II. Werte und Prinzipien
51Die positiven Auswirkungen klar definierter Werte und Prinzipien auf das Alltagsgeschäft – ausgedrückt in einem Kanzleileitbild – werden unterschätzt. Richtig eingesetzt, lösen sich über ein werte- und prinzipienorientiertes Kanzleileitbild nahezu alle Fragen und Probleme der Unternehmensführung auf. Sie sind einfach nicht mehr da. Der Großteil der Herausforderungen, denen Sie sich täglich in der Kanzlei stellen müssen, erledigt sich allein durch die strikte Orientierung an verbindlichen Werten und Prinzipien. Ist dies nicht eine äußerst attraktive Vorstellung?
1. Die Macht von Werten und Prinzipien
52Wenn dem tatsächlich so ist, woran liegt es dann, dass die Festlegung von Werten und Prinzipien von Inhabern und Partnern einer Steuerberatungskanzlei nicht konsequent in den Fokus genommen wird? In allererster Linie ist es der Einwand der fehlenden Zeit, den viele Steuerberater zur Begründung ihrer zögerlichen Haltung anführen. Die Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen der Kanzleiführung erfordert ein erhebliches Zeitinvestment. Fehlende Zeit wird übrigens für die aufgeschobene Erledigung vieler wichtiger Dinge als Ausrede herangezogen. Nichts anderes ist es nämlich: eine Ausrede. Denn es liegt nicht an der fehlenden Zeit, sondern an einer falschen Priorisierung, die sich mehr am Dringlichen als am Wichtigen orientiert.
53Auch zeigt ein im Zuge der Erstellung der Kanzlei-Homepage unter Zeitdruck und aus bloßen Marketing-Erwägungen erstelltes Leitbild, dessen alleiniger Zweck es ist, die Rubrik „Unsere Kanzleiphilosophie” auf der Homepage zu füllen, wenig bis gar keine Wirkung. Durch diese negative Erfahrung werden die Führungsteams vieler Kanzleien in der Annahme bestärkt, Werte und Prinzipien hätten keine besondere Bedeutung.
Ein weiterer Irrtum ist es, zu glauben, die Kanzleiphilosophie richte sich – als Teil des Marketingplans – nur an die Mandanten. Natürlich soll und will man mit seinen Werten und Prinzipien Mandanten interessieren; am besten jene, die identische Wertvorstellungen haben. Aber in erster Linie sollte das Leitbild die Richtung des Denkens und Handelns für die
Inhaber und
Mitarbeiter vorgeben. Allein schon aus diesem Grund sollte es dem entsprechen, was die Kanzlei auch tatsächlich leben möchte. Klar definierte, verbindliche und von der Kanzleileitung vorgelebte Wertvorstellungen vermitteln allen Mitarbeitern Orientierung für ihr Verhalten nach innen und nach außen.
1)a) Grundsatzentscheidungen statt Einzelfallentscheidungen
54Ein Unternehmen zu führen, bedeutet, Entscheidungen zu treffen. Wesenselement jeder Entscheidung ist Unsicherheit. Mit wohlüberlegten und durchdachten Grundsatzentscheidungen, also der Definition von Werten und Prinzipien als Richtschnur allen Handelns, reduzieren sich die Unsicherheitsfaktoren der täglich zu treffenden Einzelentscheidungen beträchtlich. Das hat zwei wesentliche Effekte: Erstens, dass Sie als Chef weniger entscheiden müssen, da Ihre durch das Kanzleileitbild angeleiteten Mitarbeiter bereits gehandelt haben, wodurch Sie enorm Zeit gewinnen. Und zweitens verringern Sie durch die in ein Kanzleileitbild eingebundenen Grundsatzentscheidungen auch das Risiko sich widersprechender Einzelentscheidungen!
55Mit drei Beispielen aus meiner Beratungspraxis will ich diese verblüffende Wirkung eines Kanzleileitbildes demonstrieren:
| PET: Diese drei Buchstaben waren das Ergebnis eines ausführlichen und umfangreichen Prozesses einer Leitbilderstellung. Sie stehen für „Perfektion”, „Enthusiasmus” und „Teamspirit”. Nimmt man „PET” ernst, dann ist vollkommen klar, wie z. B. eine Besprechung vorbereitet und abgehalten wird, wie ein Bilanzbericht auszusehen hat, wie sich Teammeetings anfühlen sollen und welche EDV-Investitionen notwendig sind. Es gibt darüber keine langwierigen Diskussionen mehr. Weder in der Führung noch im Team. |
| Schreibt sich eine Kanzlei „Innovation” auf die Fahnen, ist jede Entscheidung zur Hard- und Software deutlich einfacher und schneller zu treffen als in einer Kanzlei, die sich nicht klar zu Innovationen bekennt. Mitarbeiter in einer innovativen Kanzlei wissen, dass Arbeitsabläufe immer wieder hinterfragt und Neues getestet werden muss. Sie sind Änderungen gegenüber deutlich aufgeschlossener. |
| Ist „Wachstum” als Grundsatzentscheidung festgelegt, dann sind damit auch schon eine Reihe weiterer (Folge-)Entscheidungen getroffen. Während eine Kanzlei in beengten räumlichen Verhältnissen möglicherweise monatelang überlegt, in welche Räume sie übersiedeln soll, wenn sie kein klares Wertebild hat, ist für eine wachstumsorientiert ausgerichtete Kanzlei eindeutig klar, eine Variante zu wählen, die Wachstumsreserven bietet. |
56Unternehmenspolitik zu betreiben, bedeutet, Grundsatzentscheidungen statt Einzelfallentscheidungen zu treffen. Das ist die hohe Schule des Managements, die oberste Stufe der unternehmerischen Willensbildung mit dem größtmöglichen Freiheitsgrad. Unternehmungspolitische Entscheide haben immer einen geringen Konkretisierungsgrad. Sie sind allgemein. Sie sind operationell. Sie sind auf eine langfristige Wirkung angelegt und nicht terminiert. Sie gelten „von jetzt an”, ohne fixierte zeitliche Beschränkung. Und genau darin liegt ihre Stärke.
Für eine Einordnung von Werten und Prinzipien in die Unternehmenspolitik ist die folgende Hierarchie hilfreich:
| Mission einer Kanzlei – sie klärt das WARUM |
| Vision einer Kanzlei – sie beantwortet die Frage nach dem WAS |
| Werte und Prinzipien – beantworten die Frage nach dem WIE |
Peter Drucker bringt es auf den Punkt, woran sich Führungskräfte orientieren sollen:
„Effective executives don´t make any decisions. They solve generic problems through policy.”2)b) Werte – Prinzipien? Mehr als ein gradueller Unterschied!
57So sehr sich Werte und Prinzipien in ihrer Wirkung für die Führung einer Kanzlei gleichen – und daher oft synonym verwendet werden –, so sehr unterscheiden sie sich in ihrer Herkunft. Und dieser grundlegende Unterschied ist bedeutsam für die Herangehensweise bei der Erstellung eines Leitbilds.
Was sagt denn
Wikipedia3) zu den zwei Begriffen „Wert” und „Prinzip”?
„Wertvorstellungen sind Vorstellungen über Eigenschaften, die Dingen, Ideen, Beziehungen u. a. m. von einzelnen Akteuren oder sozialen Gruppen von Menschen beigelegt werden und die den Wertenden wünschenswert und wichtig sind.”
„Ein Prinzip ist ein Gesetz, das anderen Gesetzen übergeordnet ist. Im klassischen Sinne steht das Prinzip zwingend an oberster Stelle.”
58Diese Definitionen zeigen, dass bei der Festlegung von Werten eine Gruppe oder ein Individuum für sich selbst bestimmt, was richtig beziehungsweise wünschenswert ist. Werte sind bestimmt von vergangenen Erlebnissen und sind eng verbunden mit der...