Pawlows Hunde waren die ersten und hatten es nicht leicht: am Kopf wurde ihnen chirurgisch ein Speichelauffangbehälter implantiert. Dann ließ man ein Glöckchen klingeln, hielt ihnen leckeres Futter vor die Nase und ließ das Schüsselchen aufsammeln, was ihnen dabei im Maul an Wasser zusammenlief. Diese berühmte Premiere für Hunde als Versuchstiere hat den Tieren damals sicherlich wenig Freude bereitet. Den russischen Wissenschaftler Iwan Pawlow aber machten seine „Pawlowschen Hunde“ unsterblich und beschenkten Psychologie und Verhaltensforschung mit den ersten Erkenntnissen zur klassischen Konditionierung.
Zum Glück hat sich der Hundealltag im Forschungslabor heute stark verändert: Rund 100 Jahre später haben Bello und Fifi bei Versuchen im Namen der Forschung deutlich mehr Spaß. In Massen strömen sie weltweit mit ihren Herrchen und Frauchen in Universitäten und warten dort auf ihren Einsatz. Getestet werden ihre Fähigkeiten, andere Menschen oder Hunde zu beobachten und zu manipulieren, ihre Kommunikationsfähigkeit wird mit der von Schimpansen und Wölfen verglichen oder sie zeigen, welche Kenntnis sie von physikalischen Vorgängen haben, wenn sie versuchen, an leckeres Futter zu kommen.
Doch diese weltweite Begeisterung für Hunde als Versuchskaninchen ist relativ neu: Seit Pawlow und später Konrad Lorenz haben Wissenschaftler um Canis lupus f. familiaris lange Zeit einen großen Bogen gemacht. Der Grund: Für viele Wissenschaftler sind sie „unechte Tiere“, sie teilen schon seit der Steinzeit unseren wachsenden Lebensstandard und liegen heute gemütlich und satt neben uns auf dem Sofa anstatt sich dem Überlebenskampf in freier Natur zu stellen und selber für ihr Futter zu sorgen. Dazu kommt, dass ihre Begabungen nicht nur durch unterschiedliche Persönlichkeit und Rasseeigenschaften, sondern auch durch das erzieherische Talent ihrer Herrchen oder Frauchen stark beeinflusst werden. Eine allgemeingültige Erforschung der Spezies „Hund“ scheint da fast unmöglich.
Forschung – Definition und Bedeutung
Die Einstellung zu wissenschaftlichen Untersuchungen ist häufig von unklaren Vorstellungen, bisweilen auch Vorurteilen geprägt. Udo Gansloßer erklärt, was sich hinter den Labortüren der Universitäten tatsächlich abspielt.
Was ist Forschung?
Forschung ist der Prozess, durch den Wissenschaft entsteht. Gute Forschung verschafft uns ein bewährtes System von Kenntnissen, die auf international akzeptierten Prinzipien basieren und die wir auch mit unseren Kollegen und Partnern teilen können. Letztlich können Forschungsergebnisse dabei helfen, im Zusammenhang mit dem Erkennen, Beschreiben und Lösen von Problemen sowie bei der Bildung von Prioritäten und Entscheidungsfindungen in Naturschutz, Tierschutz und anderen Bereichen, einschließlich der Ausbildung und Weiterbildung bei der Öffentlichkeitsarbeit, zu helfen.
Wozu braucht man Forschungsmethoden?
Forschungsmethoden zeichnen sich unter anderem aus durch logisches und rationales Denken, Objektivität, die Etablierung und Erkennung allgemeiner Muster, den Test von Hypothesen (meistens als informierte Schätzungen über Ursache und Wirkung bestimmter Zusammenhänge), die Notwendigkeit zur Beweisführung, enge und kritische Beobachtung, Quantifizierung, präzise Messungen, Test- und Kontrollvergleiche, vorsichtige Analysen, statistische Bewertung, Korrelationen, exakte Vorhersagen und Wiederholbarkeit der Ergebnisse. Diese „ernste“ Herangehensweise an Hypothesen ist wichtig, denn gute Wissenschaft beruht nicht auf Folklore, Anekdoten, Intuitionen, persönlichem Glauben oder einzelnen und statistisch unbedeutenden Vorfällen. Stattdessen hängt sie ab von der Beschaffung und kritischen Bewertung der Belege für ihre Hypothesen und von der Fähigkeit, sinnvolle und tragfähige Verallgemeinerungen zu tätigen. Dies wird durch die Verwendung solider, schlüssiger und zuverlässiger Fakten durch wiederholte Beobachtung und dort, wo notwendig, durch rigorose, systematische, experimentelle Arbeit in wiederholten Versuchsansätzen geschaffen.“
Diese Auszüge aus der Forschungsstrategie der Europäischen Zooassoziation erklären in kaum besserbarer Weise, was wissenschaftliche Arbeit mit Tieren bedeutet. Sinn ist es also, verallgemeinerbare Erkenntnisse zu gewinnen, die von den getesteten Tieren auf gleichartige (seien es vergleichbare Rassen, vergleichbare Haltungssituationen, oder andere vergleichbare Lebensumstände) verallgemeinert werden können. Sowohl durch systematische, auf vorher gefassten Hypothesen und Annahmen beruhende Datensammlung, wie auch durch gezielte Beeinflussung von Umweltsituationen in Versuchs- und Testsituationen können Daten gewonnen werden. Zur wissenschaftlichen Arbeit gehört also nicht notwendigerweise ein Versuch, solange auch auf andere Art die Randbedingungen konstant gehalten und nur eine, die zu untersuchende Bedingung verändert werden können.
Was sagt die Diskussion der Ergebnisse konkret aus?
Die Erklärung der gewonnenen Beobachtungen und Daten in einer möglichst widerspruchsfreien und mit möglichst wenig nicht belegbaren Zusatzannahmen unterstützten, zusammenhängenden Weise wird dann als Theorie bezeichnet. Eine Theorie ist also in einer wissenschaftlichen Untersuchung das „höchste Gut“, das man anstrebt. Der negative und abfällige Ton, mit denen viele Theorien im allgemeinen Sprachgebrauch abgetan werden („nur eine Theorie“), bezieht sich nicht auf den wissenschaftstheoretischen Begriff der Theorie. Vielmehr bezieht sich diese Bezeichnung auf das, was in wissenschaftlichen Untersuchungen als Hypothesen bezeichnet wird, nämlich eine noch nicht belegte und weitgehend nicht überprüfte Grundannahme. Leider hat auch unser großer Dichterfürst mit seiner abfälligen Bemerkung über die graue Theorie und den grünen Baum des Lebens nicht gerade dazu beigetragen, dies zurechtzurücken.
Gute wissenschaftliche Forschung beruht also auf wiederholbaren, verallgemeinerbaren, und mit nachvollziehbaren Methoden und in geplanter Art und Weise gesammelter Datenfülle. Zur Auswertung dieser Daten bedarf es der Statistik. Jedoch ist auch Statistik nur so gut wie die zu Grunde liegenden Daten, und daher ist es bei einer wissenschaftlichen Untersuchung unumgänglich, die statistischen Auswertemethoden bereits vor dem Beginn der Datensammlung, unmittelbar im Anschluss an die Formulierung der zu testenden Hypothesen auszuwerten. Wer Statistik benutzt wie ein Betrunkener den Laternenpfahl, nämlich zum Festhalten anstatt zur Erleuchtung, hat das Wesen der wissenschaftlichen Arbeit allgemein, und keineswegs nur das Wesen der Statistik, gründlich missverstanden.
Alles andere als graue Theorie: Hundestudien sind lebendig und stecken oft voller Überraschungen.
© Kate Kitchenham
Wer finanziert die Forschung?
Wie nicht anders zu erwarten, sind solche Vorgehensweisen zeitaufwändig und kosten auch sehr viel Mühe und oftmals Geld. Leider finden sich nur wenige Sponsoren, die allgemeingültige Untersuchungen beispielsweise über das Verhalten des Haushundes als solchen unterstützen würden. Daher sind viele der in den folgenden Kapiteln gemachten Untersuchungen in anderen Zusammenhängen begonnen worden, sei es der Hund als Modell für menschliche Verhaltens- oder auch medizinische Prozesse (z. B. in der Altersforschung), sei es im Zusammenhang mit allgemeinen Fragestellungen der Stressforschung oder im Zusammenhang mit naturschutzökologischen Untersuchungen über Gruppenstrukturen und Futterversorgung bei wild lebenden Raubtieren. Eine Zusammenschau der genannten Ergebnisse unter dem Aspekt, was können wir dadurch für unseren Haushund lernen, ist nichtsdestotrotz sehr aufschlussreich.
Heute sind die jahrzehntelangen Bedenken der Neugier und Faszination von Evolutionsbiologen und Verhaltensforschern gewichen: Zum einen sind Hunde als Forschungsobjekte reizvoll, weil Hundehalter den Gassigang gerne mit einem Abstecher an die Uni verbinden. Versuchshunde in großer Anzahl sind deshalb in der Regel leicht zu bekommen und günstig in der Haltung. Gleichzeitig erhoffen sich immer mehr Forscher vom Hund große Erkenntnisse auch über unsere eigene Geschichte: Immerhin sind sie unsere ersten gezähmten Haustiere und haben uns bei unserer Ausbreitung über die Weltkugel und zunehmenden Zivilisierung begleitet. Dabei hat sich aber nicht nur der Hund, sondern parallel mit ihm auch der Mensch in seinen Fähigkeiten und Vorlieben in einem ähnlich schnellen Tempo verändert. Besonders der Vergleich dieser kognitiven Talente weckt zurzeit das Interesse von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt. Ihr Ziel: Verstehen, wie Hunde denken – und dadurch nachvollziehen, wie die Entwicklung geistiger Fähigkeiten funktioniert.
Dank dieser Forschungen wissen wir heute, dass Hunde in ihrem Hundeleben viel mehr lernen als nur die Bedeutung von „Sitz“ und „Platz“: Sie sind z. B. ähnlich wie Kleinkinder in der Lage, Wörter zu lernen –1.022 Begriffe konnte sich Border Collie Hündin „Chaser“ merken (siehe hier). Außerdem können sie feinste Zeichen deuten, die ihnen ihre Besitzer signalisieren – z. B. wenn wir nur über Augenbewegung andeuten, wo sich ein Leckerbissen versteckt hat (siehe hier). In der Beziehung mit Menschen verhalten sich Hunde bei Mann und Frau unterschiedlich, wie Forscher um den...