2 Storytelling: die Praxis
Der Medienkonsum beeinflusst unsere Wahrnehmung und unsere Aufmerksamkeitsspanne. Umso entscheidender sind die Art, das «Wie», wie wir mit unserer Zielgruppe kommunizieren, und der Ort, das «Wo». Je einfacher, emotionaler und vielfältiger, desto erfolgreicher. Eine der besten Techniken hierfür ist das Storytelling.
Grundlagen des Storytellings
Geschichten gibt es, seit es Menschen gibt. Und auch die heutigen Menschen lieben Geschichten. Bloss die Methoden des Erzählens haben sich über die Jahrhunderte verändert. Doch nach wie vor gilt: Eine gute Story packt die Zuhörerinnen oder Leser und spricht sie emotional an.
Attraktive Botschaften sollen die Kundinnen und Kunden – und alle, die es werden könnten – abholen und im übergrossen Meer an Informationen ihre Aufmerksamkeit erregen. Hier finden Sie wichtige Ansätze für das Gestalten solcher Storys.
Von der Push- zur Pull-Kommunikation
In der Vergangenheit gingen die Kommunikationsprofis von einem klassischen Sender-/Empfänger-Modell aus, dem Austausch von Informationen zwischen zwei Systemen oder Akteuren: Unternehmen sandten ihre Botschaft direkt an ihre primäre Zielgruppe, die Konsumentinnen und Konsumenten. Public Relations, die Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen, ging dabei einen kleinen Umweg und nutzte sekundäre Zielgruppen, also Journalistinnen und Journalisten oder andere Meinungsbildner, als Vermittelnde und Multiplikatoren.
Im digitalen Zeitalter sieht die Welt ganz anders aus. War früher Massenkommunikation eine hochgradig professionalisierte Aufgabe, so ist heute jede Person Senderin und Empfängerin. Die Menschen sind verlinkt und vernetzt, querbeet über alle elektronischen Schranken hinweg. Dialog-Netzwerk heisst folgerichtig das neue Modell.
Pull oder Push: Das Bereitstellen attraktiver Storys bringt mehr Erfolg als das Versenden von Angeboten.
An diesem Wandel haben die sozialen Medien und die ihnen zugrunde liegenden Technologien einen grossen Anteil. Durch Techniken wie RSS Feeds (Abonnieren von Informationen) und Social Sharing (Teilen von Informationen) ist innerhalb des Kommunikationsmodells eine neue Erfolgsformel entstanden: Pull over Push.
■Push-Kommunikation (auch Outbound genannt) ist das klassische aktive Senden von Informationen im Sinne von automatisierten «Das-könnte-Sie-interessieren»-Angeboten.
■Pull-Botschaften (auch Inbound genannt) dagegen werden von den Rezipienten freiwillig und aktiv herangezogen bzw. konsumiert.
Pull-Botschaften erzielen in den meisten Fällen einen weit höheren Erfolg. Pull-Kommunikation funktioniert jedoch nur, wenn die Leserin, der Leser die angebotenen Inhalte will. Die Empfänger stehen also im Zentrum aller Überlegungen beim Erstellen von interessanten Inhalten, dem Content-Marketing.
Letztendlich kommt es auf die Kraft der Botschaft an, ob diese wahrgenommen wird, Aufmerksamkeit weckt, gelikt und geteilt wird. Und innerhalb des Dialog-Netzwerk-Modells schaffen es vor allem Geschichten, magnetisch zu wirken und eine virale Verbreitung zu erlangen.
Der Medienkonsum und seine Folgen – die Mär von den acht Sekunden
Unsere Aufmerksamkeitsspanne liegt gerade mal bei acht Sekunden – eine Sekunde unter der eines Goldfisches. Das zumindest wird weltweit auf den sozialen Medien beschrieben. Wie drastisch die Auswirkungen dieses Zustands sind, erklärt Thomas Pyczak mit einer einfachen Analogie: Auf einer Website gehen allein drei Sekunden für den ersten Überblick verloren. Bleiben noch fünf Sekunden. Wie viele Wörter liest man in dieser Zeit? Bestimmt nicht mehr als 20 – eher 15. Die Kunst besteht also darin, eine Geschichte zu erzählen, deren Ausgang jeder nach den ersten 15 Wörtern wissen will.
Auch wenn der Goldfischvergleich hinken mag, Tatsache ist, dass der Medienkonsum unsere Wahrnehmung und unsere Aufmerksamkeitsspanne beeinflusst. Gleichzeitig fördern soziale Netzwerke eine sehr schnelle und fragmentierte Kommunikation. Auf dem Smartphone beschränken wir uns auf Kurznachrichten. Twitter erlaubt uns sowieso nur 280 Zeichen. «Snackable Content» (bekömmliche Inhalte) nennen das die Kommunikationsprofis. Zudem verzichten wir immer mehr auf Worte und überlassen das Sprechen den Bildern. Das Ergebnis ist ein schneller, oberflächlicher Informationsaustausch in kleinen Häppchen, die süchtig machen.
Ihre Inhalte müssen in wenigen Sekunden überzeugen.
Der Architekt und Philosoph Georg Franck nennt dieses Phänomen «Ökonomie der Aufmerksamkeit»: Information und Kommunikation umgeben uns ständig und überall, mit der Folge, dass das Ringen um Aufmerksamkeit zur wichtigsten Aufgabe in der Informationsgesellschaft wird.
Mehr denn je sind denn auch Kommunikationsprofis auf der Suche nach Techniken, die die Aufmerksamkeit von Konsumierenden, Mitarbeitenden und Geschäftspartnern wecken. Nach Möglichkeiten, den Informationsüberfluss zu überwinden und Botschaften zum Durchbruch zu verhelfen. Hier erweist sich Storytelling derzeit als eine der Erfolg versprechendsten Techniken in der digitalisierten Welt.
Ökonomie der Aufmerksamkeit: wie der Funke überspringt
Die aufgeklärte Kundin, der aufgeklärte Kunde von heute ist deutlich weniger loyal zu Marken und Unternehmen, als dies früher der Fall war. Dieser Verlust an Loyalität wird sich weiter fortsetzen.
Kundinnen und Kunden sind zudem kritischer geworden und machen sich ein eigenes Bild vom Angebot eines Unternehmens. Sie sind durchaus bereit, sich zu informieren, sich weiterzubilden, sich Geschichten anderer Kundinnen und Kunden eines Produkts anzuhören – solange der Inhalt unterhaltsam, spannend oder informativ ist. Nur das ist für sie relevant.
Kundinnen und Kunden verlangen unterhaltsame und informative Inhalte.
Die auf Smartphones installierten Apps zeigen Ihnen, welche Art von Content Kundinnen und Kunden schätzen:
■Soziale Netzwerke bauen auf Beziehungen und gegenseitiger Bestätigung auf – das zeigt, dass sich Menschen für andere Leute interessieren.
■News-Apps, Push Mail und Suchmaschinen zeigen, dass Menschen gern über Aktuelles informiert sind.
■Unterhaltung ist alles, was Emotionen erzeugt, aber ansonsten keinen weiteren «Nutzen» bietet. Die Menschen suchen in der Unterhaltung etwas Entspannung.
■Nützliches, Informationen und Wissen, die direkt in eine Handlung münden, zeigen, dass Menschen Inhalte und Dienstleistungen schätzen.
Längst sind nicht nur die Digital Natives, die jungen Leute zwischen 14 und 29, süchtig nach dem Onlinekonsum. Gemäss der letzten Net-Metrix-Studie surfen alle Altersklassen im Internet: Neun von zehn Menschen in der Schweiz sind regelmässig online: 5,5 Millionen von ihnen auf YouTube, 3,8 Millionen bei Facebook und 2,5 Millionen auf Instagram. Ist diese Information für Ihr Unternehmen wichtig? Darauf können Sie wetten.
Wie der Funke überspringt
Für Sie heisst das: Wo und wann auch immer Sie Ihre Kundinnen und Kunden treffen, stellen Sie sicher, dass Sie eine gute Story zu erzählen haben.
Unternehmen müssen aktiv und auf digi-talen Kanälen informieren.
Für Kunden von heute: Aristoteles und der Märchenonkel
Das Herausposaunen von Informationen ist nicht mehr gefragt, so viel wissen wir. Kaum jemand interessiert sich noch dafür, was Unternehmen alles können und was sie für Kunden Wichtiges tun.
Was bleibt uns also, wenn es langweilig ist, über Produkte im Detail zu sprechen? Ganz richtig, wir erzählen Geschichten. Im Zentrum der Vermarktung steht dann nicht mehr das Produkt, die Marke oder das Unternehmen, sondern eine Geschichte: Inhalte rund um Produkt und Marke.
Die Kommunikation hat im Geschäftsleben vor allem ein Ziel: Menschen zu überzeugen. «Persuasion» lautet der Fachbegriff dafür. Manager überzeugen Geschäftspartner und Aktionäre von den Zielen und Strategien des Unternehmens. Marketing und Vertrieb überzeugen Kundinnen und Kunden von den Vorzügen der Produkte. Personalverantwortliche überzeugen potenzielle Mitarbeitende von den Karrierechancen und Leistungen im Unternehmen.
Geschichten machen Inhalte lebendig.
Schon lange haben Hirnforscher nachgewiesen, dass emotionale Überzeugung durch Geschichten weit erfolgreicher ist als die rationale Überzeugung, also die reine Aufzählung von Daten und Fakten. Es wird gesagt, dass Menschen sich Geschichten bis zu 22-mal besser merken als pure Fakten.
Der griechische Philosoph Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) widmete sich einem ganz anderen Mittel der Persuasion, der Rede. Er beschrieb die drei Elemente Ethos, Pathos und Logos...