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E-Book

Vincent van Gogh

AutorUwe M. Schneede
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2019
ReiheBeck'sche Reihe 2310
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406736506
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mehr denn je zählt der Maler Vincent van Gogh (1853 - 1890) zu den wichtigsten Begründern der Moderne. Dieser Band schildert den dramatischen Lebensweg und den exzentrischen Werdegang des frühvollendeten Künstlers, erläutert die gesellschaftlichen Bedingungen und künstlerischen Voraussetzungen seiner heute noch packenden Bilderfindungen, untersucht die bestürzenden Neuerungen seiner Bildsprache - und erschließt damit die Grundlagen der modernen Malerei.



Uwe M. Schneede, Professor für Kunstgeschichte, war von 1999 bis 2006 Direktor der Hamburger Kunsthalle.<br>

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Leseprobe

Paris 1886–​1888


Die Welt der Kunst …


Im November 1885 mit immerhin schon dreiunddreißig Jahren begann van Gogh, um das bislang Versäumte nachzuholen, ein Studium der Kunst in Antwerpen. Binnen Kurzem wurde deutlich, dass dies lediglich eine Vorstufe zum eigentlichen Ziel war: Paris. Er malte sich ein Leben in der Hauptstadt der Kunst aus, erkundigte sich nach der Arbeitsweise in der privaten Kunstschule des Fernand Cormon, zu der ihm Bruder Theo geraten hatte, machte Anstrengungen, seine Gesundheit wiederherzustellen und sein Äußeres für Paris zu richten, und drängte Theo schließlich immer heftiger, der Übersiedlung zuzustimmen.

Zwar lehnte der bodenständige van Gogh weiterhin das ihm oberflächlich erscheinende großstädtische Leben und erst recht jegliche Bohème ab, doch überwog jetzt sein Verlangen, im Umgang mit anderen Künstlern, von denen er in den holländischen Provinzen nur hatte träumen können, deren Werk aber nun viel diskutiert wurde, angeregt und ermutigt zu werden, in einem für das Neue offenen Kunstbetrieb Fuß zu fassen, von den besseren Verkaufsmöglichkeiten zu profitieren, hier und da ein Bild mit einem Kollegen zu tauschen, kurz: endlich «in der Künstlerwelt zu leben» (449). Wenig später sollte van Gogh, nun bereits aus Paris, zuversichtlich formulieren: «Was sich hier erreichen läßt, das ist Fortschritt, und was zum Teufel das auch sein mag, der ist hier zu finden.» (459a) Paris schien ihm in diesem Moment der beste Garant für sein Vorankommen.

Paris bedeutete für van Gogh die endgültige Trennung von Holland, auch von den Eltern – und die vorläufige Absage an die Motive aus dem Leben der Bauern. In ihrem bildnerischen Ertrag und in den Begegnungen und Erfahrungen mit anderen Künstlern sollte die nun beginnende zweijährige Pariser Phase zur Gelenkstelle des künstlerischen Umbruchs von der Tradition zur Moderne werden.

Trotz der langen Vorbereitungen war der Aufbruch ein plötzlicher. Gleich nach seiner Ankunft in Paris, im März 1886, übermittelte van Gogh seinem Bruder Theo, dem jetzt für den Goupil-Nachfolger Boussod & Valadon am Boulevard Montmartre, nahe der Pariser Oper, tätigen Kunsthändler, ein Billet: Er sei «ab mittag im Louvre oder auch früher», man werde ihn in der Salle Carré treffen, also nicht am Bahnhof und nicht in einem Café: im Louvre, in der Salle Carré.

Einen wahrhaft symbolischen Ort hatte er sich für seinen Einzug in Paris gewählt, den Saal, in dem damals die Meisterwerke der Welt hingen: van Eycks Rolin-Madonna, Holbeins ‹Erasmus›, Leonardos ‹Anna Selbdritt›, dessen ‹Felsenmadonna› und die ‹Mona Lisa›, Raffaels ‹Schöne Gärtnerin›, Tizian und Rembrandt, Rubens, Velazquez, Veronese und Poussins programmatisches ‹Selbstbildnis›: es war der zentrale Ort in der Welt der Kunst. Größer hätte der Unterschied zum bilderlosen, kunstfernen Nuenen kaum sein können, höher konnte einer mit seinem Anspruch auf die Welt der Kunst nicht ansetzen.

Paris war Ende des 19. Jahrhunderts die Metropole schlechthin. Industrialisierung, Elektrifizierung, großräumige Stadtplanung und neue Verkehrstechniken kündigten das moderne Leben an. Repräsentative gründerzeitliche Bauten von Versicherungen, Banken, von Eisenbahnen und Luxushotels spiegelten die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt. Mit den Passagen, den Warenhäusern und den Markthallen entstanden die ersten europäischen «Kathedralen des Konsums». Die neue Großstadt, wie Paris sie verkörperte, erzeugte – so Walter Benjamin – sogar einen neuen Gesellschaftstyp: den Flaneur.

Die Weltausstellung von 1889, deren Symbol für den technischen Fortschritt der alles weit überragende Eiffelturm wurde, machte Paris vollends zur Hauptstadt der Welt. Dazu kam ein einzigartiger kultureller Erneuerungsprozess. Er vollzog sich insbesondere in der bildenden Kunst – von Manet bis Seurat. Auch in Fragen des Luxus und der Moden gab Paris den Ton an. Der Montmartre wurde zum Inbegriff der ‹Belle Époque›: mit seinen Kabaretts, den Cafés-Concerts, den Tanzpalästen wie dem ‹Moulin Rouge›, den Avantgarde-Theatern, den satirischen Zeitschriften, der öffentlichen Plakatkunst eines Jules Chéret und eines Toulouse-Lautrec. Es war eine Zeit des Aufbruchs, der Vergnügungen und der Neuerungen.

Auch anderenorts gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wichtige Museen sowie international renommierte Akademien und Kunsthandlungen, doch nirgends war das Kunstleben so vielgestaltig wie in Paris. Mit den großen Ausstellungen, dem alljährlichen ‹Salon› – der offiziellen Ausstellung in der École des Beaux-Arts –, den einflussreichen Kunsthändlern, der Phalanx der Kunstkritiker, den Ausbildungsstätten hatte sich dort ein regelrechter Kunstbetrieb etabliert. Der allerdings sperrte sich zunächst heftig gegen jene Kunst, die jetzt aus den Ateliers der Modernen kam.

Hatte sich sowohl in der Folge der Französischen Revolution als auch in der Zweiten Republik nach der Revolution von 1848 eine gewisse Liberalisierung durchgesetzt, die sich etwa darin äußerte, dass unorthodoxe Künstler in die Jurys für die maßgeblichen Salon-Ausstellungen berufen wurden, so war die anschließende Restauration wieder zur Zensur zurückgekehrt. Der Salon unterlag staatlicher Führung; sie setzte die akademischen Normen durch. Die Belobigungen, die Medaillen, die Preise, besonders die Ankäufe und die Berufungen in die Akademie wurden jenen Künstlern zuteil, die sich in der ranghöchsten Gattung, dem Historienbild, mit routinierten szenischen Arrangements auszeichneten. Zu den hochbezahlten Stars gehörten Maler wie Adolphe William Bouguereau, Gustave Rodolphe Boulanger, Léon Gérôme, Ernest Meissonier.

Wer den akademischen Normen nicht entsprach, musste sich seinen Weg außerhalb der Institutionen suchen. Und das galt schließlich für alle Künstler, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Suche, dem Experiment, dem neuen Geist verschrieben. So fand sich die junge Kunst vollständig von den entscheidenden Ausstellungen, Auszeichnungen und Erwerbsmöglichkeiten ausgeschlossen.

Deshalb war 1863 – mit Genehmigung Napoleons III. – der ‹Salon des Refusés› gegründet worden, an dem sich sogleich Künstler wie Cézanne, Pissarro oder Manet (mit dem ‹Dejeuner sur l’herbe›) beteiligten. Doch das Bürgertum, das sich nun mit dem Erwerb von Bildung und Kapital ein gesellschaftliches Fundament zu sichern suchte, fand nicht bei den ‹Zurückgewiesenen›, sondern im traditionellen Salon einen Ort der Bestätigung. Mit dem Bürgertum also konnten die Modernen nicht rechnen.

In der Nachfolge des ‹Salon des Refusés› wurde 1884 der ‹Salon des Indépendants› gegründet, der Künstlern wie van Gogh zum ersten Mal eine Möglichkeit zur Ausstellung gewähren sollte. In den 1880er Jahren wurde diese Bühne, vor allem für die Generation der Jungen wie Seurat und Signac, außerordentlich wichtig.

Was van Gogh neben den Meisterwerken der Kunstgeschichte in Paris anzog, war die Szene ebendieser Unabhängigen und der Abgelehnten: der Neuerer. Als er in der Stadt eintraf, hatte der Impressionismus seinen Höhepunkt zwar bereits überschritten, aber dessen Künstler spielten in der Stadt weiterhin eine gewichtige Rolle: Monet und Renoir, Morisot und Sisley; Manet war bereits 1883 gestorben. Neuerdings erregten die Bilder und die Theorien von Neoimpressionisten wie Georges Seurat und Paul Signac die Aufmerksamkeit. Zwei Monate nach van Goghs Ankunft wurde die 8. (und damit letzte) Pariser Impressionisten-Ausstellung eröffnet, eine Art Nachspiel. Monet, Renoir, Sisley nahmen schon nicht mehr an dieser von Camille Pissarro und Edgar Degas organisierten Schau teil, dafür waren – außer ihnen beiden – der achtunddreißigjährige Paul Gauguin und zum ersten Mal der siebenundzwanzigjährige Seurat und der erst dreiundzwanzigjährige Signac dabei.

Van Gogh konnte sogleich eintauchen in jene neue Kunst, von der er bislang nur vom Hörensagen gewusst hatte. Neue Arbeiten von Claude Monet und Auguste Renoir waren in der Galerie Georges Petit zu sehen, und im Sommer dieses Jahres 1886 fand der 2. ‹Salon des Indépendants› statt; Odilon Redon nahm teil, und Seurat präsentierte – erneut, wie schon auf der 8. Impressionisten-Ausstellung – sein Hauptwerk ‹La Grande Jatte›; der malende Zöllner Henri Rousseau trat zum ersten Mal an die Öffentlichkeit.

Ihrer aller Werk konnte van Gogh gleich in seinen ersten Pariser Monaten kennenlernen. Er war als jemand nach Paris gekommen, der Künstler wie Camille Corot, Charles-François Daubigny, Jean-François Millet – die Vorläufer der Impressionisten –...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Front Cover1
Titel3
Zum Buch2
Über den Autor2
Impressum4
Inhalt5
Die frühe niederländische Zeit7
Der Missionar unter Arbeitern7
«Die Heimat der Bilder»9
Frühe Abweichungen11
«Tätige Melancholie»13
Den Haag: «Mit dem Malen fängt meine Karriere an»16
Wider die konformistische Moral21
«Die Farbe einer guten, staubigen Kartoffel»25
Wahrer als die Wirklichkeit27
Paris 1886–188830
Die Welt der Kunst …30
… und die Welt der Künstler34
Die Stadt und die Komplementärkontraste36
Selbstbildnisse39
Der Süden als Utopie42
Arles 1888/8944
An der Peripherie44
Symbolische Perspektive46
Sonnenkult47
Der «hohe gelbe Ton»48
Das «rauhe Bild»50
Das Atelier des Südens53
Vorbereitung einer Künstlerfreundschaft55
«Décoration»: der «schmerzerfüllte Ausdruck unserer Zeit»75
Gauguin in Arles: Sternstunde und Krise78
Nach dem Bruch84
Eine künftige Kunst88
Internierung89
Saint-Rémy 1889/9091
Konflikte mit der Gesellschaft91
Die «modernen Empfindungen»95
Naturgleichnis und Autobiographie99
Psychogramme102
Auvers-sur-Oise 1890109
Ein Bildnis der Melancholie109
Der mutmaßliche Auvers-Zyklus110
Die Kunst als Gegengift114
Die allmähliche Anerkennung 1900–1914117
Biographische Daten120
Zeittafel121
Literatur124
Fotonachweis126
Register127

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