1 Definition und Bedeutung von Dienstleistungen aus interdisziplinärer Sicht
1.1 Einleitung
Wir leben heute in einer Gesellschaft, die sich von der Agrar- über die Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft entwickelt hat. Dieser Trend ist in allen hoch entwickelten Volkswirtschaften zu beobachten. Die Begriffe Dienstleistung und Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft werden heute in der Umgangssprache, aber auch in der Wissenschaft vielfach verwendet, ohne eine genaue Darstellung dessen vorzunehmen, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt.
Die Aufgabe dieses einleitenden Abschnitts ist es zunächst, die Definition des Dienstleistungsbegriffs in der ökonomischen Theorie, der Soziologie und der Rechtswissenschaft darzulegen. Im Anschluss daran wird ein Vergleich zwischen dem Begriffsverständnis der unterschiedlichen Disziplinen vorgenommen.
Im zweiten Teil des Abschnitts wird dargelegt, inwieweit die unterschiedlichen Disziplinen, der Schwerpunkt wird auf der ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Betrachtung liegen, den Wandel der Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft erklären. Auch hier wird ein Vergleich zwischen den Erklärungsansätzen vorgenommen und nach dem möglichen Auslöser für den Wandel in den einzelnen Ansätzen gesucht.
Es wird festzustellen sein, dass die Definition des Dienstleistungsbegriffs nicht existiert und der Wandel der Gesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft zumindest statistisch nachvollziehbar ist.
1.2 Der Dienstleistungsbegriff
Im folgenden Abschnitt wird der erste Schwerpunkt der Arbeit, d. h. der Dienstleistungsbegriff in den verschiedensten Disziplinen erläutert. Zunächst werden die Ansätze in der ökonomischen Theorie und im Anschluss die Definitionsansätze in der Soziologie und in der Rechtswissenschaft dargelegt.
1.2.1 Der Dienstleistungsbegriff in der ökonomischen Theorie
Die Definitionen des Begriffs der Dienstleistung sind vielfältig und geprägt durch die verschiedensten Ansatzpunkte. Festzustellen ist, dass der Dienstleistungssektor unabhängig von seiner Abgrenzung durch Heterogenität geprägt ist und eine Unterscheidung von Dienstleistung und Sachgut sich häufig als schwierig erweist. Im Folgenden werden die verschiedensten Definitionsansätze der ökonomischen Theorie vorgestellt, hierzu sind zu zählen:
• die Negativdefinition,
• die enumerative Definition,
• die Definition über konstitutive Merkmale,
• die Definition der Dienstleistung über Leistungsbündel und
• die Betrachtungsweise der Dienstleistung als Gut mit unscharf definierten Property Rights.
1.2.1.1 Die Negativdefinition
Folgt man diesem Definitionsansatz, so wird der Dienstleistungsbegriff in der Art und Weise erarbeitet, in dem alles das als Dienstleistung verstanden wird, was nicht den Sachleistungen zugeordnet werden kann und somit weder dem primären noch dem sekundären Sektor zuzurechnen ist (zur Einteilung der Sektoren vgl. Statistisches Bundesamt 2003).
Demzufolge wird bei diesem Ansatz alles das aufgezählt, was nicht zur Dienstleistung zu zählen ist. Als Beispiele dienen unzählige Sachleistungen, die nur ansatzweise hier aufgeführt werden können, z. B. Kraftfahrzeuge, Möbel, Gebäude, Nahrungsmittel als Produkte des primären Sektors etc. Eine solche Negativdefinition, die Begriffsbestimmung der Dienstleistung durch das, was sie gerade nicht ist, ist als nicht zufrieden stellend zu betrachten. In der Literatur wird diese Vorgehensweise u. a. als »wissenschaftliche Verlegenheitslösung« (Corsten 2001, S. 21) bezeichnet.
Durch diesen Ansatz wird das Wesen einer Dienstleistung nicht herausgearbeitet, so dass keine konstitutiven Merkmale nachgewiesen werden, die eine Abgrenzung der Dienstleistung von der Sachleistung ermöglichen. Kritisch ist weiterhin zu bemerken, dass Kombinationen von Dienstleistungen und Sachleistungen, die in der Praxis häufig vorzufinden sind, von diesem Erklärungsansatz entweder gar nicht erfasst werden oder aber die Zuordnung einer solchen Kombination zu einem Sachgut oder zu einer Dienstleistung als willkürlich erscheint (vgl. Haller 2001, S. 5).
1.2.1.2 Die enumerative Definition
Bei der enumerativen Definition wird versucht, über die Aufzählung von Dienstleistungsbeispielen das Wesen der Dienstleistung zu charakterisieren. Über diese Aufzählung von Beispielen erfährt der Dienstleistungsbegriff eine Präzisierung. Dies bedeutet, dass sämtliche Dienstleistungsarten, die zum Dienstleistungssektor gehören könnten, aufgelistet werden. Als Beispiele sind folgende Wirtschaftsbereiche bzw. -branchen zu nennen (vgl. Kleinaltenkamp 2001, S. 30):
• Beherbergung, Bewirtung,
• Bankwirtschaft, Versicherungswirtschaft,
• Datenverarbeitung,
• Energieversorgung,
• Erholung, Ernährung, Hotel- und Gaststättengewerbe,
• Nachrichtenübermittlung,
• Rechts- und Wirtschaftsberatung,
• Werbung u. v. m.
Die Aufzählung der Wirtschaftszweige bzw. -branchen verdeutlicht die Problematik einer enumerativen Definition, denn aufgrund der Heterogenität des Dienstleistungssektors und der permanenten Hervorbringung innovativer Dienstleistungen kann eine vollständige Auflistung nicht gelingen (vgl. Haller 2001, S. 5). Dem enumerativen Ansatz mangelt es ebenfalls an der Ausarbeitung von Kriterien, auf deren Grundlage im konkreten Fall entschieden werden kann, ob eine Dienstleistung vorliegt oder nicht. Im Grunde wird hierbei von vornherein unterstellt, dass eine intuitive Vorstellung darüber besteht, was eine Dienstleistung ist (vgl. Corsten 2001, S. 21). Somit kann eine Definition durch eine enumerative Aufzählung von möglichen Tätigkeiten als zu weitgehend betrachtet werden oder aber auch zu eng gefasst werden, indem bestimmte Randbereiche, wie gemischte Formen von Dienstleistungen und Sachgütern, nicht erfasst werden.
Aus der wissenschaftlichen Perspektive kann daher eine solche Auflistung als nicht ausreichend angesehen werden, da es zwangsläufig zu keiner präzisen Trennung der Dienstleistungsbereiche von allen anderen Wirtschaftssektoren kommen kann (vgl. Kleinaltenkamp 2001, S. 30).
1.2.1.3 Die Definition über konstitutive Merkmale
Die am häufigsten in der Literatur vorzufindende Abgrenzung des Dienstleistungsbegriffs basiert auf der Ausarbeitung konstitutiver Merkmale (vgl. Rück 2000, S. 177 ff.; Corsten 2001, S. 21 ff.; Haller 2001, S. 5 ff.). Ein konstitutives Merkmal ist eine prägende Eigenschaft, die den Wesenskern einer Dienstleistung grundlegend beschreibt. Demzufolge ist dieser Ansatz ein Versuch, die Charakteristika von Dienstleistungen herauszuarbeiten und die Definition festzumachen, indem man sich auf die Gemeinsamkeiten aller Services konzentriert (vgl. Haller 2001, S. 5). Eine Ausarbeitung von wirklich trennscharfen Kriterien zur Unterscheidung von Sach- und Dienstleistungen konnte bisher nicht identifiziert werden. Am häufigsten werden in der Literatur die konstitutiven Dienstleistungsmerkmale
• der Immaterialität,
• der Integration eines externen Faktors,
• der Nichtlagerbarkeit der Dienstleistung und
• das Uno-actu-Prinzip
akzeptiert, welche im Weiteren näher erläutert werden.
Immaterialität
Das Begriffspaar materielle und immaterielle Güter ist auf die Arbeit von Jean-Baptiste Say zurückzuführen, der als erster sowohl den Guts- als auch den Produktivitätsbegriff »entmaterialisiert« und auf die nichtkörperlichen Güter ausgedehnt hat (vgl. Maleri 1997, S. 9 u. 49; Rück 2000, S. 187 f.). In Abgrenzung zur Materialität führt das Merkmal der Immaterialität dazu, dass eine Dienstleistung die Sinne des Menschen wie Tastsinn, Geschmack, Sehvermögen und Gehör nicht anzusprechen vermag. Infolgedessen ist die Dienstleistung vielfach eine unkörperliche, also unsichtbare und ungreifbare, eine geistige Leistung, ein substanzloses Gut (vgl. Maleri 1997, S. 97 f.). Als Synonyme werden in der Literatur die Begriffe der Unstofflichkeit,...