Totentanz und Hexenwahn
Marie Louise von Orleans und Maria Anna von Pfalz-Neuburg, Gemahlinnen Karls II. von Spanien
Marie Louise von Orleans
Als Maximilian I. im Jahre 1496 seinen Sohn Philipp mit Johanna von Aragon verheiratete, dachte er dabei in erster Linie an eine noch engere politische Beziehung zu Spanien, die beiden Seiten im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, Frankreich, nützen würde. Gebietszuwächse für Habsburg hatte er sich von dieser Verbindung bestimmt nicht erhofft, war doch Johanna »nur« eine jüngere Tochter der Katholischen Könige.
Aber wieder einmal zeigte sich, welch glückliche Hand man im Hause Österreich bei den Eheschließungen hatte. Der vorzeitige Tod ihres Bruders und ihrer älteren Schwester machte schließlich die Schwiegertochter des Kaisers zur Erbin der vereinigten Königreiche Kastilien und Aragon.
Doch Johanna, die als »die Wahnsinnige« in die Geschichte einging, brachte nicht nur Spanien in das Haus Habsburg ein, sondern auch den unheilvollen Keim der Geisteskrankheit. Dieses Erbe sollte sich ebenso wie die körperlichen Auffälligkeiten, die von Philipp dem Schönen herrührten – längliche Schädelform und die viel zitierte hängende Unterlippe – im Verlaufe der nächsten 200 Jahre durch die nur allzu bekannte habsburgische Inzucht immer mehr konzentrieren.
Vier Generationen in Folge kam kein einziger Tropfen fremden Blutes in die Adern der spanischen Habsburger. Johannas Sohn, Karl V., heiratete seine Cousine, Isabella von Portugal, Tochter von Johannas Schwester, Maria, und Manuel I. von Portugal. Die beiden waren die Eltern jenes Philipp II., der in vierter Ehe sogar seine leibliche Nichte Anna von Österreich[7] zur Frau nahm. Der aus dieser Verbindung stammende Philipp III. von Spanien heiratete mit Margarethe von Österreich, eine Nichte Maximilians II., wiederum eine Cousine.
Philipp III. war der Erste, der den inzüchtlerischen Teufelskreis kurzfristig durchbrach, allerdings weniger aus erbbiologischen Erwägungen denn aus rein politischen. Er verheiratete nämlich seine Tochter Anna mit Ludwig XIII. von Frankreich und seinen Sohn und Nachfolger Philipp IV. mit Elisabeth (Isabella) von Frankreich. Lediglich seine jüngste Tochter Maria Anna »ging« wieder an die österreichische Verwandtschaft: Sie wurde die Gemahlin ihres Vetters, Kaiser Ferdinands III.
Die bourbonische Blutauffrischung schien sich durchaus positiv auf die Nachkommenschaft im spanischen Königshaus auszuwirken. Die beiden überlebenden Kinder der Königin Isabella waren gesund und hübsch: Maria Teresa, die künftige Gemahlin Ludwigs XIV, und Baltasar Carlos.
Es war ein schwerer Schlag für Philipp IV, als sein einziger Sohn im Oktober 1646 völlig unerwartet – vermutlich an einer Blinddarmentzündung – im Alter von erst 17 Jahren verstarb; nur wenige Wochen, nachdem seine Heirat mit seiner österreichischen Cousine Maria Anna, der Tochter Kaiser Ferdinands III., vereinbart worden war. Philipp IV war verzweifelt, all seine Hoffnungen dahin, Spanien ohne Thronfolger. In seiner bedrängten Lage entschloss sich der damals bereits 42-jährige, seit zwei Jahren verwitwete König kurzerhand, die Braut seines verstorbenen Sohnes, also seine leibliche Nichte, ungeachtet ihrer erst 13 Jahre zur Frau zu nehmen, um seinem Land vielleicht doch noch einen Erben zu bescheren. Zum Glück für das junge Mädchen verzögerte sich seine Abreise nach Spanien um gut zwei Jahre, sodass es immerhin bereits 15 war, als es im Herbst 1649 in Madrid eintraf. Maria Anna, von den Spaniern bald Mariana genannt, war ein pausbäckiges, schwarzäugiges, ausgesprochen fröhliches Ding. Doch sie hatte bald nicht mehr viel zu lachen in der steifen, bedrückenden Atmosphäre, die am spanischen Hof herrschte, und schon gar nicht an der Seite ihres um 30 Jahre älteren Gemahls und Onkels, der zahlreiche außereheliche Beziehungen unterhielt und in ihr nichts anderes als eine Zuchtstute für den dringend benötigten Thronfolger sah.
Doch die Natur schien sich gegen diese unnatürliche Verbindung zu wehren. Mariana erwies sich zwar als fruchtbar, doch die Kinder kamen fast alle tot zur Welt oder es war ihnen nur ein sehr kurzes Leben beschieden. Mit seinen Mätressen dagegen zeugte Philipp IV. eine ganze Reihe gesunder Bastarde, was den Kummer der gedemütigten jungen Königin nur noch vergrößerte.
Nach neunjähriger Ehe war Mariana und Philipp nur eine Tochter, die 1651 geborene Margarita Teresa, geblieben, die übrigens ein ähnliches Schicksal wie ihre Mutter erwartete: Auch sie wurde mit ihrem Onkel, dem Kaiser Leopold I., verheiratet, der aber wenigstens nur um elf Jahre älter war als sie.
Endlich, am 29. November 1657, brachte die Königin von Spanien doch noch einen Sohn zur Welt, der den Namen Philipp Prosper erhielt, aber auch er lebte nur knapp vier Jahre. Er starb am 1. November 1661. Die Trauer über seinen Tod wurde allerdings gemildert, als Mariana fünf Tage später, am 6. November 1661, wieder mit einem Knaben niederkam, dem späteren Karl II.
Philipp IV. war froh und erleichtert, seinem Land doch noch einen Erben geschenkt zu haben, denn trotz seiner erst 56 Jahre war er alt und verbraucht und fühlte sein Ende nahen.
In Frankreich dagegen machte man lange Gesichter, als die Nachricht von der Geburt des spanischen Erben eintraf, denn Ludwig XIV, der seit dem Vorjahr mit Maria Teresa, Philipps Tochter aus erster Ehe, vermählt war, hatte wohl schon ein begehrliches Auge auf Spanien geworfen. Nicht ohne eine gewisse Genugtuung hörte der Sonnenkönig daher den Bericht seines Botschafters in Madrid über den neugeborenen Thronfolger: »Der Prinz scheint äußerst schwach zu sein. Er hat auf beiden Bäckchen einen Ausschlag, der von einer flechtenartigen Entzündung herrührt. Der Kopf ist über und über mit Schorf bedeckt. Seit 14 Tagen oder drei Wochen hat sich unterhalb des rechten Ohres eine Art Ablaufkanal gebildet, der eine eiterige Flüssigkeit aussondert.« Die Mitteilungen der übrigen Gesandten klangen allerdings weitaus weniger dramatisch, war darin doch einfach von einem »ziemlich rundlichen Kind mit sehr hübschen Zügen« die Rede.
Der kleine Karl war zwar tatsächlich nicht sehr kräftig, aber ein durchaus lebensfähiges und auf den ersten Blick völlig normales Kind. Lediglich sein Kopf schien etwas zu groß geraten. Erst im Laufe der Jahre sollten die verheerenden Folgen der jahrhundertelangen Inzucht deutlich werden. Der Knabe musste ja zwangsläufig Degenerationserscheinungen aufweisen, denn während jeder Normalsterbliche in der fünften Generation 32 verschiedene Vorfahren aufzuweisen hat, waren es bei Karl aufgrund des Ahnenschwundes nur noch zehn und sieben seiner acht Urgroßeltern stammten auch noch direkt von Johanna der Wahnsinnigen ab.
Im Alter von vier Jahren war der Knabe noch immer nicht entwöhnt, mit sechs Jahren konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Er hatte das lange Gesicht der Habsburger mit der typischen hängenden Unterlippe. Doch was bei seinen Vorfahren noch ein unbedeutender Schönheitsfehler gewesen war, hatte sich nun zu einer augenfälligen Missbildung ausgewachsen. Karls untere Gesichtshälfte war so deformiert, dass Unter- und Oberkiefer nicht zusammentrafen, sodass er zeit seines Lebens Schwierigkeiten hatte, die Nahrung richtig zu kauen, was wiederum ständige Verdauungsprobleme zur Folge hatte.
Auch seine geistigen Fähigkeiten waren beschränkt, wenngleich er nicht debil war, wie es manchmal dargestellt wird. Als Kind war Karl sogar recht aufgeweckt, doch hatte man aus falsch verstandener Fürsorge seine Erziehung viel zu spät in Angriff genommen. Der spätere König war zwar gerade des Lesens und Schreibens mächtig, blieb jedoch zeitlebens unfähig, größere und kompliziertere Zusammenhänge zu erfassen. Karls größtes Problem stellte aber wahrscheinlich seine seelische Verfassung dar. Von klein an war er von Ängsten beherrscht, Angst etwas falsch zu machen, Angst vor Gott, Angst vor der Mutter und später Angst vor der Gattin. Diese psychische Labilität, höchstwahrscheinlich Erbe Johannas der Wahnsinnigen, hatte sich auch schon bei seinen Vorfahren gezeigt. Sämtliche Könige Spaniens hatten an einer auffallenden Entscheidungsschwäche und Anfällen tiefer Melancholie gelitten. Trotz dieser immensen erbbiologischen Belastung war Karl zum Leben verurteilt. Mit einer erstaunlichen Zähigkeit kämpfte sein schwächlicher Körper vierzig Jahre lang gegen Krankheiten und quälende Schmerzen.
Ausgerechnet an dieser bedauernswerten Kreatur hing nun das Schicksal Spaniens und die Entwicklung der europäischen Politik, hingen Krieg und Frieden und nicht zuletzt das Los zweier junger Frauen. Denn niemand stellte auch nur einen Augenblick lang die Frage, ob man diesen armseligen Schwächling einer gesunden jungen Frau zumuten konnte.
Karl war noch keine vier Jahre alt, als sein Vater im September 1665 starb und ihn zum Herrscher des riesigen spanischen Weltreiches machte, zu dem Neapel, Sizilien, Sardinien und Mailand gehörten, ebenso wie die Philippinen und weite Gebiete in der Neuen Welt, darunter Mexiko und Peru. In seinem Testament hatte Philipp IV. nicht nur seine Gemahlin Mariana zur Regentin ernannt, sondern auch bestimmt, dass die Mitgift seiner Tochter Maria Teresa, die er 1660 mit Ludwig XIV. verheiratet hatte, ausbezahlt werde. Denn solange das nicht geschehen war, war der Verzicht der Infantin auf ihre Ansprüche in Spanien nicht rechtskräftig. Aber woher das Geld nehmen, wenn die Staatskasse leer war?
Die Regierungszeit Philipps IV. wird das »Goldene Zeitalter« Spaniens genannt, entstanden damals doch durch Calderón in der Dichtkunst und Velazquez in der Malerei Werke von Weltruhm. Der kulturelle Höhenflug wurde jedoch von einem beginnenden...