Beurteilung des Wiedererholungs-Potenzials emergierender Insekten am Beispiel der Büschelmücke Chaoborus crystallinus in Mesokosmosstudien unter Berücksichtigung der Populationsstruktur (Metapopulation) und der Verbreitungsmechanismen
Experimentelle Mesokosmosteiche im Raum Aachen wurden mit einem künstlichen Pyrethroid, dem Insektizid FASTAC SC 100 (Alpha-Cypermethrin a. i.), zweimal in einem Abstand von zwei Wochen behandelt. Die Konzentration lag jeweils bei 0,02μg/L. Bei der Untersuchung wurde die interne und externe Wiedererholung der Büschelmücke Chaoborus crystallinus untersucht. Das Besondere am Versuchsdesgin waren zeltartige Netzsysteme über einem Teil der Teiche, um Migration zu unterbinden. Es gab behandelte und unbehandelte einzelne Teiche, ein Verbundnetz mit behandelten und unbehandelten Teichen und behandelte Teiche ohne Netz. In einem vorangegangenen Toxizitatstest im Labor wurde die einzusetzende Insektizidkonzentration ermittelt. Im Labortest wurde sowohl die Empfindlichkeit von C. crystallinus als auch dem potentiellen Beuteorganismus Daphnia magna untersucht.
Anhand von AFLPs wurde die Heterozygositat berechnet, um den Einfluss der Netzinstallationen und des Insektizids auf populationsgenetische Parameter zu detektieren. Weiterhin wurde die genetische Distanz berechnet, um die Verwandtschaftsbeziehung von C. crystallinus in den Mesokosmosteichen und im Vergleich zu anderen Teichen in der Umgebung zu analysieren. Daraus wurden auch mögliche Migrationsdistanzen abgeleitet.
Kurz nach den Applikationen reagierten hauptsächlich die jüngeren Larven auf die Kontamination. Deshalb war vier Wochen nach der zweiten Applikation ein Abundanzrückgang aufgrund fehlenden Nachwuchses der ersten Generation zu erkennen. Obwohl C. crystallinus nach der ersten und zweiten Insektizidapplikation nur bei den jüngeren Larvenstadien Populationseinbruche vorzuweisen hatte, machte sich fünf bis sechs Wochen nach der zweiten Applikation ein deutlicher Abundanzrückgang in Emergenz, Eigelegen, Eianzahl und der Larven bemerkbar. Aufgrund weniger Replikate war das Ergebnis nicht immer signifikant, ein Trend war jedoch stets gegeben.
Die Wiedererholung fand relativ schnell statt und stellte sich je nach betrachtetem Endpunkt bereits sechs bis sieben Wochen nach der zweiten Applikation ein. Eine Netzisolation unterstützte die Rekolonisation wegen fehlender Abwanderung. Die Wiedererholung von behandelten Teichen erfolgte schneller, wenn Kontrollteiche zugänglich waren und Mücken aus den Kontrollen in die behandelten Teiche emigrieren konnten.
In den offenen behandelten Teichen war die Wiedererholung etwas langsamer. Eine Abwanderung zusätzlich zum Insektizideffekt wurde hier angenommen. Insgesamt betrachtet besitzt C. crystallinus somit ein Wiedererholungspotenzial in isolierten Habitaten, welches aber umso höher ist, wenn unbehandelte Teiche vorhanden sind. Nach der Dezimierung der Population hatte eine verringerte Individuendichte zu einer geringeren Sterblichkeit geführt und vermutlich zu einer schnellerem Wiedererholung beigetragen. Eine positive Korrelation zwischen Eigelegedichte und Mortalität deutete dies an.
Die Bedeutsamkeit der Migrationsereignisse in der Mesokosmosstudie wurde anhand der Eigelege pro Weibchen deutlich. Grundsätzlich war der natürliche Eiablageerfolg in den isolierten Kontrollen mit 0,33 Gelegen pro Weibchen gering. Ein möglicher Temperatureinfluss und der Männchenüberschuss in dieser Studie wurden diskutiert. Aufgrund der toxischen Belastung hatten isoliert behandelte Teiche mit einem Wert von 0,15 rund 50 % weniger Eigelege pro Weibchen zu verzeichnen als isolierte Kontrollen. Der Eiablageerfolg im 6er-Netz war mit durchschnittlich 0,28 Eigelegen pro Weibchen nur etwas niedriger als die Einzelnetz-Kontrolle. Begünstigt hatte dies geschlüpfte Kontrollindividuen, die nach der Kontamination zur Eiablage in die behandelten Teiche immigrierten. Im gesamten 6er-Netz wurde die Eigelegeanzahl pro Weibchen durch das Insektizid also nur um 15 % reduziert. Im Vergleich zu der Einzelnetz-Behandlung führten in den offenen Teichen gleich zwei Ereignisse zu einer Reduktion der Population: die Insektizidkontamination und die Abwanderung. Geschätzt betrug die Abnahme durch die Migration ein Drittel.
Auffällig war, dass in den offenen Teichen und in den behandelten Einzelteichen der Anteil großer Eigelege etwas erhöht war. Möglicherweise überlebten mehr fruchtbarere Weibchen in beiden Teichen und legten größere Eigelege. So konnten über größere Eigelege und eine schnellere Wiedererholung vorherige Populationsverluste kompensiert werden. Für die offenen Teiche konnte dies ein weiteres Indiz für Abwanderung sein. Des Weiteren wird ein Zusammenhang zwischen Abwanderung und kleineren Eigelegen angenommen, weil vermehrt größere Eigelege gelegt wurden und die Eiablage geringer war als bei netzisolierten behandelten Teichen. Die am Teich verbleibenden Weibchen hatten möglicherweise vermehrt größere Eigelege gelegt.
Insgesamt betrachtet begünstigten die fehlende Abwanderung durch die Netze, die Ausbildung mehrerer Generationen, die schnelle Abbaukinetik des Insektizids und vermutlich die Adsorption des Insektizides an organischem Material, eine schnelle Wiedererholung.
Ein Insektizid-Effekt auf die genetische Populationsstruktur von C. crystallinus konnte nicht nachgewiesen werden, jedoch waren sich die Allele der netzisolierten Individuen am Institut ähnlicher als bei durchgängig offenen Populationen. Die Netzinstallationen hatten möglicherweise einen genetischen Austausch verhindert und einen Gründereffekt hervorgerufen. Ein phylogenetischer Stammbaum – das sogenannte Neighbor-Net -berechnete, dass Individuen in den netzisolierten Mesokosmosteichen mit 1,4 Kilometer entfernten Teichen naher verwandt waren als 2,7 und 3,0 Kilometer entfernt liegende Teiche. In der Regel sind aus der Literatur Flugdistanzen von C. crystallinus von weniger als zwei Kilometer bekannt und konnten hiermit bestätigt werden. Allerdings konnte auch eine Verwandtschaftsbeziehung zu einem 25 km entfernten Palsen in der Eifel hergestellt werden. Mit einer Verbreitung über mehrere Generationen konnte eine Verwandtschaftsbeziehung möglicherweise auch zu 25 Kilometer entfernt liegenden Teichen wie dem Palsen möglich sein.
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