Modellgestützte und regional differenzierte Analyse der Weiterentwicklung des Agrarsektors in der Republik Belarus unter verschiedenen agrarpolitischen Rahmenbedingungen
Die vorliegende Dissertation hat zum einen das Ziel, ein multi-Produkt regional differenziertes Agrarsektormodell als Instrument zur Politikanalyse zu entwickeln. Zum anderen zielt diese Arbeit spezifisch auf die Quantifizierung folgender Szenarien ab: (1) der möglichen Konsequenzen sowohl eines WTO-Beitritts der Republik Belarus als auch einer WTO-Liberalisierung; (2) der potenziellen Auswirkungen der Bildung einer Zollunion zwischen der Republik Belarus, Russland und Kasachstan; (3) der möglichen Konsequenzen sowohl eines EU-Beitritts der Republik Belarus wie auch einer Zollunion EU-Belarus; und (4) die wohlfahrtsökonomische Bewertung dieser internen und externen Agrarreformen aus Sicht der Republik Belarus.
Es wird ein nummerisches, komparativ-statisches, von Produktdifferenzierung ausgehendes partielles Gleichgewichtsmodell entwickelt, das den Namen Bel-ASim trägt und in dem die Handelsströme mit Hilfe des Armington-Ansatzes abgebildet werden. Im Modell werden folgende Länder und Regionen berücksichtigt: Republik Belarus, Russische Föderation, Kasachstan, Ukraine, Sonstige GUS-Länder, Europäische Union und der Rest der Welt. Das Modell umfasst den Agrar- und Ernährungssektor der Republik Belarus von der landwirtschaftlichen Produktion über die Milchverarbeitung bis zum Außenhandel und dem Konsum. Die Regionen Russische Föderation, Kasachstan, Ukraine, sonstige GUS-Länder, Europäische Union und Rest der Welt werden im Modell vereinfacht abgebildet. Für die Abbildung der Importnachfragen und der Exportangebote in diesen Regionen werden die Funktionen vom Typ Cobb-Douglas verwendet.
Zur Berücksichtigung der Standorteigenschaften der landwirtschaftlichen Produktion in der Republik Belarus wird das Modell als regionalisierter Ansatz entwickelt. Die regionale Aufteilung basiert schwerpunktmäßig auf der Abgrenzung nach administrativen Kriterien (Oblast-Ebene). Ausgehend von dieser Gliederung können Analysen für sechs Oblaste sowie für das Agrar- und Ernährungssektoraggregat der Republik Belarus erstellt werden.
Das Modell basiert auf der neoklassischen Theorie. Es wird ökonomisch rationales Verhalten der Akteure unterstellt: für die Produzenten gilt die Hypothese der Gewinnmaximierung, für Konsumenten die der Nutzenmaximierung. Bei der Abbildung des landwirtschaftlichen Angebotes und der Nachfrage der Verbraucher nach Nahrungsmitteln stützt sich das Modell auf die aus flexiblen Funktionsformen abgeleiteten Verhaltenssysteme. Die Angebots- und Nachfragesysteme auf der Milchverarbeitungsstufe werden im Modell mit Hilfe der isoelastischen Funktionen abgebildet. Das differenzierte Angebot bzw. die differenzierte Nachfrage und die differenzierten Handelsströme werden im Modell in einem dreistufigen Verfahren mit Hilfe des Armington-Ansatzes modelliert.
Die Politikinstrumente, die mit dem Modell simuliert werden können, umfassen Minimum-Ab-Hof-Preise, Maximum-Binnenmarktpreise, Produktionsquoten, Handelszölle, Exportsubventionen, direkte produktgebundene Subventionen, Inputsubventionen, allgemeine Subventionen und Zollquote. Das Modell erlaubt die Berechnung der Wohlfahrts- und Verteilungseffekte im Hinblick auf die Erzeuger, Verbraucher, Quotenbesitzer, Steuerzahler und die Gesamtgesellschaft. Die volle Version des Modells wird in GAMS (allgemeines algebraisches modellierendes System) geschrieben und nach dem „Mixed Complementarity Problem“ (MCP)-Ansatz programmiert.
Vom Modell ausgehend werden exemplarische Simulationen vorgenommen, die sich auf aktuelle Fragestellungen innerhalb der Liberalisierungs- und Integrationsabsichten der Republik Belarus beziehen. Insgesamt werden neun Politikszenarien simuliert. Die Simulationsanalysen setzen sich in dieser Untersuchung aus drei Teilen zusammen: erstens den Simulationen für den Basiszeitraum „2006/2007“, zweitens vergleichenden Simulationen für die Basiszeiträume von „2005/2006“ bis „2007/2008“ und drittens den Sensitivitätsanalysen.
Die Ergebnisse der Simulationen lassen sich wie folgt zusammenfassen. Bei den Wohlfahrtspositionen der Liberalisierungsszenarien (vollständige Handelsliberalisierung in der Republik Belarus, WTO-Beitritt der Republik Belarus und WTO-Agrarliberalisierung mit der Republik Belarus) wird deutlich, dass sich die landwirtschaftlichen Produzentenrenten im Durchschnitt negativ entwickeln, weil die Erzeugeranreizpreise und Produktionsmengen abnehmen. Die Molkereien und Konsumenten gewinnen an Wohlfahrt und das Budget entwickelt sich positiv. In allen Liberalisierungsalternativen steigt die Gesamtwohlfahrt der belarussischen Volkswirtschaft. Die Ergebnisse zeigen, dass die Eliminierung der Produktionssubventionen in der Republik Belarus die wesentlichen Politikänderungen der Liberalisierungsszenarien in Bezug auf die Wirkung des staatlichen Budgets darstellt.
In den Integrationsszenarien (sowohl Teilnahme der Republik Belarus an einer Zollunion mit Russland und Kasachstan als auch Teilnahme der Republik Belarus an einer präferenziellen Handelszone mit der EU) gewinnen in erster Linie die belarussischen Konsumenten, weil sie von erleichterten Importen aus den Handelspartnern profitieren können. Die Milchverarbeitungsindustrie profitiert auch von den Integrationsprozessen infolge eines besseren Marktzugangs. Ein Abbau der tarifären und nichttarifären Handelsbarrieren führt in diesen Szenarien im Durchschnitt zu Wohlfahrtsverlusten bei den landwirtschaftlichen Erzeugern und zur Belastung des Staatsbudgets. In den oben genannten Integrationsszenarien ist die Steigerung der Gesamtwohlfahrt der belarussischen Volkswirtschaft zu erwarten.
Bei einem EU-Beitritt der Republik Belarus wird deutlich, dass sich die landwirtschaftlichen Produzentenrenten negativ entwickeln. Die Milchproduzenten können vom übernommenen EU-Marktordnungssystem profitieren. Die Verbraucher verlieren an Konsumentenrente aufgrund der gestiegenen Konsumentenpreise. Da die Marktprotektion in der Republik Belarus steigt, hat der Beitritt der Republik Belarus zur EU Gesamtwohlfahrtsverluste zur Folge.
Tritt die Republik Belarus der EU bei und realisiert die EU einen vollständigen Protektionsabbau, ergeben sich Wohlfahrtsverluste der landwirtschaftlichen Betriebe und der Milchverarbeitungsindustrie. Die Verbraucher gewinnen an Konsumentenrente und das Budget entwickelt sich positiv. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Gesamtwohlfahrt der Volkswirtschaft infolge der Politikänderungen in diesem Fall verschlechtert.
Aus dem Vergleich der Ergebnisse, die ausgehend von verschiedenen Basiszeiträumen berechnet wurden, wird deutlich, dass die Wohlfahrtsänderungen in den Szenarien in Bezug auf die verschiedenen Datengrundlagen stabil bleiben und mit den politischen Veränderungen dieses Zeitraums erklärt werden können. Eine Ausnahme stellt die Milchverarbeitungsindustrie dar, weil sich die Produzentenrenten für Molkereien etwas weniger stabil verhalten. Dies ist auf die Reaktion des Modells auf die Ausgangslage des Basiszeitraums zurückzuführen.
Die Simulationsanalysen werden zum Schluss der Arbeit mit ausführlichen Sensitivitätsanalysen mit alternativen Werten für Angebots- und Nachfrageelastizitäten, für die Armington-Parameter ergänzt. Aus diesen Analysen folgt unter anderem, dass das Modell Bel-ASim auf Änderungen dieser Parameter so reagiert, dass der Einfluss auf das Gesamtergebnis relativ gering ist.
Anschließend liefern die diskutierten Simulationsergebnisse Aussagen und Politikempfehlungen zur Ausgestaltung der belarussischen Agrarpolitik.
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