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Verdammtes Licht

Der Katholizismus und die Aufklärung

AutorHubert Wolf
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl316 Seiten
ISBN9783406741081
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Päpste haben das Licht der Aufklärung als Ketzerei verdammt. Aufklärer wie Voltaire wollten die Kirche vernichten. Vermittelnde Versuche, dem Katholizismus selbst eine Aufklärung zu verordnen, wurden als 'Zeit-Irrtümer' verurteilt. Hubert Wolf zeichnet in meisterhaften Fallstudien den epochalen Konflikt nach und macht deutlich, warum sich eine katholische Aufklärung bis heute gegen Widerstände durchsetzen muss.
Wenn von den 'Werten des Westens' die Rede ist, werden Christentum und Aufklärung gern in einem Atemzug genannt und gegen andere Religionen in Stellung gebracht. Dabei wird übersehen, wie hart der Vatikan bis ins 20. Jahrhundert gegen das 'Licht der Vernunft' zu Felde gezogen ist. Hubert Wolf erklärt, warum die Päpste mehr Angst vor Demokratie und Aufklärung hatten als vor Romfreundlichen Diktaturen, wie katholische 'Laien' für ein Ende ihrer Unmündigkeit kämpften, aufgeklärte Theologen sich von Rom emanzipierten und demokratische Politiker für ihren katholischen Glauben stritten. In den letzten Jahrzehnten hat die Kirche ihre militante Ablehnung der Aufklärung revidiert, Traumata verarbeitet, sich geöffnet. Aber noch immer sind Demokratie und Aufklärung keine Selbstverständlichkeit. Das engagierte Buch klärt den Katholizismus über seine Konfliktgeschichte mit der Aufklärung auf, um ihn endlich mit ihr zu versöhnen.

Hubert Wolf ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde mit dem<i> Leibnizpreis </i>der DFG, dem <i>Communicator-Preis</i> und dem <i>Gutenberg-Preis</i> ausgezeichnet.

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Leseprobe

Prolog

Unmöglich?
Katholische Aufklärung*


«Aufklärung im wahren Sinn des Wortes ist gleichbedeutend mit Erkenntnis, und einen Menschen aufklären heißt, ihm eine richtige, mit der objektiven Wirklichkeit übereinstimmende Erkenntnis einer Sache mitteilen. In diesem Sinne ist die Aufklärung vollkommen berechtigt und notwendig, sowohl in profanen wie in religiösen Dingen. Von dieser wahren ist aber die falsche Aufklärung, welche sich im 18. Jahrhundert in Deutschland unter dem spezifischen Namen ‹Aufklärung› auf dem religiösen Gebiet geltend zu machen suchte, wohl zu unterscheiden. Sie ist nach der Definition Kants … ‹der Ausgang der Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit›, das heißt mit anderen Worten: die falsche Aufklärung ist die schrankenlose Herrschaft der menschlichen Vernunft mit Verwerfung einer jeden Auctorität, ihr letztes Ziel ist die Verherrlichung des Naturalismus in seinen verschiedenen Gestalten im Gegensatze zur übernatürlichen geoffenbarten Religion.» – Mit diesen Formulierungen beginnt der Kirchenhistoriker und spätere Mainzer Bischof Heinrich Brück seinen Artikel «Aufklärung, wahre und falsche» in der zweiten, 1882 erschienenen Auflage des Wetzer und Welte’schen Kirchenlexikons.[1] Brück fährt fort: «Diesen Zweck verfolgen mehr oder weniger alle Anhänger der falschen Aufklärung, mögen sie noch einige Reste des positiven Glaubens sich erhalten oder ganz mit demselben gebrochen haben. Diese naturalistische, höchst verderbliche, Glauben und Sitten untergrabende Richtung ging aus dem Schoße des Protestantismus hervor, drang aber auch in katholische Kreise ein und war überall von den schlimmsten Wirkungen begleitet.»[2]

Die «Pfützen der protestantischen Aufklärer»


Nach der Beschreibung der ganz und gar verderbten protestantischen Aufklärung kommt der Verfasser auch auf die «falsche» Aufklärung im Katholizismus zu sprechen. Er macht dabei folgende Ursachen für das Eindringen der Aufklärung in die katholische Kirche geltend: «Die gallikanisch-staatskirchlichen Grundsätze, welche an den Höfen herrschten, die sittliche Fäulnis des hohen Adels, welcher mit einer äußeren Glätte zugleich den Unglauben und die Frivolität der französischen Salons sich angeeignet hatte, die Verweltlichung eines Teils des höheren Klerus und insbesondere die Tätigkeit der geheimen Gesellschaften, wie der Illuminaten, hatten die Gemüter schon hinlänglich für das Gift der falschen Aufklärung empfänglich gemacht.»[3] Mittelschicht und Bauerntum seien kaum betroffen gewesen, stark dagegen die Theologen und vor allem zahlreiche gebildete Benediktiner. Anstatt aus den Quellen der Konzilien und Kirchenväter zu schöpfen, wandten sich die aufgeklärten Professoren der Theologie, so Brück wörtlich, «nur zu sehr den Pfützen der protestantischen Aufklärer zu, deren seichtes Geschwätz als der Inbegriff aller Weisheit gepriesen war».[4] Bald sei die gesamte theologische Landschaft Deutschlands davon infiziert worden. Die Aufklärung blieb laut Brück aber nicht auf die Theorie beschränkt, sondern richtete auch im kirchlichen Leben große Verheerungen an. «Recht augenfällig traten dieselben in der Liturgie hervor, die man ihres höheren, mystischen Elements beraubte.»[5] Die neuen Gesang- und Gebetbücher ließen nach Ansicht Brücks die echt christlichen und volkstümlichen Andachten vermissen und boten statt der glaubensvollen Gesänge und Gebete «verwässerte und langweilige Erzeugnisse der Aufklärung».[6]

Außerdem kritisiert Brück, dass die Aufklärer die lateinische Sprache durch die jeweilige Muttersprache ersetzen wollten. Und weiter: «Vermöge der inneren Verwandtschaft zwischen den katholischen und protestantischen Aufklärern, eiferten erstere auch für die religiöse Toleranz, das heißt den Indifferentismus, und gegen die Kontroverspredigten. Ein charakteristisches Merkmal der Aufklärer ist ihre Feindschaft gegen das Ordensleben, dem sie durch ihre Reformprojekte den Todesstoß versetzen wollten. Endlich schwärmten dieselben für Nationalkirchen, deren Grenzen mit den einzelnen Territorien zusammenfallen sollten.»[7] Insbesondere zahlreiche Fürstbischöfe der Reichskirche taten sich in Brücks Augen als schlimme Reformer hervor. Aber, so der Kirchenhistoriker abschließend, «zum Glück scheiterte das ganze Unternehmen an der Festigkeit des katholischen Volkes, der Treue des Klerus und an dem Widerstande, welchen, gleich dem römischen Stuhl, die Domkapitel den Plänen der neuerungssüchtigen Kirchenfürsten entgegensetzten».[8]

Wenn es nach dem Ende des 19. Jahrhunderts führenden katholischen Lexikon ginge, wäre die Frage nach der Bewertung der «katholischen Aufklärung» eindeutig negativ beantwortet. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, als nicht nur der entsprechende Artikel im Lexikon für Theologie und Kirche[9] aus dem Jahr 1930 als Nachfolger des Wetzer und Welte, sondern auch die einschlägigen Hand- und Lehrbücher der Kirchengeschichte fast durchgängig bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts an diesem eindeutigen Verdikt der Aufklärung als Epoche im Allgemeinen und der «katholischen Aufklärung» im Besonderen – wenn auch sprachlich mitunter etwas abgemildert – festhielten, wie Bernhard Schneider in seinem 1998 erschienenen großen Forschungsüberblick überzeugend nachgewiesen hat.[10]

Aufklärung ist demnach etwas dem Katholizismus und der katholischen Kirche grundsätzlich Wesensfremdes. Sie hat ihren Ursprung in der evangelischen Häresie: Sie ging – wie es der Tübinger neuscholastische Philosoph Ludwig Baur 1930 formulierte – «von der protestantischen Theologie aus», aber «der aufklärerische Geist drang auch in die katholische Theologie ein». Ihre theoretischen Kennzeichen waren laut Baur: unbegrenzter Rationalismus, Ablehnung aller Autorität in Staat und Kirche, Naturalismus und Moralismus, Streben nach dem falschen «Ruhm der Wissenschaftlichkeit», «Erschütterung des Glaubens an eine übernatürliche Offenbarung» und ein «platte[r] Utilitarismus». Auf dem Feld der Praxis «zersetzte und lähmte» die Aufklärung demnach alles, was katholische Frömmigkeit ausmacht: Wallfahrten, Heiligen- und Reliquienverehrung, Prozessionen, die wahre Mystik des Messopfers durch Bekämpfung des Lateins als Liturgiesprache, Zölibat und Mönchtum. Kirchenpolitisch galt die Aufklärung schon wegen ihrer vermeintlich protestantischen Ursprünge als eine Los-von-Rom-Bewegung.[11]

Rütteln am Tabu


Als Träger der falschen Aufklärung innerhalb der katholischen Kirche identifizierte die einschlägige katholische Forschung vor allem zwei Gruppen: katholische Theologieprofessoren, die sich durch die Lektüre gefährlicher protestantischer Autoren mit dem aufgeklärten Virus infizierten, und zahlreiche adelige Fürstbischöfe der Reichskirche, die nach dem Westfälischen Frieden von «gallikanischen» und «nationalkirchlichen» Ideen umgetrieben waren, die letztlich auf eine «gefährliche» konfessionelle Toleranz, auf eine unmäßige Betonung des episkopalen Selbstbewusstseins und die Verweigerung des dem Papst geschuldeten Gehorsams hinausliefen. Als Gegner der Aufklärung werden das einfache katholische Volk, der Großteil des niederen Seelsorgeklerus und vor allem die Römische Kurie und der Papst genannt. Ihnen sei zu verdanken, dass die katholische Kirche diese Infektion trotz einiger Krankheitssymptome im Letzten unbeschadet überstanden habe.[12]

Dass die Ansicht, die Aufklärung stehe «dem Christentum feindselig»[13] gegenüber und eine «katholische Aufklärung» sei prinzipiell unmöglich, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts den Mainstream der katholischen Historiographie dominierte, mag einigermaßen überraschen, hatte es doch bereits kurz nach der Jahrhundertwende entscheidende Ansätze zu einer grundsätzlich neuen, positiven Bewertung der entsprechenden Entwicklungen gegeben. Federführend war der Würzburger Kirchenhistoriker Sebastian Merkle, der 1908 auf einer Historikertagung in Berlin eine viel beachtete Rede über «Die katholische Beurteilung des Aufklärungszeitalters» vortrug.[14]

Merkle hielt eine «schlechthinnige Verdammung» der Aufklärung als «einer missliebigen Epoche»[15] für historisch nicht tragbar. «Epitheta wie geistlos, fad, schal, seicht, wässerig, verschwommen, oberflächlich, armselig, frech, schamlos, widerwärtig, ekelhaft, frivol, blasphemisch» – wie sie die...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel4
Zum Buch316
Über den Autor316
Impressum5
Inhalt6
Verdammtes Licht!10
Prolog Unmöglich? Katholische Aufklärung18
Die «Pfützen der protestantischen Aufklärer»19
Rütteln am Tabu21
Katholische Aufklärung als Widerspruch in sich24
Viele Lichter statt einer Aufklärung26
Katholizismen im Plural statt Katholizismus im Singular29
Benedikt XVI., die Aufklärung und der Islam32
Zwei Lichter, eine Quelle33
1. Offen für Erleuchtung? Die vielfältigen Optionen der katholischen Kirche36
Mythos Reformunfähigkeit37
Aufbrüche und Rückschläge38
Wider die Einsamkeit des Papstes40
Mehr Verantwortung für die Teilkirchen42
Die Stimme der Laien bei Bischofswahlen43
Mächtige Frauen44
Mythos Trient45
Denken statt Nicken47
2. Dunkelmänner oder aufgeklärte Gelehrte? Römische Zensoren und die Moderne48
Offenbarung gegen Wissenschaft49
Zensur als Normalfall51
Inquisition und Indexkongregation52
Absage an die moderne Physik54
Evolution oder Schöpfung57
Protestantische Häresien61
Geschichte versus Dogma63
Gescheiterte Totalkontrolle66
3. Ein emsländischer Durchblicker? Ludwig Windthorsts Politikaus dem Glauben68
Zwischen den Zeiten69
Ein aufgeklärter Katholik?71
Aufstieg der Ultramontanen73
Religiöse Toleranz in Muffrika75
Der ungeliebte Preußenstaat77
Gleiches Recht für alle78
Erschossen – und auferstanden80
Was bleibt82
4. Mündige Laien? 100 Katholikentage als Suchscheinwerfer84
Nicht ohne Revolution86
Nicht ohne Reform87
Nicht ohne Gestaltungswillen und Glaubenserfahrung89
Nicht ohne Repräsentation des ganzen Spektrums90
Nicht ohne Frauen91
Nicht ohne Werte für Staat und Gesellschaft92
«Freudig und furchtlos ans Werk»93
5. Dunkle Seiten des Absolutismus? Die katholische Kirche zwischen Monarchie und Kollegialität96
Papalismus und das Erste Vatikanum98
Die Alternative des Konstanzer Konzils100
«Repraesentatio» als Schlüsselbegriff102
Mystischer Leib und streitende Kirche103
Stiefk inder der Kirchengeschichte106
Neue Fokussierungen108
6. Friedenslichter? Matthias Erzberger und der Vatikan112
Drei Nuntien und ein Auditor113
Nachrichten und andere Gefälligkeiten116
Der direkte Draht nach Rom118
Gegen den Kriegseintritt Italiens121
Erzbergers Antwort auf die Römische Frage122
Friedenssucher126
Vaterlandsverräter oder Agent Deutschlands129
7. Ein römischer Nachtwächter? Nuntius Eugenio Pacelli als politischer Kleriker132
Zwischen Religion und Politik133
Zwischen Politicanti und Zelanti134
Römische Vorgaben für den Nuntius137
Republik oder Kaiserreich?138
Die Circostanze der Weimarer Koalition140
Das heikle Terrain der Ökumene143
Priesterliche Frömmigkeit und diplomatisches Geschick145
8. Verdammte Finsternis? Die römische Inquisition und der Rassismus148
Die Öffnung des Archivs der Glaubenskongregation149
«Mein Kampf» auf dem Index der verbotenen Bücher?150
Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den «Zeitirrtümern»152
Der Papst und sein Kardinalstaatssekretär154
Pläne für einen «Syllabus gegen den Rassismus»156
Gleichheit aller Menschen vor Gott. Die Gutachten von März 1935159
Zusammengefasste Irrtümer. Die 47 Propositiones von Mai 1935161
Rassismus als «sozialer Modernismus». Die Voten der Konsultoren162
Ein Entwurf in verständlicher Sprache. Die Kommission des Jahres 1936164
Die 24 Propositiones von Oktober 1936166
Der «Syllabus gegen den Rassismus» der Studienkongregation168
Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben169
Die nicht erschienene Anti-Rassismus-Enzyklika171
Pläne für die Exkommunikation Hitlers173
Neues zur Enzyklika «Mit brennender Sorge»174
Deutsche Bischöfe in Rom176
Kardinal Faulhabers Entwurf178
Pacellis Redaktion181
Zusammenschau von Syllabus und Enzyklika183
Zwölf Thesen zur Verurteilung des Rassismus185
9. Kampf ums Licht? Katholiken und Muslime zwischen Aufklärung und Fundamentalismus190
Antimodern, fundamentalistisch und undemokratisch190
Katholizismen und Menschenrechte192
Die katholische Kirche und die Französische Revolution194
Ultramontane gegen Liberale196
Antimodernismus auf die Spitze getrieben199
Verdammte und geliebte Freiheiten202
Das Revolutionstrauma der Päpste204
Die unklaren Grenzen von Kirche und Staat206
Annäherungen an die Demokratie207
Die Wende auf dem Konzil209
Die gelungene Integration der Katholiken211
Ein Weg auch für Muslime213
Die Religionen der Globalisierungsverlierer215
Ein lohnender Vergleich218
Epilog: Möglich! Warum das Licht der Aufklärung heute vor Historikern geschützt werden muss220
Expedition zu den Quellen221
Eine neue Bedrohung der Fakten223
Der nackte Kaiser225
Re-Turn zu den Quellen227
Der Streit ums Priesterseminar230
Der Streit ums Reichskonkordat231
Quellen verpflichten233
Anhang236
Dank238
Anmerkungen240
Personenregister312

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