In den Geweben mariner Invertebraten findet sich eine bemerkenswerte Vielfalt terminaler Pyruvatoxidoreduktasen. Außer L- und D-Laktatdehydrogenasen treten Opindehydrogenasen (OpDHs) unterschiedlicher Substratspezifität auf, die durch NADH-abhängige reduktive Kondensation von Pyruvat mit einer Aminosäure ebenfalls die Redoxbalance der anaeroben Glykolyse sicherstellen können. Auf die molekulare Basis der Aminosäurespezifität und die Evolution dieser alternativen Pyruvatoxidoreduktasen fokussierte die vorliegende Arbeit. Da in öffentlichen Sequenzdatenbanken bis vor kurzem noch keine Alanopin- oder Strombindehydrogenasen (AloDHs oder StrDHs, bevorzugen als Substrataminosäure L-Alanin bzw. Glycin) verfügbar waren, wurden aus dem Wattwurm, Arenicola marina, dem Spritzwurm, Sipunculus nudus, sowie den Austern Crassostrea gigas und Ostrea edulis ergänzt durch proteinbiochemische, vor allem auf den Vergleich von Isozymen ausgerichtete Untersuchungen insgesamt fünf vollständige und eine partielle OpDH dieses Typs sequenziert, heterolog in Escherichia coli exprimiert und mit Einträgen aus öffentlichen Sequenzdatenbanken verglichen.
Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit sequenzierten Alo/StrDHs aus A. marina, C. gigas, O. edulis und S. nudus stimmen untereinander sowie mit den Mollusken- und Anneliden-OpDHs aus öffentlichen Sequenzdatenbanken in mindestens 33 % ihrer Aminosäurereste überein und zeichnen sich durch eine strikt konservierte katalytische Triade sowie diverse andere konservierte Schlüsselreste aus. Das belegt, daß es sich bei den genannten Enzymen um homologe Proteine handelt.
Obwohl mit den neu sequenzierten OpDHs neben Octopindehydrogenasen (ODHs = OpDHs mit L-Argininpräferenz) und Tauropindehydrogenasen (TaDHs = OpDHs mit Taurinpräferenz) erstmals mehrere experimentell als solche verifizierte Alo/StrDHs für Sequenzalinierungen zur Verfügung standen, ließen sich nur bedingt Sequenzmerkmale identifizieren, welche die Aminosäurepräferenz der verschiedenen OpDHs determinieren könnten. Das ist vermutlich primär darauf zurückzuführen, daß Mollusken-, Anneliden- und Sipunculiden-OpDHs definierter Aminosäurespezifität sich mehrfach unabhängig aus einem gemeinsamen Vorläuferenzym möglicherweise breiter Aminosäuretoleranz entwickelten. Die gleiche oder ähnliche Substratspezifität von Alo/StrDHs, ODHs bzw. TaDHs aus nicht unmittelbar verwandten Arten besitzt somit wahrscheinlich eine unterschiedliche molekulare Grundlage.
Die Invertebraten-OpDHs des Mollusken-, Anneliden- und Sipunculiden-Typs bilden mit der N-(1-D-Carboxyethyl)-L-Norvalin-Dehydrogenase (CENDH) aus Arthrobacter spec., Ti-Plasmid-codierten Opinsynthasen aus Agrobacterium tumefaciens und anderen mutmaßlichen (D,L)-OpDHs eine möglicherweise auf tierische Organismen, Eubakterien und Pilze beschränkte Enzymfamilie. Zu den nächsten in öffentlichen Sequenzdatenbanken erfaßten Verwandten der OpDHs höherer Invertebraten gehören plasmidcodierte Rhizobienproteine unbekannter Funktion, von denen offenbar zumindest eins relevant für die symbiotische Beziehung zwischen Rhizobien und Leguminosen ist. Wahrscheinlich besteht auch eine entfernte Verwandtschaft zu langkettigen Mannitol-2-Dehydrogenasen sowie NADH-abhängigen Glycerin-3-Phosphatdehydrogenasen.
Bei den ersten CENDH-ähnlichen OpDHs handelte es sich möglicherweise um Opinsynthasen, die im Dienst der Eisenassimilation oder der zellulären Redoxregulation fakultativ anaerober Bakterien standen. Durch ihre Aktivität könnte es in den Habitaten entsprechender Bakterien zu einer allmählichen Akkumulation von N-(Carboxyalkyl)-Aminosäuren gekommen sein, de sekundär die Evolution von Opinoxidasen ernährungsphysiologischer Bedeutung nach sich zog. CENDH-ähnliche OpDHs gelangten vermutlich durch einmaligen (jedenfalls nach bisherigem Kenntnisstand nicht mehrfach unabhängig erfolgreichen) horizontalen Gentransfer aus einem (α-)proteobakteriellen Donor in einen gemeinsamen (eu-)metazoischen Vorläufer der heutigen Mollusken, Anneliden und Sipunculiden. Vielleicht wurde die OpDH eines in symbiotischer oder parasitischer Gemeinschaft zu einer marinen Makroalge lebenden, daneben aber auch als Epiphyt, Symbiont oder Parasit anderer Eukaryonten auftretenden photosynthetischen Bakteriums übertragen, das in seinen Eigenschaften rezenten aeroben anoxygenen Photoheterotrophen aus der marinen Roseobacter-Gruppe ähnelte und das Enzym für redoxregulatorische Zwecke im Kontext
des photosynthetischen Elektronenflusses nutzte. Die Fixierung des bakteriellen OpDH-Gens im Genom eines ursprünglichen marinen Metazoons wurde wahrscheinlich dadurch begünstigt, daß dieser Organismus in seinen Geweben über hohe Konzentrationen freier Aminosäuren verfügte und L-Argininphosphat als Phosphagen nutzte. Da der OpDH-Transfer vermutlich bereits vor der Aufspaltung von Proto- und Deuterostomiern erfolgte, ist davon auszugehen, daß rezente Bilaterier, die nicht über OpDHs verfügen, ihre alternativen Pyruvatoxidoreduktasen im Verlauf ihrer Stammesgeschichte sekundär verloren haben.
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