KAPITEL 1 – RÜCKBLICK
ERINNERUNGEN
Pferde eroberten schon als kleines Mädchen mein Herz. Meine Eltern besaßen keine Pferde, aber in der Nachbarschaft meines Elternhauses lebten drei Islandpferde. Diese standen in einer – für damalige Verhältnisse – extrem modernen Offenstallhaltung und wurden nur am Wochenende von den Besitzern ausgeritten. Ich kletterte bei jeder Gelegenheit über den Zaun und verbrachte Stunden mit Putzen und Streicheln. Oft setzte ich mich auch einfach nur auf die Weide und beobachtete die Pferde. Ihr ruhiger Atem und ihre gleichmäßige vorhersehbare Ruhe zogen mich magisch an.
Ich bin ein sensibler Mensch, ich war ein sensibles Kind. Vieles in der Welt der Erwachsenen war mir zu hektisch, zu laut, zu unverständlich. Ich wurde nervös und unruhig.
Bei den Pferden erlebte ich eine vorhersehbare Gleichmäßigkeit, die sich nur veränderte, wenn aus der Perspektive der Pferde Gefahr drohte. Dann lachte ich, weil ich ja wusste, dass dieser Vogel, der da gerade hochflog, kein Grund zum Erschrecken war. Erwachsene sagten mir: „Pferde sind dumm.“ Aber aus Perspektive der Pferde war der hochfliegende Vogel eine potenzielle Bedrohung, vor der sie sich erst mal zurückzogen, die Gefährlichkeit abwogen und dann nach einer Weile wieder zur Ruhe kamen.
Reiten gefiel mir auch als älteres Kind. In weiterer Nachbarschaft durfte ich für 50 Pfennig pro Stunde Ponys mieten. Das war für mich allerdings nur ein mäßiger Spaß. Die Ponys machten, was sie wollten. Die „Vermieter“, die in einem Bauwagen lebten, gaben uns Peitschen in die Hand und sagten, wir sollten die Ponys halt hauen. Aber meine kleinen Kinderhände konnten da nicht viel ausrichten. Ich glaube, sie wollten es auch gar nicht. Ich liebte Pferde – damals wie heute.
Fast jedes 50-Pfennig-Stück, das ich ergattern konnte, floss in die Hände der Bauwagen-Leute. Ich beließ es meistens dabei, die Ponys grasen zu lassen, sobald sie mit mir den Hof verlassen hatten. Es macht mir keinen Spaß, ihre Köpfe an der Trense hochzureißen, um sie vom Fressen abzuhalten, und mit der Peitsche voranzutreiben, damit sie vorwärtsgingen. Es fühlte sich nie schön an. Also zahlte ich und schenkte den Ponys und mir außerhalb des Bauwagen-Grundstücks eine gute Zeit.
SEHNSUCHT NACH ZUSAMMENHALT
Als ich später in die Sportreiterei einstieg, änderte sich meine Perspektive und ich begann, Pferde härter anzufassen, um meine Ziele zu erreichen. Es blieb aber bei dem unguten Gefühl, dass da etwas war, das ich nicht begriff.
Zunächst aber suchte ich einfach nur die wundersame, ruhige und harmonische Welt der Pferde. Bei der Herde sein, ohne Streit, ohne laute Worte. Pferde strahlten diese unnachahmliche Ruhe, Stärke und Größe aus, die mich ansprach und anzog.
Häufig wird mir die Frage gestellt, warum ich denke, dass Mädchen sich so zu Pferden hingezogen fühlen. Aus wissenschaftlicher Sicht habe ich dazu keine Belege. Bei mir persönlich war es so, dass ich mich bei den Pferden einfach sicher und wohl gefühlt habe.
Pferde fordern nicht, sie wollen nur sein. Sie sind da, fressen, kraulen sich, geben gegenseitig auf sich acht und sichern als Herdenverband ihr Überleben. Wenn ich als Kind mal wieder Hausarrest bekam, fühlte ich mich gar nicht mehr als Teil eines Familienverbandes. Bei Pferden konnte ich so ein Verhalten nie beobachten. Ich erlebte sie als starken Verbund mit absolutem Zusammenhalt. Bedrohte man sie nicht, empfanden sie keine Überlebensangst und zeigten auch keine Unruhe, keine Nervosität. Das hat mich von jeher begeistert.
Menschliches Zusammensein und Leben ist wesentlich komplexer und bringt viel mehr Aufregung mit sich. Das habe ich als Kind so empfunden. Bei den Pferden war ich zu Hause, bei den Pferden konnte ich ich sein. Ich sprach stundenlang mit ihnen, graste förmlich mit ihnen, und da ich nur gelegentlich ausreiten durfte, forderte ich auch nichts.
Ich merkte allerdings schnell, dass die Pferde in Aufregung gerieten, wenn ich etwas machen wollte, was ihnen missfiel. Wollte ich einen der Isländer allein von der Koppel zum Stall holen, um ihn zu putzen, tänzelte er nervös umher, riss sich vielleicht sogar los oder quetschte mich, die ihm ja nur Gutes wollte, am Putzplatz an der Wand ein, sodass ich keine Luft mehr bekam und Angst hatte. Das einzelne Pferd wollte nicht bei mir sein. Es wollte zu den Freunden zurück. Das waren die Momente, in denen ich in Gefahr geriet und das Verhalten der Pferde einfach nicht verstand. Erwachsene sagten mir: „Pferde sind gefährlich, da musst du aufpassen!“
Wenn ich das Pferd erfolgreich von der Koppel hinter mir hergezogen hatte, um zum Putzplatz zu kommen, wo ich es anbinden wollte – als kleiner Knirps von gefühlten acht Jahren –, so wie es mir die Erwachsenen gezeigt hatten, dann konnte ich das Pferd nicht in Ruhe putzen und pflegen. Da konnte ich auch mal ärgerlich werden, denn das Pferd verdarb mir ja aus meiner Perspektive die schöne Zeit. Ich wollte das Pferd stundenlang putzen, Hufe auskratzen und Huföl auftragen, während es nur nach seinen Freunden rief. Aus meiner Menschperspektive war es verständlich, dass ich sauer wurde. Von der Pferdeperspektive sprach damals niemand.
Pferde sollten gefälligst spuren, sonst galten sie als aggressiv, gefährlich oder unreitbar. Dieses Prädikat war für die meisten Pferde eine Sackgasse, aus der sie nur selten wieder herauskamen. Erwachsene sagten mir, dass ein Pferd mit seinen „verrückten Ideen“ nicht durchkommen dürfe, dass man sich durchsetzen und ihm ordentlich „Bescheid sagen“ müsse.
Aber wenn ein Erwachsener ein Pferd anbrüllte, dann beobachtete ich, dass das Pferd oftmals gar nicht fügsamer, sondern immer aufgeregter wurde. Ich spürte, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte. Nachmachen konnte ich das nicht. Ich schob es darauf, dass ich ja noch zu klein war. Aber würde später alles besser werden? Mit physischer Stärke? Ließen wir die Pferde in Ruhe, dann passierten diese Dinge ja gar nicht. Richtig einordnen konnte ich das zu dem Zeitpunkt noch nicht.
IM ZWIESPALT
Irgendwie zog sich dieser Zwiespalt durch die nächsten 40 Jahre meines Zusammenseins mit Pferden hindurch. Man sollte sich durchsetzen, Macht ausüben, sich das Pferd gefügig machen.
Ich habe seit diesen Kindheitstagen eine lange Reise mit Pferden hinter mir. Bis heute habe ich nicht aufgegeben, daran festzuhalten, dass wir uns darin üben müssen, die Perspektive des Pferdes einzunehmen. Es gilt, ihre natürlichen Verhaltensweisen verstehen zu lernen und dementsprechend Lösungsansätze zu finden und anzubieten, denen Pferde angstfrei folgen können.
Denn ohne uns, ohne unser Handeln und Streben haben Pferde ja gar keine Probleme. Dieser Gedanke fasziniert mich bis heute. Aber damals dachte ich: Mögen Pferde uns nicht? Haben sie Angst vor uns Menschen? Warum kommen wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner?
Wenn alle drei Islandpferde gemeinsam am Putzplatz standen, bevor die ganze Familie ausreiten wollte, dann konnte ich sie problemlos stundenlang bürsten, flechten, Hufe reinigen und einölen – also all diese wunderbaren Sachen mit ihnen machen, die mir so viel Spaß machten.
Manchmal scharrten die Ponys mit den Hufen. Das störte mich, regte mich aber auch zum Nachdenken an. Die Erwachsenen schrien: „Hey, jetzt halt doch mal still, pass bloß auf, du!“ Manchmal war dann für ein paar Minuten Ruhe, aber wenn das Pferd erneut scharrte, wurde das Verhalten von den Erwachsenen ignoriert oder gar nicht bemerkt.
Ich fragte mich: „Warum hat das Pferd eben gescharrt, aufgehört und wieder angefangen?“ Wenn ich fragte, hieß es oft: „Frag nicht so viel!“ Dann war ich still. Wollten sie es mir nicht erklären, weil ich vielleicht noch zu klein oder zu dumm war? Aber später, wenn ich selbst mal eine große Reiterin war, dann würde ich es verstehen und den Kleinen erklären.
Es gab einfach so viele Beispiele, die mich zum Nachdenken anregten. Wenn ein Pferd bockte, ausschlug oder nervös wurde, dann dachte ich: „Oh, das arme Pferd!“ Gleichzeitig bewunderte ich die Erwachsenen, die sich durchsetzen konnten. Eines Tages würde ich das auch können. Ein Schlag, ein Schrei, dann war „Ruhe im Karton“. Irgendwie war ich davon überzeugt, das gehörte so und die Erwachsenen wüssten, was sie tun.
Ich selbst erfuhr ja auch Konsequenzen. Wenn ich aus der Perspektive meiner Eltern etwas falsch machte, dann folgte darauf eine Strafe. Hielt ich mich an die Regeln, dann war alles ruhig. Widersetzte ich mich, dann bekam ich Ärger. So wie ich erzogen wurde, so erzog man auch Pferde. Das gleiche Prinzip, manchmal vielleicht noch härter. Es erschien logisch, konsequent und stringent. Nur manchmal, manchmal ging es schief. Da riss sich ein Pferd los, da „hängte“ sich eines am Halfter auf, da fiel eines hin. Nicht immer funktionierte das Prinzip der Strafe. Hatte das Pferd doch mehr Macht über uns, als wir glaubten?
Ich habe diese Form der Machtausübung lebenslang als ungut empfunden. Aber es war eben auch so, dass es „so gehörte“. Fertig! Wenn mir eine Peitsche in die Hand gedrückt wurde, kniff ich die Augen zu und hielt die Luft an, weil es mir so leidtat, ein Pferd zu strafen. Ich wollte das Pferd nicht in Angst und Aufregung bringen. Es fühlte sich falsch an. Trotzdem tat ich wie geheißen.
ERFAHRUNGSHORIZONTE
Nach der Zeit mit den Islandpferden bekam ich mein eigenes Deutsches Reitpony und war damit vollkommen überfordert. Wir machten das Beste daraus. Da Dominik in einem Sportpferdestall untergebracht war, war der Weg in den Turniersport vorprogrammiert. Ich hoffte, nun...