Insulinresistenz verständlich erklärt
Gastbeitrag von Anika Dreier
Die meisten, die dieses Buch gekauft haben, werden das kennen: Man hat allerlei Symptome, die man nicht zuordnen kann, Gewichtsprobleme, Stimmungsschwankungen und anderes. Man rennt von Arzt zu Arzt, wird meistens nicht ernst genommen oder im besten Fall an Fachärzte verwiesen. Leider ist es nach meiner Erfahrung wirklich Glückssache, ob man einen Arzt findet, der sich mit dem Thema »Insulinresistenz« auskennt. Selbst wenn man dann die Diagnose bekommen hat, können einem die wenigsten Mediziner wirklich weiterhelfen. Insulinresistenz wird oft nicht als Erkrankung ernst genommen oder in Bezug zu gewissen Symptomen gestellt, sodass die Betroffenen oft jahrelang verzweifelt im Dunkeln tappen. So ging es auch mir. Als Biologin hatte ich allerdings schon immer den Drang, Dinge zu recherchieren und mich zu informieren, besonders wenn ich etwas nicht genau verstanden habe. Was war nochmal genau Insulin? Was bedeutet denn nun eigentlich Insulinresistenz, und was macht das mit mir? Ich hoffe, ich kann dem einen oder anderen mit dieser kleinen Zusammenfassung ein wenig dabei helfen, die Grundlagen und bestimmte Zusammenhänge besser zu verstehen.
Insulin ist ein Peptidhormon und wird von den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse produziert. Diese Beta-Zellen kommen in rundlichen Ansammlungen vor und werden aufgrund ihres Aussehens und nach ihrem Entdecker Paul Langerhans auch »Langerhans-Inseln« genannt (Sachs, 2005). Schon 1889 fanden deutsche Wissenschaftler heraus, dass eine Substanz aus der Bauchspeicheldrüse für die Regulation des Stoffwechsels verantwortlich ist. 1909 wurde diese Substanz von einem belgischen Wissenschaftler namens Jean de Meyer auf den Namen »Insulin« getauft (Wilcox 2005). 1921 zeigten die Forscher Banting und McLeod in ersten Versuchen, dass Insulin an der Regulation des Blutzuckerspiegels beteiligt ist, wofür sie 1923 sogar den Nobelpreis bekamen (Bliss, 1993).
Steigt der Blutzuckerspiegel, zum Beispiel durch unsere Nahrung, dringen Glukosemoleküle in die Beta-Zellen ein und werden dort abgebaut. Dies hat verschiedene biochemische Prozesse zur Folge, die am Ende dazu führen, dass Insulin, welches sich in kleinen Vesikeln in den Beta-Zellen befindet, ausgeschüttet wird. Als Hormon wirkt das Insulin nach dem »Schlüssel-Schloss-Prinzip« und braucht ein passendes Partnermolekül, an das es binden kann, um seine Funktion zu erfüllen. Diesen Partner stellen die Insulinrezeptoren dar. Sie kommen auf fast allen Zellen in unterschiedlicher Zahl und Ausführung vor und bilden die »Andockstelle« für das Insulin.
Hat ein Insulinmolekül seinen Rezeptor auf einer Zelle gefunden, bindet es sich daran und startet dadurch die unterschiedlichsten Prozesse im Zellinneren. Diese Zellstoffwechselvorgänge hängen unter anderem vom Zelltyp und von vielen zusätzlichen Faktoren ab und lassen sich hier nicht alle im Detail erklären. Grob gesagt kann man sich das Ganze wie eine riesige, verzweigte Dominokette vorstellen. Das Insulin gibt den Startschuss und setzt bestimmte Bereiche dieser Dominokette in Gang. Andere Bereiche benötigen zusätzlich zum Insulin noch andere Faktoren und Voraussetzungen.
Eine Reaktion der Zelle auf das Insulin ist beispielsweise die Glukoseaufnahme aus dem Blut. Über Transportproteine in der Zellwand wird die Glukose in die Zelle »geschleust« und dort verstoffwechselt. Dies senkt den Blutzuckerspiegel, und je nach Zellart entstehen dabei unterschiedliche Komponenten für weitere Stoffwechselvorgänge. Muskelzellen beispielsweise bilden beim Abbau von Glukose wichtige Bausteine für den Zellaufbau. Fettzellen nehmen ebenfalls Glukose aus dem Blut auf. Sie reagieren aber auf das Insulin zusätzlich mit dem Anlegen und dem Aufbau von Depotfett.
Um zu verstehen, was bei der Insulinresistenz passiert, stellen wir uns die Insulinrezeptoren auf den Zellen wie kleine Glocken vor, die im Normalfall anfangen zu klingeln, sobald das Insulin an den jeweiligen Rezeptor bindet. Das Klingeln ist das Signal für die Zelle, Glukose aufzunehmen und ihre alltäglichen Stoffwechselvorgänge in Gang zu setzen. Bei der Insulinresistenz funktioniert dieses Signal nicht mehr vernünftig. Der Blutzuckerspiegel bleibt erhöht, die Beta-Zellen produzieren also immer weiter Insulin, denn sie hören erst damit auf, sobald sich der Blutzuckerspiegel wieder normalisiert. Immer mehr Insulin sammelt sich im Blut an. Diesen Zustand nennt man dann Hyperinsulinämie (»hyper« kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie »drüber« oder »oberhalb«). Trotz des starken Insulinsignals, also trotz lauten »Glockenklingelns«, reagieren die Zellen nur in abgeschwächter Form oder mit großer Verzögerung.
Warum das so ist, ist noch nicht abschließend erforscht; der genaue Mechanismus ist bisher nicht bekannt. Allein in der oben beschriebenen und einfach klingenden Reaktionskette (Insulinausschüttung → Rezeptorbindung → Glukoseaufnahme) gibt es schon sehr viele potenzielle Fehlerquellen, die zu einer Insulinresistenz führen können. Alle Komponenten, die für die Insulinaktivität benötigt werden, werden durch verschiedene Gene reguliert. Hier können zum Beispiel Mutationen auftreten, die diese Regulation an den unterschiedlichsten Stellen stört. Sie können die »Baupläne« des Insulins und des Insulinrezeptors verändern, sodass diese beiden Komponenten nicht mehr richtig zueinander passen und so die Signalkette in der Zelle beeinflussen. Allein für den Rezeptor wurden bisher 21 verschiedene Mutationen entdeckt, die Auswirkungen auf seine Struktur und seine Funktionalität haben (Moller & Flier, 1991). Die Liste der möglichen Gendefekte ist also lang. Zusätzlich zum Rezeptor können sie beispielsweise die Glukosetransportproteine beeinträchtigen (Bell et al., 1990) oder Defekte in Enzymen auslösen, die an den Signalketten in der Zelle beteiligt sind.
Eine große Rolle bei der Entstehung der Insulinresistenz scheint außerdem die Tatsache zu spielen, dass die Zellen bei einem erhöhten Insulinspiegel die Anzahl ihrer Insulinrezeptoren verringern (Bar et al., 1979; Gavon et al., 1974). Das »Glockenklingeln« wird dadurch entsprechend leiser, die Reaktion der Zelle wird abgeschwächt.
Dass man den genauen Mechanismus der Insulinresistenz noch nicht kennt, obwohl sich die Forschung schon lange mit diesem Thema beschäftigt, spricht für die hohe Komplexität des Netzwerks, das die einzelnen Vorgänge im Körper und in Zellen miteinander verbindet. Daher gibt es nicht »den einen« Grund, der zu einer Insulinresistenz führt. Wahrscheinlicher ist es das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die jeweils zu unterschiedlichen Fehlfunktionen führen.
Allein die Anzahl der Insulinrezeptoren und der Transportproteine auf und in den Zellen wird eben nicht nur durch Insulin beeinflusst, sondern ist außerdem abhängig von anderen Hormonen, der Ernährungsweise und der täglichen Bewegung (Bar et al., 1979; Gavon et al., 1974). Alles ist miteinander verbunden und bedingt sich teilweise gegenseitig. Verschiedene physiologische Zustände des Körpers können eine Insulinresistenz auslösen, da die unterschiedlichsten chemischen Stoffe und Hormone ausgeschüttet werden.
Ein Beispiel für einen »Ausnahmezustand« des Körpers ist die Pubertät. Während dieser Phase finden im Körper die unterschiedlichsten metabolischen Veränderungen statt. Sexual- und Wachstumshormone wie Somatropin, Östrogen oder Testosteron werden vermehrt produziert, der Blutdruck und Muskel- sowie Fettmasse verändern sich. Jugendliche in der Pubertät zeigen immer eine verminderte Insulinsensitivität und entwickeln eine relative Insulinresistenz. Sind sie ansonsten gesund, ist dieser Zustand reversibel und normalisiert sich im Laufe der Zeit, sodass mit Austritt aus der Pubertät keine Insulinresistenz mehr vorhanden ist. Allerdings ist die Pubertät eine kritische Phase, in der das Risiko erhöht ist, dass metabolisch gesunde Jugendliche ein ungesundes Übergewicht entwickeln. Ist dies der Fall, bleibt die Insulinresistenz bestehen und erhöht die Risiken für kardiometabolische Folgeerkrankungen.
Ein ähnlicher Zustand ist die Schwangerschaft. Durch Hormone wie Cortisol, Laktogen und Progesteron tritt während dieser Zeit ebenfalls immer eine Insulinresistenz auf, auch wenn die Schwangerschaft ansonsten normal verläuft (Kelsey & Zeitler, 2016; Seely & Solomon, 2003).
Langzeitstress und Schlafmangel können eine Insulinresistenz auslösen. Hierbei werden Hormone wie zum Beispiel Cortisol ausgeschüttet, die die Zahl der Glukosetransportproteine verringern. Zusätzlich haben diese Hormone eine indirekte Wirkung, denn sie fördern die Umwandlung von Proteinen in Glukose und dessen Speicherform Glykogen, was zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels führt. Dieser Effekt rührt daher, dass die ursprüngliche Aufgabe dieser Hormone die Mobilisierung von Energie in einer...