskulatur, sodass es zu sprachmotorischen Einschränkungen beim Sprechen kommt (vgl. hierzu auch „Neuronale und physiologische Grundlagen des Sprechens und des stressbedingten Schweigens“ im Anhang, S. 110).

Die Längsschnittuntersuchungen des Amerikaners Jerome Kagan und seiner Mitarbeiter (Kagan et al., 2009), in denen Neugeborene von den ersten Lebenstagen an über 45 Jahre lang in regelmäßigen Abständen beobachtet wurden, haben gezeigt, dass 17 bis 20 % der Kinder eines Jahrgangs mit einem ängstlich-scheuen Temperament zur Welt kommen, das sie lebenslang beeinflusst. Ein Temperament hat eine gewisse Vorhersagekraft für bestimmte Verhaltensmuster im weiteren Leben und spanne hinweg relativ stabil bleibt. Verhaltensstile weisen bestimmte Merkmale auf (wie Reaktionstempo, Ausdauer, Empfänglichkeit für Stimmungen und Gefühle).

Menschen mit einem ängstlich-scheuen Temperament sind empfindsamer, schreckhafter und ängstlicher als Gleichaltrige mit einem anderen Temperament. In der Regel liegt bei einem der biologischen Eltern (oder einem anderen nahen Verwandten) ein vergleichbares Temperament vor (Subellok et al., 2010; Bahrfeck-Wichitill et al., 2011). Bei ängstlichen Kindern dürfte es mehrheitlich die Mutter sein, da Ängste bei Frauen doppelt so häufig vorkommen wie bei Männern. Ängstlich-scheue Kinder sind gehemmter als ihre Altersgenossen. Sie neigen dazu, unklare und unbekannte Situationen negativer zu bewerten als nichtängstliche Personen und gehen ihnen möglichst aus dem Weg.

Mittlerweile sind einige der genetischen Grundlagen der Angst bekannt. Die Bereitschaft, vermehrt Angst zu erleben, ist angeboren. Dennoch lässt sich nicht vorhersagen, ob ein Kind mit ängstlich-scheuem Temperament künftig eine Angststörung oder selektiven Mutismus entwickeln wird. Das hängt im Wesentlichen von der Erziehung und von weiteren, teils unabsehbaren Milieueinflüssen ab.

Das erzieherische Vorgehen der Eltern trägt wesentlich dazu bei, das Angstrisiko eines Kindes zu vergrößern oder zu verringern (vgl. Kap. 2.2 und Kap. 2.3; Schmidt-Traub, 2015). Überbehütende Eltern ermahnen ihre Kinder viel, besonders vorsichtig zu sein; das kann auch verunsichernd auf das Kind wirken. Einige erklären ihren Kindern bei jeder Gelegenheit, wie schlecht die Welt ist und wie viel Unheil in ihr droht. Damit fördern sie eine tendenziell pessimistische Sicht der Welt und den Möglichkeiten des Kindes, auf Missstände Einfluss zu nehmen. Seltener sind die Eltern von ängstlichen Kindern ausnehmend streng und erziehen sie in einem Klima der Angst. Es gibt auch Eltern, die ihre Kinder einfach machen lassen und sie kaum darin unterstützen, die Angst zu überwinden und den Alltag eigenständig zu bewältigen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis und Vorwort9
1Erscheinungsbild des selektiven Mutismus15
1.1Diagnostische Kriterien21
1.2Kulturell und entwicklungsbedingte Störungen des Sprechens23
1.3Normale Angst, unbegründete Angst und Vermeiden26
1.4 Psychische Störungen, die mit selektivem Mutismus einhergehen können29
2 Faktoren, die zur Entstehung der sozialen Ängstlichkeit und des selektiven Mutismus beitragen36
2.1Verursachende Bedingungen36
2.2Auslösende Bedingungen39
2.3Aufrechterhaltende Bedingungen40
3Therapeutische Behandlung und Selbsthilfe44
3.1 Überblick über Behandlungsmöglichkeiten44
3.2Behandlungsschritte47
3.2.1Beobachtung des unfreiwilligen Schweigens und Aufbau von Veränderungsbereitschaft48
3.2.2Bearbeitung von ängstlichen und anderen negativen Gedanken56
3.2.3Entspannung von Körper und Kehlkopf62
3.2.4 Konfrontation mit Angst und Sprechversuchen in Selbsthilfe und Therapie67
3.2.5Wie wird in einer Therapie vorgegangen?76
3.2.6Medikamente für besonders schwierige Fälle77
3.3Elternarbeit78
3.3.1Unterstützungsmöglichkeiten für Eltern im Überblick78
3.3.2Praktisches Vorgehen für Eltern79
3.4Förderung durch Erzieher und Lehrer89
4 Besonderheiten der Selbsthilfe bei selektiv mutistischen Jugendlichen und Erwachsenen98
Anhang107
Literatur109
Hilfreiche Adressen111
Arbeitsblätter112
Sachregister131

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