In wie weit war das Klima im 19. Jahrhundert konstant?
VORTRAG GEHALTEN AUF DEM VIII. DEUTSCHEN GEOGRAPHENTAG ZU BERLIN 1889
VON
Prof. Dr. EDUARD BRÜCKNER
IN BERN.
Von jeher hat die Frage nach Änderungen des Klimas in historischer Zeit das Interesse der weitesten Kreise in hervorragendem Maße beansprucht, wohnt ihr doch unleugbar eine große praktische Bedeutung inne. Denn ist einmal der Nachweis erbracht, dass die klimatischen Verhältnisse unseres Erdballs vor den Augen der Menschen eine Änderung erlitten, so müssen wir auch unbedingt mit der Möglichkeit rechnen, dass in der näheren Zukunft sich Änderungen vollziehen. Solche aber könnten nicht ohne den tiefgehendsten Einfluss auf das ganze Leben und Treiben des Menschengeschlechts bleiben. So enthält bis zu einem gewissen Grade die allgemeine Antwort auf jene Frage eine Prognose für die zukünftigen Geschicke des Menschen und seiner Werke.
Diese Antwort ist nun äußerst mannigfach ausgefallen, und es gibt wohl wenige überhaupt denkbare Fälle einer Klimaänderung, die man nicht für kleinere oder größere Gebiete hat vertreten wollen.
Über jeden Zweifel erhaben ist, dass in der geologischen Vergangenheit das Klima ein anderes war als heute. In der Polarzone reden die Fossilienreste einer tropischen Vegetation aus den ältesten Perioden der Erdgeschichte wie aus der Kreidezeit eine nicht minder deutliche Sprache als in dem gemäßigten Gürtel und selbst in einzelnen Gebirgen der Tropen die Moränen der diluvialen Gletscher. Das Klima hat sich von der Kreidezeit bis zur Eiszeit und seit der Eiszeit geändert; aber können wir diese Änderung in historischer Zeit nachweisen? Der Bescheid hat mehrfach „ja“ gelautet. So will 1882 Whitney für die gesamte Erde einen allgemeinen Austrocknung-Prozess dartun1. So vertritt eine Klimaänderung von demselben Rang Theobald Fischer, wenn er von einem Vordringen der Wüsten im Mittelmeergebiet spricht2.
Weit häufiger aber als solche, man möchte sagen, geologische Änderungen des Klimas in historischer Zeit sind lokale in ganz beschränkten Gebieten behauptet worden, die man auf die Tätigkeit des Menschen zurückführen wollte. So soll nach der Ansicht zahlreicher Forscher das Ausroden des Waldes den Regenfall und die Wassermenge der Flüsse und Quellen mindern, Aufforstung dieselben mehren. Andererseits ist es ein Glaubenssatz der Amerikaner in den trockenen Gebieten des fernen Westens der Vereinigten Staaten, dass die Ausbreitung der Kulturländereien an Ort und Stelle den Regenfall habe anwachsen lassen.
Den zahllosen einschlägigen Hypothesen oder Theorien, welche in dieser oder ähnlicher Weise eine fortdauernde Änderung des Klimas in einer Richtung vertreten, stehen nun aber die Ergebnisse nicht minder zahlreicher Gelehrter entgegen, welche eine solche Änderung für die historische Zeit leugnen. Bemerkenswert ist es, dass gerade von meteorologischer Seite meist jede kontinuierliche Änderung des Klimas in Abrede gestellt wird, während Geologen, Geographen und Hydrographen vielfach für eine solche eingetreten sind. Die Konstanz des Klimas ist den Meteorologen bis zu einem gewissen Grade ein Axiom.
Unbegreiflich scheint es, wie ein solcher Widerstreit der Meinungen entstehen konnte.
In eine neue Phase trat die Frage, als man nicht mehr einer einseitigen Änderung nachspürte, sondern das meteorologische Material auf säkulare Auf- und Abschwankungen der Witterung hin zu untersuchen begann. Die Veranlassung hierzu boten die so geheimnisvollen Schwankungen der Alpengletscher, die nur in Schwankungen der meteorologischen Verhältnisse ihre Ursache besitzen konnten.
Diese Anschauung suchten zuerst Forel3 und Richter4 statistisch zu begründen; sie erhielt eine allgemeinere Gültigkeit durch die Arbeit von C. Lang aus dem Jahre 18855, die auf weit ausgedehnterem Material fußend, für die gesamten Alpen den Wechsel langjähriger relativ kühler und feuchter Zeiträume und relativ warmer und trockener im Zusammenhang mit den Schwankungen der Gletscher nachwies.
Das war die Sachlage, als ich vor zwei Jahren auf ganz anderem Weg und für ganz andere Gebiete auf analoge Schwankungen der Witterung stieß und meine ersten Ergebnisse der in Karlsruhe tagenden Deutschen Meteorologischen Gesellschaft vortrug6. Hydrographische Untersuchungen lehrten mich eigentümliche Schwankungen des Wasserstandes in der Ostsee, im Kaspischen Meer und im Schwarzen Meer kennen, deren Rhythmus, wie es Swarowsky für den Neusiedler See dargetan hatte,7 eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Rhythmus der Gletscherschwankungen nicht verkennen ließ. Überall wechselten gleichzeitig Perioden mit durchschnittlich hohem Wasserstand und solche mit relativ niedrigem mit einander ab. Am Kaspischen Meer lag es nahe, die Ursache in einem Wechsel der Menge des durch die Flüsse zugeführten Wassers sowie der Verdunstung von der Meeresoberfläche zu suchen. Eine Diskussion der Pegelbeobachtungen an der Wolga wie der Niederschlagsbeobachtungen an einer Reihe meteorologischer Stationen des russischen Reiches tat die Realität dieser Vermutung dar. Es ergab sich, dass die gleichen Schwankungen des Regenfalls, die Lang für die Alpen nachgewiesen hatte, auch in dem gewaltigen Einzugsbecken des Kaspischen Meeres wiederkehrten. Ja noch mehr, das Gebiet der Ostsee und des Schwarzen Meeres unterliegt denselben und die eigentümlichen lang dauernden Änderungen des Niveaus, welche an diesen Meeren auftreten, sind zum Teil nur eine Folge der mit jenen Änderungen des Regenfalls variierenden Wasserzufuhr durch die Flüsse. In den gemittelten Wasserständen der Weichsel, der Oder, der Elbe, der Weser, des Rheins, der Donau, selbst der Seine, überall spiegeln sich die Schwankungen des Regenfalls in den gleichen langen Zeiträumen deutlich ab. Kurz in ganz Europa kehren diese säkularen Schwankungen der Witterung wieder, und die probeweise Zusammenstellung einiger meteorologischer und hydrographischer Daten lehrte, dass mehr oder minder alle Länder der Nordhemisphäre an ihnen Teil nehmen; ihre Allgemeinheit wie ihre Dauer geben uns das Recht, sie als Klimaschwankungen zu bezeichnen. Es gereichte mir zur großen Genugtuung, als im Herbst des Jahres 1888 Sieger auf Grund der Untersuchung der Schwankungen zahlreicher Seen meine Hauptresultate zum großen Teil bestätigte8.
Seitdem vermochte ich das einschlägige Material zu häufen und die Untersuchung auch auf die Südhemisphäre auszudehnen.
Die ersten Ergebnisse waren vorwiegend auf Grund hydrographischer Phänomene gewonnen und daher nur qualitativer Natur. Es galt nun, durch Diskussion der meteorologischen Aufzeichnungen auch quantitativ den Betrag der Klimaschwankungen festzustellen.
Heute liegen die Beobachtungen von beiläufig 600 meteorologischen und hydrographischen Stationen, welche im ganzen an 30.000 Beobachtungsjahre umfassen, in einheitlicher Weise bearbeitet vor, und mit ihrer Hilfe gelingt es bereits, ein deutliches Bild der Klimaschwankungen zu gewinnen, welche unser Erdball erlebt. Es sei mir gestattet, einige der Hauptergebnisse der Untersuchung, die dem Abschluss nahe ist9, hier in Kürze zu skizzieren.
Schon die eigentümlichen Schwankungen der hydrographischen Phänomene, der Gletscher, der Seen und Flüsse, ließen es wahrscheinlich erscheinen, dass die Klimaschwankungen mit besonderer Deutlichkeit sich im Regenfall aussprechen würden. In der Tat hat sich das durchaus bestätigt.
In den beigegebenen Kurven (Fig. I. u. II) sind die Schwankungen des Regenfalls graphisch dargestellt. Die erste Serie gestattet dieselben über die ganze Nordhemisphäre hinweg zu verfolgen, die zweite desgleichen von der Nordhemisphäre durch die Tropen auf die Südhemisphäre. Die Kurven repräsentieren die Schwankung für ein großes Gebiet, wie sie als Mittel aus zahlreichen Stationen abgeleitet wurde. Die benutzten Stationen sind die nachfolgenden:
1) Schottland: Arbroath, Lanrick Castle, Loch Leven Sluice, Northeast Reservoir, Glencrose, Swanton, Fernielaw, Edinburgh, Inveresk, Haddington, Culloden, Sandwich, Arrdaroach, Castle Toward, Cameron House und Bothwell Castle. 16 Stationen.
2) England: Chillgrove, Nash Mills, Oxford, Exeter, Orleton, Podehale, Boston, Bolton und Kendal.
9 Stationen.
3) Nordfrankreich: Rouen, Paris, Vendôme, Pannelière, La Collancelle, Clamcey, Avallon, Laroche, Montbard, Poully und Dijon. 11 Stationen.
4) Norddeutsehland: Kleve, Trier, Köln, Boppard, Gütersloh, Frankfurt a. M., Gießen, Bremen, Kiel, Heiligenstadt, Torgau, Dresden, Stettin, Berlin, Küstrin, Frankfurt a. O., Posen, Görlitz, Breslau, Königsberg i. Pr. und Tilsit. 21 Stationen.
5) Österreich-Ungarn: Bodenbaeh, Prag, Deutschbrod, Lemberg, Kremsmünster, Klagenfurt, Wien und Hermannstadt. 8 Stationen.
6) Westrußland: Helsingfors, St. Petersburg, Riga, Warschau, Moskau und Kiew. 6 Stationen.
7) Ostrußland: Lugan, Ssimferopol, Astrachan, Baku, Tiflis, Bogoslowsk, Jekatherinenburg und Slatoust. 8 Stationen.
8) Westsibirien: Barnaul. 1 Station.
9) Ostsibirien: Nertschinsk (Hüttenwerk), Nikolajewsk a. Amur und Peking. 3 Stationen.
10) Vereinigte Staaten,...