Kapitel 68
FRAGESie sagen, dass alles, was Sie sehen, Sie selbst sind. Des Weiteren sagen Sie, dass Sie die Welt genau wie wir sehen. Hier ist die heutige Zeitung mit all den schrecklichen Ereignissen, die geschehen sind. Da Sie selbst die Welt sind, wie können Sie ein solches Fehlverhalten erklären?
MAHARAJAn welche Welt denken Sie?
FRAGEUnsere gemeinsame Welt, in der wir leben.
MAHARAJSind Sie sicher, dass wir in der selben Welt leben? Damit meine ich nicht die Natur, das Meer und das Land, die Pflanzen und die Tiere. Die erzeugen keine Probleme, auch nicht der endlose Raum, die unendliche Zeit, die unerschöpfliche Kraft. Lassen Sie sich davon nicht in die Irre führen, dass Sie sehen, wie ich esse und rauche, lese und spreche. Mein Verstand ist nicht hier, mein Leben ist nicht hier. Ihre Welt der Wünsche und deren Erfüllungen, der Ängste und ihnen zu entfliehen, ist wahrlich nicht meine Welt. Ich nehme sie noch nicht einmal wahr, außer durch das, was Sie mir davon erzählen. Es ist Ihre private Traumwelt, und meine einzige Reaktion darauf ist, Ihnen zu raten, nicht mehr weiterzuträumen.
FRAGEDoch Kriege und Revolutionen sind doch gewiss keine Träume. Kranke Mütter und hungernde Kinder sind keine Träume. Auf unanständige Weise erworbener und missbrauchter Reichtum ist doch gewiss kein Traum.
MAHARAJWas denn sonst?
FRAGEEinen Traum kann man nicht mit anderen teilen.
MAHARAJAuch den Wachzustand nicht. Alle drei Zustände – Wachen, Träumen und Schlafen – sind subjektiv, persönlich und intim. Sie alle geschehen und sind enthalten in jener kleinen Blase im Bewusstsein, „Ich“ genannt. Die wirkliche Welt liegt jenseits des persönlichen Selbst.
FRAGESelbst oder Nicht-Selbst, Tatsachen sind real.
MAHARAJSelbstverständlich sind Tatsachen real! Ich lebe mit ihnen. Sie jedoch leben mit Vorstellungen, nicht mit Tatsachen. Tatsachen widersprechen sich niemals, während Ihr Leben und Ihre Welt voller Widersprüche sind. Widersprüche sind das Wahrzeichen des Falschen; das Reale steht niemals in einem Widerspruch mit sich selbst.
Sie beklagen sich zum Beispiel darüber, dass Menschen bitterarm sind, und trotzdem teilen Sie nicht Ihren Reichtum mit ihnen. Der Krieg vor ihrer Tür macht Ihnen Sorgen, doch Sie verschwenden kaum einen Gedanken daran, wenn er in irgendeinem fernen Land stattfindet. Das veränderliche Schicksal Ihres Ego bestimmt Ihre Werte: „Ich denke“, „Ich will“, „Ich muss“ werden zu etwas Absolutem.
FRAGEUnd trotzdem ist das Böse sehr real.
MAHARAJNicht realer als Sie selbst. Das Böse ist der falsche Umgang mit Problemen, die aus Missverstehen und Missbrauch entstanden sind – ein tödlicher Kreislauf.
FRAGEKann dieser Kreislauf durchbrochen werden?
MAHARAJEin falscher Kreislauf muss nicht durchbrochen werden. Es reicht völlig aus, ihn als das zu erkennen, was er ist – als nicht existierend.
FRAGEJedoch ist er immerhin so real, dass wir Demütigungen und Grausamkeiten hinnehmen und selbst verüben.
MAHARAJWahnsinn ist universell, aber ein gesunder Menschenverstand ist selten. Und trotzdem gibt es Hoffnung, denn sobald wir unseren Wahnsinn erkennen, sind wir auf dem Weg zur geistigen Gesundheit. Dies ist die Funktion des Gurus – uns den Wahnsinn unseres täglichen Lebens vor Augen zu führen. Das Leben macht Sie bewusst, doch der Lehrer macht Sie gewahr.
FRAGEMein Herr, Sie sind weder der erste noch der letzte Lehrer. Seit undenklichen Zeiten sind Menschen in die Realität vorgedrungen, doch unser Leben hat das kaum beeinflusst! Die Ramas und Krishnas, Buddhas und Christusse kamen und gingen, und trotzdem sind wir noch genau da, wo wir immer waren: Wir wälzen uns in Schweiß und Tränen. Was haben diese Größen vollbracht, deren Leben wir miterlebt haben? Was haben Sie getan, mein Herr, um die Versklavung der Welt zu lindern?
MAHARAJNur Sie alleine können das Böse ausmerzen, das Sie selbst erschaffen haben. Ihr eigener herzloser Egoismus ist die Wurzel all dessen. Bringen Sie zuerst Ihr eigenes Haus in Ordnung, und Sie werden feststellen, dass Ihre Arbeit getan ist.
FRAGEMenschen voller Weisheit und Liebe, die vor unserer Zeit lebten, haben die Vollendung erreicht, und das oft zu einem sehr hohen Preis. Was ist dabei herausgekommen? Ein Komet, wie hell er auch sein mag, macht die Nacht kein bisschen heller.
MAHARAJUm das beurteilen zu können, müssen Sie zuerst einer von ihnen werden. Ein Frosch im Brunnen weiß nichts von den Vögeln am Himmel.
FRAGEWollen Sie damit sagen, dass es zwischen dem Guten und Bösen keine Trennung gibt?
MAHARAJEs gibt keine Trennung, denn es gibt kein Gut und kein Böse. In jeder konkreten Situation gibt es lediglich das Notwendige und das Unnütze. Das Notwendige ist richtig, das Unnütze ist falsch.
FRAGEWer entscheidet das?
MAHARAJDie Situation entscheidet das. Jede Situation ist eine Herausforderung und erfordert die richtige Reaktion. Wenn die Reaktion richtig ist, dann hat man die Herausforderung bewältigt, und das Problem ist gelöst. Ist sie falsch, dann ist die Herausforderung nicht angenommen worden, und das Problem bleibt ungelöst. Es sind Ihre ungelösten Probleme, die Ihr Karma bilden. Lösen Sie sie auf richtige Weise, und seien Sie frei.
FRAGESie scheinen mich immer wieder auf mich selbst zu verweisen. Gibt es denn keine objektive Lösung für die Probleme der Welt?
MAHARAJDie Probleme der Welt wurden durch zahllose Menschen wie Sie selbst erschaffen, jeder erfüllt von seinen eigenen Begierden und Ängsten. Wer sonst als Sie selbst kann Sie von Ihrer persönlichen und sozialen Vergangenheit befreien? Und wie könnte das möglich sein, wenn Sie nicht die dringende Notwendigkeit erkennen, zuerst von den Wünschen und Begierden, die von Ihren Illusionen produziert wurden, frei zu sein? Wie können Sie wirklich helfen, wenn Sie selber Hilfe brauchen?
FRAGEUnd inwiefern haben die Weisen vergangener Zeiten geholfen? Inwiefern sind sie hilfreich? Zweifellos profitieren einige Individuen von ihnen, und ihr Rat und Beispiel bedeutet diesen Menschen sehr viel. Doch wie beeinflussen sie die Menschheit als Ganzes, die Gesamtheit des Lebens und des Bewusstseins? Sie sagen, Sie sind die Welt, und die Welt sind Sie selbst, doch inwiefern wirken Sie auf diese Welt ein?
MAHARAJWas für eine Auswirkung erwarten Sie?
FRAGEDie Menschen sind dumm, egoistisch und grausam.
MAHARAJDie Menschen sind auch weise, liebevoll und gütig.
FRAGEWarum herrscht dann nicht das Gute vor?
MAHARAJDas tut es doch – in meiner wahren Welt. In meiner Welt ist sogar das, was Sie als Böses bezeichnen, der Diener des Guten und somit notwendig. Es ist wie Furunkeln und Fieber, die den Körper von Unreinheiten befreien. Krankheiten sind schmerzhaft und manchmal sogar gefährlich, doch wenn man richtig mit ihnen umgeht, dann heilen sie.
FRAGEOder sie töten.
MAHARAJIn manchen Fällen ist der Tod die beste Lösung. Ein Leben kann schlimmer sein als der Tod, der nur selten eine unangenehme Erfahrung ist, auch wenn es anders aussehen mag. Daher sollten Sie die Lebenden bemitleiden, niemals die Toten. Dieses Problem, dass Dinge in sich selbst gut oder schlecht sind, existiert in meiner Welt nicht. Das Notwendige ist gut, und das Unnütze ist schlecht. In Ihrer Welt ist das Angenehme gut und das Leidvolle schlecht.
FRAGEWas ist notwendig?
MAHARAJZu wachsen ist notwendig, über etwas hinauszugehen ist notwendig. Das Gute für das Bessere zurückzulassen ist notwendig.
FRAGEWozu?
MAHARAJDas Ende ist der Anfang. Sie enden da, wo Sie begonnen haben – im Absoluten.
FRAGEWozu dann der ganze Ärger? Um wieder an den Anfang zurückzukommen?
MAHARAJWessen Ärger? Welcher Ärger? Bemitleiden Sie das Samenkorn, das wächst und sich vermehrt, um zu einem prächtigen Wald zu werden? Töten Sie ein Kind, um ihm die Probleme des Lebens zu ersparen? Was ist falsch mit dem Leben, mit immer mehr Leben? Entfernen Sie die Hindernisse auf dem Weg zum Wachsen, und all Ihre persönlichen, sozialen, ökonomischen und politischen Probleme werden sich in Luft auflösen. Das Universum als Ganzes ist vollkommen, und seine Teile, die nach Vollkommenheit streben, sind ein Ausdruck der Freude. Opfern Sie von ganzem Herzen das Unvollkommene für das...