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Wenn die Plagegeister krank machen … Gesundheitsgefahren
Eine ganz reizende mikrobielle Gesellschaft
Sollten Sie die Vermutung haben, unter der »In dem Raum geht’s mir schlecht«-Problematik zu leiden, dann willkommen im Club! Die Gesundheitsgefahren durch Schimmelschäden in Innenräumen sind allerdings ein sehr schwieriges und bedauerlicherweise noch nicht ausreichend erforschtes Feld. Einige Symptome gelten dennoch als typisch: Reizungen der Augen und Atemwege, laufende oder verstopfte Nase, chronischer Husten, hartnäckige oder immer wiederkehrende Infekte. Viele weitere Beschwerden wie Kopfschmerzen, starke Abgeschlagenheit, Hautirritationen, starkes nächtliches Schwitzen, rheumaähnliche Beschwerden sowie Magen-Darm-Probleme werden ebenfalls immer wieder mit einer Schimmelexposition in Verbindung gebracht. Ein wissenschaftlich wasserdichter Zusammenhang ist allerdings noch nicht herzustellen. Lassen sich Symptome entweder eindeutig bestimmten Innenräumen zuordnen oder drängt sich ein räumlicher wie zeitlicher Zusammenhang mit dem Aufenthalt in gewissen Räumlichkeiten auf, sprechen Ärzte oft erst mal von Sick-Building-Syndrom (SBS). SBS ist keine medizinische Diagnose, weil die verschiedenen Anzeichen auf mehrere Krankheiten zutreffen und auf unterschiedliche Quellen im Gebäude zurückzuführen sein können. So kann zum Beispiel die bloße Abneigung gegen Klimaanlagen bei dauerhaftem Aufenthalt in klimatisierten Räumen zu Befindlichkeitsstörungen führen und zählt daher genaugenommen auch zur SBS. Auch Lufttemperatur, vor allem aber Luftfeuchtigkeit und Luftgeschwindigkeit (bei Lüftungsanlagen) können das Wohlbefinden im Raum beeinflussen. Dazu gehört natürlich auch der klassische fiese Mief der Schimmelpilze, der bei versteckten Schimmelschäden schlimmstenfalls monatelang in der Luft hängt und uns Menschen gehörig auf die Nerven geht, ohne dass die Ursache gefunden wird. SBS beschreibt also im Grunde diffuse Beschwerden, die nicht präzise diagnostiziert werden können, oder gesundheitliche Phänomene, deren Ursache zunächst nur im Gebäude vermutet wird. Das kann dann in der Praxis von der kleinen Befindlichkeitsstörung bis zur echten (unentdeckten und daher nicht abgeklärten) Erkrankung alles sein.
Doch ein bisschen was wissen wir zumindest schon über die schlechten Seiten unserer ungeliebten Mitbewohner. So stellen Mikroorganismen und ihre zahlreichen Hinterlassenschaften für uns Wirbeltiere in mehrfacher Hinsicht ein potenzielles Gesundheitsrisiko dar: als Infektionserreger, als Giftstoffe, als Allergene und ganz allgemein als emsige Produzenten von Reizstoffen, die den menschlichen Organismus gehörig tyrannisieren können.
Pathogene Schurken
Wenn Mikroorganismen, die in der Lage sind, pathogen zu wirken, ihr Unwesen treiben, wird es für uns unter Umständen brenzlig. Pathogen (urspr. griechisch: Pathos – Leiden, Krankheit) bedeutet nämlich nichts anderes als potenziell krankmachend. Pathogene sind also Organismen, üblicherweise Mikroorganismen wie Pilze, Viren und Bakterien, die sich unter bestimmten Bedingungen in unserem Organismus ansiedeln und dort Krankheiten verursachen. Diese kleinen Biester brauchen einen »Wirt« – und bei humanpathogenen Mikroorganismen sind das nun mal wir Menschen. Sie bedienen sich hemmungslos unseres Organismus, und ihre Mission ist wieder sehr simpel: Einzug halten, verbleiben, vermehren. Wer schon einmal von mikrobiellen Widerlingen wie Salmonellen (Bakterien), Noroviren oder Influenzaviren heimgesucht wurde, kann ein Klagelied davon singen, wie rasant deren »Bevölkerungsentwicklung« in unserem Körper vonstattengeht, so dass sie uns im Nu schachmatt setzen. Das Notfallsystem unseres Körpers muss daher umgehend reagieren und entwickelt bedarfsgerechte Abwehrmechanismen wie Fieber, Brechreiz oder Durchfall. Manche dieser unangenehmen Eindringlinge wird man mit Geduld, Ruhe und stabiler Seitenlage auf der Couch wieder los, bei Bakterieninvasion mit rasend schneller Populationsentwicklung hilft häufig nur der Griff zum passenden Antibiotikum.
Doch jetzt ist erst mal Durchatmen statt Schnappatmung angesagt! Die meisten Protagonisten auf der häuslichen Wand sind nämlich gar nicht an der Besiedlung von Wirbeltieren interessiert. Die dort vorkommenden Kollegen bevorzugen bekanntermaßen tote organische Materie, und wir menschlichen »Wirte« bestehen ja glücklicherweise aus lebenden Zellen, besitzen ein gut funktionierendes Immunsystem als Bollwerk gegen Eindringlinge und haben zudem eine Betriebstemperatur, mit denen viele typische Innenraumokkupanten nicht so gut klarkommen.
Unsympathische Opportunisten
Unter den Schimmelpilzkollegen gibt es aber auch ein paar »Alleskönner«, oder besser gesagt: unausstehliche Opportunisten. Sobald sich die Gelegenheit bietet, weil das Immunsystem des Wirts – also unseres! – schwächelt, schlagen diese Allrounder unbarmherzig zu. Dazu gehören zum Beispiel die Vertreter von Aspergillus flavus und Aspergillus fumigatus, zwei sogenannte thermotolerante Schimmelpilzarten. Die fühlen sich auch bei unserer Körpertemperatur von im Schnitt knapp 37 °C wohl und sind gewillt und in der Lage, unsere Schleimhäute zu besiedeln. Schlimmstenfalls führt das zu einer Infektion, passenderweise Aspergillose genannt, die die Lungen, Nasenhöhlen, manchmal auch die Haut betreffen kann.
Experten haben noch weitere pathogene Pilz-Schurken identifiziert, die sich bei mikrobiellen Schäden in Innenräumen mitunter dazugesellen und unter Umständen unsere Schleimhäute, das Lungengewebe oder die Haut infizieren können.
Wie wir inzwischen wissen, halten die Schimmelpilze selten allein Einzug in unsere vier Wände, meist handelt es sich bei Innenraumschäden um mikrobielle Mischbesiedelungen. Über die beteiligten Bakterien-Arten ist zwar noch nicht viel bekannt, doch wurden bereits humanpathogen wirksame Bakterien in durchfeuchteten Baumaterialien nachgewiesen. Hierzu zählen unter anderen einige Nocardia-Arten, verantwortlich für die Nocardiose-Infektion, übrigens Vertreter der Actinobakterien-Truppe. Bekanntlich schlagen einige von ihnen gerne im feuchten Kartoffelkeller ihr Hauptquartier auf.
Risiko Abwehrschwäche
Manche Infektionserreger sind also bisweilen mittendrin im Schimmelgetümmel, so dass unser Immunsystem bei einem Schaden sein Abwehrbollwerk gegebenenfalls auf volle Leistung hochfahren muss. Was aber, wenn es das nicht schafft? Denn je schlechter es um unser Immunsystem bestellt ist, desto gefährlicher können uns die kleinen Biester werden. Insbesondere kranke Menschen mit einem arg geschwächten Immunsystem, beispielsweise aufgrund von Chemotherapien oder der Einnahme von Immunsuppressiva, haben ein deutlich höheres Infektionsrisiko als Immungesunde.
Menschen mit einem angegriffenen Immunsystem sollten deshalb auch versuchen, den humanpathogenen Winzlingen in der freien Wildbahn aus dem Weg zu gehen. Erhöhte Konzentrationen pathogener Mikroorganismen werden insbesondere durch aufgewirbeltes Laub verbreitet (Laubbläser, Hubschrauberlandeplätze etc. sind ein Tabu!), kommen aber auch beim Einarbeiten von Humus oder Rindenmulch im Garten, bei Abriss- und Sanierungsarbeiten sowie in der Nähe von Kompostier- und Abfallbehandlungsanlagen vor. Der heimische Komposthaufen sollte also lieber nicht direkt neben der Sitzgruppe auf der Terrasse platziert werden. Im engeren Umkreis von Massentierhaltungsanlagen wurden ebenfalls bereits erhöhte Konzentrationen humanpathogener Mikroorganismen nachgewiesen. Doch diese miesen Opportunisten lauern eben nicht nur unter freiem Himmel, sondern kommen unter Umständen auch hier vor: in der Topferde von Zimmerpflanzen, in Bio-Abfällen, die sehr lange in der Küche gelagert werden, sowie in Raumluftbefeuchtern und Klimaanlagen. Möglicherweise aber auch als (versteckter) Schimmel in der Bausubstanz. Daher müssen solche Verdachtsmomente gewissenhaft untersucht werden – vor allem wenn Menschen mit geschwächtem Immunsystem davon betroffen sein könnten, was insbesondere in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen und natürlich in den Wohnungen von Immungeschwächten der Fall ist.
Wie hoch aber ist die Infektionsgefahr bei einem herkömmlichen Innenraumschaden? Zumindest besteht kein Grund zur Panik, denn Infektionen durch Schimmelpilze treten bei Menschen mit einem intakten Immunsystem, das die Eindringlinge geschmeidig ausschaltet, praktisch nicht auf. Nach jetzigem Kenntnisstand sind auch humanpathogene Bakterien nicht zwingend Protagonisten eines Schadens, so dass die Infektionsgefahr Experten zufolge nur bei leckenden oder geborstenen Abwasserleitungen bedeutsam ist. Denn mit Fäkalien belastetes Toilettenabwasser spült einen speziellen Mix aus patenten Infektionserregern mit einer ganz anderen gesundheitlichen Sprengkraft als gewöhnliche Schimmelschadens-Bewohner in die Bausubstanz. Dieses Szenario birgt für Betroffene also nicht nur eine höhere Belastung durch üblen Gestank, sondern auch ein sehr großes Gesundheitsrisiko durch eventuell beteiligte Erreger wie Bakterien (E-Coli, Clostridium etc.), Viren (Norovirus und Kollegen), Parasiten oder Wurmeier.
Die Infektionsgefahr bei Schimmelschäden ist für immungesunde Menschen praktisch nicht gegeben, steigt allerdings bei einem schwächelnden Immunsystem und insbesondere, wenn Abwasser mit im Spiel ist.
Angriff der Giftzwerge
Viele Schimmelpilze sind bekanntlich echte Giftzwerge. Ihre Giftstoffe, die Mykotoxine, sind in der Mehrzahl keine leicht flüchtigen...